Gelsenkirchen. Migranten werden offenbar überproportional oft mit Corona infiziert. Debatte über mögliche kulturelle Gründe ist aber nicht gleich rassistisch.
Als unsere Redaktion vor fast zwei Wochen den Leiter des Gelsenkirchener Impfzentrums zitierte, der, wie viele Ärzte, Pfleger oder wie immer mehr Politiker in anderen Städten, die Beobachtung gemacht hat, dass Menschen mit Migrationshintergrund überproportional oft von einer (schweren) Corona-Erkrankung betroffen sind und sich auch seltener impfen ließen, fielen die Reaktionen erwartbar aus:
Einerseits erhielten wir großen Zuspruch, weil wir uns trauen würden, was andere sich vermeintlich längst nicht mehr wagten – nämlich auch dann offen über Probleme zu berichten, wenn sie im Zusammenhang mit Zugezogenen stehen.
Anderseits gab es auch berechtigte Kritik, weil wir nicht in Relation gesetzt hatten, wie viele Migranten in Gelsenkirchen denn bisher überhaupt schon impfberechtigt gewesen waren und es allein daran liegen könnte, dass sie seltener im Impfzentrum gesehen worden seien.
Und es gab den Vorwurf, es sei spalterisch zu behaupten und zu berichten, dass Corona in migrantischen Kreisen ein überdurchschnittlich größeres Problem ist.
Die Reaktionen geben wieder, wie zu viele Debatten seit einigen Jahren hierzulande geführt werden: ideologisch durchtränkt.
Dass die Grünen-Stadtverordnete Ilayda Bostancieri kritisiert, es sei „problematisch“ zu sagen, Migranten seien seltener zu Impfungen bereit und stärker von Erkrankungen betroffen, weil es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse dazu gibt, ist zwar faktisch richtig, zeugt aber gleichzeitig von einer Weltanschauung in der kulturelle Unterschiede nur dann betont werden, wenn sie positiv konnotiert sind.
Wenn es denn überhaupt zuträfe, dass Corona in migrantischen Milieus stärker wütet, dann könne es sich eigentlich nur um ein Armuts-, Wissens- und Verständigungsproblem handeln und nicht um ein kulturelles, lautet die Botschaft.
Vielleicht hat die Grünen-Landtagskandidatin damit Recht, es gibt eben noch keine fundierten Antworten auf die Frage nach dem warum.
Auffällig ist dennoch, dass die Gelsenkirchener Polizei schon mehrfach von Festen mit Dutzenden Teilnehmern berichtete und auf Nachfrage immer wieder erklärte, dass es sich um Zugezogene und Migranten handelte, die sich nicht an die Corona-Regeln gehalten hatten.
Hinter vorgehaltener Hand berichten dies im Übrigen auch Spitzenbeamte der Stadt, Politiker fast aller Parteien, Mitarbeiter des Kommunalen Ordnungsdienstes, Sicherheitsdienstmitarbeiter. Dass sie das alle bisher nur in vertraulichen Gesprächen feststellen, nicht aber öffentlich darüber debattieren wollen, hat vor allem damit zu tun, dass sie den traurigerweise vorprogrammierten Rassismusvorwurf fürchten.
Der Rassismusvorwurf folgte umgehend
Fragen Sie mal den Essener Gesundheitsdezernenten Peter Renzel (CDU). Die dortigen Grünen warfen ihm absurderweise Rassismus vor, nachdem er die Nachnamen der Infizierten in Essen gesichtet hatte und zu dem Ergebnis kam, dass ausländische Namen überproportional häufig darunter waren.
Renzel weiß selbst, dass das Abzählen von Namen auf den Listen der Infizierten keinen wissenschaftlichen Anspruch haben kann. Sehr wohl aber kann eine solche Hilfs-Methode wertvolle, weil rasche Hinweise darüber liefern, wo die Stadt intensiver tätig werden muss, um das Bewusstsein für die Gefahren zu stärken, aber auch um Menschen zum Impfen zu bewegen.
Dies muss jetzt geschehen, nicht irgendwann in der Zukunft, wenn vielleicht einmal wissenschaftliche Studien vorliegen, die in der Tat fehlen. Es geht bei der Debatte doch nicht um die Suche nach Sündenböcken, sondern darum Problemfelder zu erkennen und Lösungen zu finden.
„Das ist das doppelte Problem mit den selbst ernannten Aposteln der politischen Moral - hier und ganz oft von den Grünen, aber leider auch ab und an von den anderen Parteien. Erstens entwerten sie durch die ständigen und unreflektierten, unbegründeten Rassismusvorwürfe den Begriff ‘Rassismus’ […]. Und zweitens sorgen Sie durch die einsetzende, emotionalisierte Debatte um ein Scheinproblem dafür, dass das eigentliche Problem nicht richtig und konsequent angepackt oder gar gelöst wird: Es gibt viele Ausländer und Menschen mit Migrationshintergrund, die an Corona erkrankt sind (in Essen, in Duisburg und auch anderswo) und die sich und ihre Lieben nicht ausreichend schützen“, äußerte Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) bemerkenswert offen seine Kritik an der Debattenführung.
Nicht offen über das Problem gesprochen und bisher keine sinnvollen Lösungen gefunden
„Dass das eigentliche Problem nicht richtig und konsequent angepackt oder gar gelöst wird“ bzw. schon längst wurde, ist wiederum ein Ergebnis der mitunter lähmenden politischen Korrektheit in den Rathäusern – auch in Gelsenkirchen.
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„Worum geht es in unseren politischen Debatten? Um die Sache? Oder nur noch darum, dass das eigene Team gewinnt? Manchmal hat man den Eindruck, dass nicht nur im Parlament eine Fraktionsdisziplin herrscht, sondern im ganzen Land. Wird eine Wahrheit unwahr, wenn der falsche ihr applaudiert? Und was richtet den größeren Schaden an: ein Argument, das der falschen Seite in die Karten zu spielen scheint – oder ein unterdrücktes Argument?“, fragt Spiegel-Autor Tobias Becker in seiner aktuellen Kolumne und beschreibt damit treffend die deutsche Diskussionskultur.
„Spalterisch“ ist an dieser – wie an vielen anderen Debatten seit einigen Jahren – nur eins: Wenn vor lauter politischem Lagerdenken Probleme und Missstände nicht mehr offen diskutiert und gelöst werden können.