Essen. Die Stadt bestätigt, dass sich Menschen nichtdeutscher Herkunft in Essen überdurchschnittlich häufig infizieren. Dafür gebe es mehrere Gründe.

Sind Menschen mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich stark am Infektionsgeschehen beteiligt? Die Frage, die derzeit in vielen Städten breit diskutiert wird, ist nach Angaben der Stadtverwaltung auch für Essen klar zu bejahen. Gesundheitsdezernent Peter Renzel hat sich beispielhaft die Nachnamen aller Neu-Infizierter vom 1. März bis 14. April angeschaut. Ergebnis: „Von den 3921 Menschen jedweden Alters hatten 2001 einen Namen, der auf einen Migrationshintergrund schließen lässt“, so Renzel. Das entspricht 51 Prozent. Nimmt man den Anteil an der Essener Gesamtbevölkerung als Vergleichsmaßstab, dürften es nur 35 Prozent sein.

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Für diesen nüchtern festzustellenden Befund, der schon lange auch durch Stadtteilzahlen erhärtet wird, gebe es eine Reihe von Gründen. Ganz oben steht für Renzel die sozioökonomische Situation: Migranten seien im Schnitt ärmer als die alteingesessene Bevölkerung, stellten zum Beispiel fast 72 Prozent der 55.500 Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften in Essen. Sie lebten mit mehr Familienmitgliedern in kleineren Wohnungen, sodass sich schon durch diese Enge ein höherer Infizierungsgrad ergebe.

Bei der Analyse der Namen sei ihm aufgefallen, dass zunächst ein Familienmitglied in der Liste der Infizierten auftauche, in den Tagen danach dann die ganze, oft vielköpfige Familie folge. Auch so erkläre sich die hohe Zahl. „Ich sage das nicht, um zu beschönigen, sondern um die Diskussion in die fachlich richtige Richtung zu lenken“, so Renzel.

Gesundheitsdezernent Peter Renzel sieht mit Sorge, dass die Zahl der Migranten unter den Infizierten vergleichsweise hoch ist.
Gesundheitsdezernent Peter Renzel sieht mit Sorge, dass die Zahl der Migranten unter den Infizierten vergleichsweise hoch ist. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Persönliche Betroffenheit durch schwere Vorläufe sei weniger ausgeprägt

Zu beobachten sei in den migrantischen Communitys allerdings auch ein sorgloserer Umgang mit den Corona-Regeln. Renzel erklärt sich das unter anderem so: „Die persönliche Betroffenheit durch die Erfahrung schwerer Vorläufe ist nicht so ausgeprägt, es sind mehr die Jüngeren, die sich anstecken.“ Dies mag erklären, weshalb Essener Krankenhäuser auf Nachfrage bislang keine besondere Häufung von Migranten auf den Corona-Stationen erkennen wollen. In anderen Städten gibt es dieses Phänomen allerdings schon.

Auch das Bildungsniveau sei mitentscheidend bei der Frage, wie konsequent Regeln beachtet werden. Hinzu komme ein gewisser „Machismo“ – gerade junge Männer neigten dazu, „Härte“, Angstverachtung und Rebellentum durch das Brechen der Corona-Regeln zu demonstrieren. Letztere Punkte seien zwar keine Spezialität von Migranten, doch gebe es unter ihnen einfach mehr junge Männer.

Hinweise auf stärkere Impf-Zurückhaltung unter Migranten

Auch das Thema Impfen umtreibt den Gesundheitsdezernenten, denn es gebe Hinweise auf stärkere Zurückhaltung in migrantischen Milieus. „Als wir Berufsgruppen wie Erzieher und Krankenpfleger geimpft haben, gab es nach meiner Wahrnehmung keine großen Unterschiede“, so Renzel. Jetzt, da das organisierte Impfen immer mehr zurücktritt und sich jeder individuell kümmern muss, werde deutlich, dass Migranten unterrepräsentiert seien. Auch im Essener Impfzentrum gebe es diesen Eindruck, der allerdings nicht mit Zahlen belegt werden könne.

Verstärktes Nord-Süd-Gefälle bei Corona-Infektionen

Die Zahlen für die neun Stadtbezirke zeigen weiter eine Tendenz, die sich in letzter Zeit sogar noch verstärkt hat: Im Norden, wo deutlich mehr Migranten leben, sind rund dreimal soviel Bürger infiziert als im Süden.

Während beispielsweise im Stadtbezirk 8, der den gesamten Essener Südosten mit Burgaltendorf, Heisingen, Kupferdreh und Überruhr umfasst, am 22. April nur 69 Menschen infiziert waren, waren es im Stadtbezirk 6 mit Katernberg, Stoppenberg und Schonnebeck genau 209. Beide Bezirke haben jeweils rund 52.000 Einwohner.

Neben der Einhaltung der Regeln, gehe es also auch darum, die Impfbereitschaft unter Migranten zu erhöhen und die Befähigung, sich einen Termin zu besorgen. Hapert es bisher an der Kommunikation? Stadtsprecherin Silke Lenz verneint. „Wir haben viel gemacht, sind auf Migrantenvereine, Moscheegemeinden und andere Multiplikatoren zugegangen.“ Auch mehrsprachige Informationen habe die Stadt auf vielen Kanälen in Umlauf gebracht, Videos mit OB-Appellen, die Sozialarbeiter des Kommunalen Integrations-Managements versuchten aufzuklären, wo sie könnten und scheuten vor robusten Ansagen nicht zurück.

Der Erfolg ist aber erkennbar bescheiden. Dies ist laut Renzel auch deshalb bedauerlich, weil die Monate Mai und Juni für den Rest des Jahres ausschlaggebend seien, was den Verlauf der Pandemie betrifft: „Wir brauchen eine verstärkte Kampagne, die speziell Migranten erreicht.“ Dies habe sich die Stadt kurzfristig fest vorgenommen.