Gelsenkirchen. Gelsenkirchen, wieder Spitzenreiter: Dieses Mal geht es um den Anteil der minderjährigen Mütter. Warum die Zahl so hoch ist, das sind die Gründe.

Wieder nimmt die Stadt Gelsenkirchen einen der Spitzenplätze ein, wieder ist es eine Art Ranking, dieses Mal sind die Grundlage Zahlen des Leibniz-Institut für Länderkunde, Nationalatlas aktuell, zusammengefasst von Tim Leibert und in Form gebracht im Zeit Magazin, Nr. 11/2021. Es geht um: frühe Schwangerschaften und junge Mütter von 15 bis 24 Jahren.

Spitzenreiter: In Gelsenkirchen leben viele minderjährige Mütter

Die Daten stammen aus dem Jahr 2018 und zeigen die Geburten pro 1000 Frauen in der oben genannten Altersgruppe. Vor Gelsenkirchen mit einem Wert von 47,6 liegt nur noch Salzgitter mit 49,6. Denselben Wert wie Gelsenkirchen nimmt das thüringische Gera ein. Es folgen die Städte Pirmasens (46,8), Eisenach (46,5), der Landkreis Uckermark (44,6) und Bremerhaven (43,3). Als Vergleichswert wird München herangezogen: Er liegt hier bei 9,9.

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Wolfgang Schreck, Leiter des Gelsenkirchener Referates für Kinder, Jugend und Familien, kennt die Grafik – und erklärt die Problematik, die dahinter steht. Und er nennt noch konkretere Zahlen, aus dem vergangenen und aus diesem Jahr. Im Jahr 2020 erfasst die Amtsvormundschaft insgesamt 52 minderjährige Kindesmütter (14 bis 18 Jahre). Im Jahr 2021 waren es bis Stand März 32. In beiden Jahren besitzt die größte Gruppe der jungen Mütter die rumänische Staatsangehörigkeit.

Der Großteil der jungen Mütter ist rumänischer Herkunft

Konkret in Zahlen heißt das: Im Jahr 2020 waren von den insgesamt 52 jungen Müttern, für deren Kinder die Stadt eine Amtsvormundschaft hat, 24 rumänischer Herkunft, neun deutscher Herkunft, vier serbischer und drei bulgarischer Herkunft. Zwölf weitere junge Frauen werden unter „andere“ geführt. Für das Jahr 2021 weist die Stadt bislang folgende Zahlen aus: Zwölf junge Mütter sind rumänischer Herkunft, neun aus Deutschland, aus Bulgarien vier und Serbien zwei.

Gefahr der Kindswohlgefährdung

Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit im Spätsommer 2020 hob der damalige Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) das Thema „Zuwanderung und junge Mutterschaft“ noch einmal auf die Landesebene. Der OB erkannte „massiv die Gefahr der Kindswohlgefährdung“ und wollte wenige Tage vor der Kommunalwahl von NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) wissen, wie die Stadt mit diesen Müttern und ihren Kindern umgehen soll.

Eine Stadtverwaltung komme „bei der Vielschichtigkeit des Problems und der hohen Zahl der Fälle schnell an ihre Grenzen“, stellte Baranowski damals fest.

Angesprochen auf diesen Umstand der Kindswohlgefährdung vor allem der jungen Mädchen, die schon so früh Mutter werden, sagt Wolfgang Schreck im Gespräch mit der Redaktion: „Dem würden wir sofort nachgehen, leider haben wir aber keine rechtliche Handhabe“. Dann wären wiederum andere Stellen am Zuge.

Wolfgang Schreck sagt über diesen Umstand: „Das ist eine Fragestellung, die uns jetzt häufiger begegnet als noch vor zehn Jahren.“ Dabei ist der kulturelle Hintergrund wohl entscheidend: Eine frühe Mutterschaft erweckt in „den Familienkreisen nicht den Eindruck, dass es ein Problem oder eine Katastrophe ist“, so Schrecks Beobachtung. Es würde eher als „etwas ganz Normales“ gesehen. Ein weiterer Punkt: „Verhütungsmittel kosten Geld“, sagt Wolfgang Schreck. Das erschwert den Umstand zusätzlich.

Die meisten jungen Mütter leben mit ihren Kindern bei den Eltern

Und weitere, genauere Zahlen liefert das Referat gleich mit: Von den 52 jungen Kindsmüttern lebten im vergangenen Jahr noch 25 bei den eigenen Eltern, 14 von ihnen bei den Großeltern des Kindes oder Verwandten und 13 in einer eigenen Wohnung (mit Leistungen des Sozialgesetzbuches II). Sechs in 2020 und vier (2021) beanspruchen Hilfen zur Erziehung.

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Im Jahr 2021 listet die Verwaltung von den insgesamt 32 jungen Kindsmüttern 13, die bei den eigenen Eltern leben. Zwölf weitere leben bei den Großeltern des Kindes, sieben von ihnen in einer eigenen Wohnung. Alle jungen Frauen sind krankenversichert, alle nahmen – bis auf eine Ausnahmen in 2021 – beispielsweise auch die U-Untersuchungen mit ihren Kindern wahr. Und unter ihnen sind sogar schon mehrfache Mütter: Im vergangenen Jahr waren es neun, die mindestens zwei Kinder haben, in diesem Jahr laut Zahlen des Jugendamtes zwei.

Und wie weiter, in Sachen Zukunft, schulischer Bildung, Ausbildung? „In fast allen Fällen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, wird der Schulbesuch nicht wieder aufgenommen beziehungsweise wohl keine Schulanmeldung vorgenommen“, erläutert Wolfgang Schreck die Zahlen. Die sehen so aus: Im Jahr 2020 besuchten noch drei junge Frauen der insgesamt 52 eine Regelschule. Für 2021 steht dort eine: Null.

Ein Großteil der Mütter lebt von der Unterstützung des Jobcenters

Für einen Großteil der Mütter ist der Lebensunterhalt über das Jobcenter sichergestellt – im Jahr 2020 für 40 von ihnen, im Jahr 2021 für 25. Bei neun Frauen (2020) und sieben Frauen (2021) ermöglicht die Familie den Lebensunterhalt. Drei Frauen wurden 2020 vom Sozialamt unterstützt.

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Wolfgang Schreck ist davon überzeugt, dass die Jugendhilfe der Stadt „schon geeignete Mittel hat“, um Unterstützung zu bieten. Allerdings sei „nicht immer sichergestellt, dass wir die jungen Mütter mit unseren Hilfen ausreichend erreichen“, so Schreck weiter. Der Referatsleiter ist optimistisch, nennt vielfältige Unterstützungen, von der Familienhebamme, Sprachmittlern bis zu Förderungen, und er sagt gerade trotzdem: „Wir bieten immer etwas an und versuchen, die jungen Frauen zu vernetzen.“

„Es ist nicht so, dass alle Kinder ungewollt sind“

In den vergangenen Jahren habe sich zwar eine Menge getan, vor allem im präventiven Bereich, trotzdem sei etwa auch die Frauen persönlich anzusprechen „sehr sehr aufwendig, da braucht man entsprechende Ressourcen“, so Schreck. Dabei steht im Vordergrund: Jede der jungen Mütter ist ein Einzelfall, um den man sich kümmern muss. Und immer stehen die Interessen des neugeborenen Kindes im Vordergrund.

Dr. Adil Senol Sandalcioglu, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie/Geburtshilfe am Marienhospital, hat in seiner Karriere schon viele junge Frauen unter 18 Jahren bei der Geburt ihres Kindes begleitet. Er sagt: „Meistens waren es 15- bis 16-Jährige, die 14-Jährigen waren die Ausnahme.“ Der Eindruck des Chefarztes: „Es ist nicht so, dass die Kinder alle ungewollt sind.“ Vielfach würden gerade die jungen Frauen viel unbefangener und mit weniger Angst in die entscheidende letzte Phase der Schwangerschaft gehen.