Gelsenkirchen. Drei Kinder mussten in Gelsenkirchen wegen einer schweren Covid-Folge namens PIMS behandelt werden. Wie es Abdullah (12) damit ergangen ist.
Bei Kindern verläuft eine Covid-19-Erkrankung in der Regel eher harmlos. Die meisten bleiben sogar asymptomatisch, das heißt, sie entwickeln gar keine Symptome. Doch es gibt auch Einzelfälle, in denen Kinder nach einer Corona-Infektion schwer erkranken: an einer „Pädiatrischen Inflammatorischen Multisystem-Erkrankung (PIMS)“. In der Kinderklinik am Marienhospital Gelsenkirchen gab es drei junge Patienten, die daran erkrankten. Abdullah (12) aus Bochum ist einer von ihnen.
„Bei der PIMS können alle Organe, das gesamte Gefäßsystem betroffen sein“, erklärt Dr. Marcus Lutz, Chefarzt der Klinik für Neonatologie, Kinder- und Jugendmedizin am Marienhospital Ückendorf. In allen drei in der Klink behandelten Fällen war die Covid-19-Erkrankung zuvor gar nicht bekannt.
Negativer Coronatest beim Kinderarzt, aber verheerende Blutwerte
Wo Abdullah sich infiziert haben könnte, weiß bis heute niemand. Seit der Schulschließung im Dezember war nur der Vater noch zur Arbeit gegangen, nicht einmal die Moschee habe die Familie besucht, versichert er. Der sportliche Abdullah blieb mit den Eltern daheim. Ende Januar bekam er plötzlich hohes Fieber. Freitags ging man zum Kinderarzt, der beruhigte: Fieber ist gut, das bekämpft die Infektion. Montag kamen Kopfweh dazu und Durchfall.
Beim zweiten Arztbesuch machte der Kinderarzt einen Coronatest – er war negativ. Als der Durchfall anhielt, lautete der Verdacht „Blinddarm“. Als auch das ausgeschlossen war, bestimmte der Arzt die Blutwerte. Mit verheerendem Ergebnis bei den Entzündungswerten. Mit der Einweisung fuhren Vater und Sohn am Freitag – eine Woche nach Auftreten des Fiebers – umgehend ins Marienhospital, wo der Junge sofort Infusionen bekam. Zu dem Zeitpunkt, eine Woche nach Auftreten des Fiebers, konnte der Junge nicht mehr gehen, kein Glas mehr halten, hatte hochentzündete Augen, war zeitweise desorientiert, später wurde auch Wasser in der Lunge festgestellt.
Zunächst Verdacht auf Hirnhautentzündung
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Die Diagnose indes blieb auch in der Klinik zunächst unklar. Nervenwasser wurde noch am Freitagabend aus dem Rückenmark entnommen und an die Charité geschickt, um eine Hirnhautentzündung auszuschließen. Abdullah bekam Antibiotika, Infusionen. „Die Ärzte und Schwestern haben alle halbe Stunden nach unserem Sohn gesehen, sich vorbildlich gekümmert“, erzählt der Vater. Am dritten Tag steht fest: Abdullah war unbemerkt an Covid-19 erkrankt, das zeigten die Antigene. Und es wuchs die Erkenntnis, dass der Junge unter PIMS litt.
Immungluboline helfen
Die sofortige Gabe von Immunglubolinen half. Es ist bislang die einzig bekannte, wirksame Behandlungsoption, neben Cortison in schwersten Fällen. Mitte der Woche wurde der Junge nach Hause entlassen. Er kann wieder gehen, muss sich aber schonen. Seine Herzgefäße sind erweitert. Um Gerinnungsstörungen zu beheben und das Herz zu entlasten, bekommt er ASS, Physiotherapie soll ihn wieder auf die Beine bringen. Sport darf er ein Jahr lang nicht treiben. Auf dem einen Auge kann er schlechter sehen, der Augenarzt soll klären, warum. Trotzdem sind die Eltern überglücklich – und der Klinik unendlich dankbar.
177 Fälle bisher in Deutschland
Tagelanges hohes Fieber ohne erkennbare Ursache, Magen-Darm-Probleme, Hautausschläge und stark erhöhte Entzündungswerte sind typische Symptome bei PIMS: ebenso wie die vorhergegangene, unerkannte Covid-Infektion. Betroffen von dieser sehr seltenen Covid-Folge sind meist Kinder zwischen zwei und neun Jahren. Die heftige Immunreaktion mit Entzündungen im ganzen Körper tritt in der Regel zwei bis sechs Wochen nach der Infektion auf. 177 PIMS-Fälle wurden bislang insgesamt in Deutschland registriert. Jungen sind häufiger betroffen. Auch im Marienhospital waren es zwei Jungen und ein Mädchen von sechs, zehn und zwölf Jahren. Nach bisherigen Erkenntnissen erkrankt eines von 5000 Kindern, die zuvor mit SarsCov-Viren infiziert waren, in der Folge an PIMS.
Fast jeder Zweite muss auf die Intensivstation
Infektion erst bei Routinetests festgestellt
In der Kinderklinik am Bergmannsheil Buer wurden bisher keine an PIMS erkrankten Kinder behandelt. Zwar gab es auch Covid-19-Infektionen, diese wurden jedoch nur bei den standardmäßigen Tests entdeckt.
Die Kinder kamen wegen Unterarmbrüchen oder Blinddarmentzündung und ohne Infektionssymptome in die Klinik. Lediglich zwei infizierte Säuglinge hätten Symptome gezeigt, aber auch die konnten nach zwei Tagen wieder nach Hause entlassen werden, berichtet Lautner.
„Die PIMS-Symptome ähneln dem noch selteneren Kawasaki-Syndrom, aber es ist eine andere Erkrankung. Im Gegensatz zum Kawasaki-Syndrom sind bei PIMS im Regelfall auch nicht die Coronargefäße so schwer betroffen“, erläutert Lutz. Fast die Hälfte der PIMS-Patienten muss intensivmedizinisch behandelt werden, Abdullah war nah an der Grenze dazu. Todesfälle in Zusammenhang mit PIMS sind in Deutschland allerdings noch nicht bekannt.
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Mittlerweile gehe es allen dreien in seiner Klinik behandelten Kindern wieder gut, versichert Lutz. Nur eines ist noch in der Klinik. „Sie sind genesen. Aber ob und welche Langzeitfolgen es geben wird, wissen wir leider nicht“, so Lutz.
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