Gelsenkirchen. Volle Innenstädte in Gelsenkirchen, massive Preisnachlässe: Vor dem Lockdown drängen Kunden in Zentren, liefern sich Händler eine Rabattschlacht.
Der harte Lockdown ab Mittwoch hat zu Panikkäufen und Rabattschlachten geführt. Mit massiven Preisnachlässen versuchen die Einzelhändler rund um die Einkaufsmeilen an der Bahnhofstraße in der Altstadt und an der Hochstraße in Buer, die Verluste in der umsatzstärksten Jahreszeit ein wenig abzufedern. Wirkung: offen.
„Die Leute drehen durch“, ist Ole Siemienski fassungslos. Der Vorsitzende der Werbegemeinschaft Buer versucht am Montagvormittag, sich durch den dichten Verkehr und das Gedränge in Buer zu kämpfen. „Chaos“, sagt der Einzelhändler, der mit „Hoch Drei“ ein Damen- und Herrenbekleidungsgeschäft im Norden der Stadt betreibt. „Autos ohne Ende.“
Ähnlich äußert sich auch City-Managerin Angela Bartelt beim Rundgang über die Bahnhofstraße im Süden. „Die Stadt ist voller als sonst an einem Montag und auch voller als an einem Montag im Advent.“ An vielen Geschäften bilden sich wieder wie am Samstag Schlangen.
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Rabatte bis zu 70 Prozent sollen die Kunden in Gelsenkirchen zum Kauf bewegen
Wenn Bartelt und Siemienski die Stimmung der Einzelhändler in knappen Worten beschreiben müssen, dann reden sie von „Panik und Rabattschlachten“, mit denen einjeder den anderen überbieten will. Der Eindruck täuscht nicht, auf großen Plakaten werben die Geschäfte in der City und in Buer mit großen Rabatten. 20 Prozent sind das Minimum. 50 Prozent auf bereits reduzierte Ware sind keine Seltenheit“, registrieren die City-Managerin und der Vorsitzende der Werbegemeinschaft Buer. Und selbst Werbung, die 70 Prozent Nachlass verheißt, gibt es zuhauf zu sehen.
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„Die Einzelhändler versuchen, noch so viel Umsatz wie möglich zu machen, bevor die Geschäfte schließen müssen. Zugleich möchten sie ihre Warenbestände im Lager reduzieren, damit sie nicht darauf sitzen bleiben“, sagen Bartelt und Siemienski.
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Olymp und Hades, ein Bekleidungshaus mit eher höherpreisigen Waren, wirbt mit 20 Prozent, üblich wären laut Citymanagerin zu dieser Zeit höchstens zehn Prozent. Bei Takko prangt die 50 auf dem Nachlassschild, ebenso bei Reno, dem Schuhladen, bei NKD stehen sogar 70 Prozent auf der Tafel. „Selbst die großen Ketten wie C&A buhlen mit nochmals 25 Prozent auf bereits um 50 Prozent reduzierte Ware“, sagt Siemienski, der sich fragt, wo das alles noch hinführen wird.
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Kritik: Vom Corona-Schutz bleibt bei einem solchen Ansturm wenig übrig
Siemienski macht aus seiner Kritik keinen Hehl. Er hätte es verstanden und für gut befunden, wenn der harte Lockdown erst am kommenden Montag zum Tragen gekommen wäre - zum Entzerren und auch, um dem Handel noch etwas Luft zu Verschaffen im Überlebenskampf. „So aber passiert genau das, was die Politik tunlichst vermeiden wollte – nämlich dass die Innenstädte verstopfen und sich die Leute dicht an dicht drängen.“ Vom Corona-Schutz bleibe da nicht viel übrig. Und in der Kasse auch nicht so viel, denn „die massiven Preisnachlässe können die Folgen des Lockdowns keinesfalls verhindern“, ist sich der Unternehmer sicher.
Wunschbaumaktion läuft weiter
Die Gelsenkirchener Wunschbaumaktion geht trotz des Lockdowns weiter, wie Udo Siemienski mitteilt. Menschen, die bedürftigen Kindern eine Freude machen wollen, können die Geschenke noch bis zu den Geschäftsschließungen vorbeibringen. Ursprünglich war der letzte Tag der 19. Dezember. Die Organisatoren holen die Geschenke sogar im Lockdown ab, um sie den Kindern zukommen zu lassen.
Der Wunschbaum mit den Wunschzetteln der Kinder steht bei„Hoch Drei“ an der Hochstraße/Ecke Domplatte. Wer mitmachen will, kann sich dort einen Zettel vom Baum nehmen, den Wunsch erfüllen und das Geschenk wieder im Geschäft abgeben: Werbegemeinschaft und Kirchengemeinde kümmern sich dann darum, dass die Geschenke rechtzeitig zu Heiligabend bei den Kindern ankommen.
Auch Bartelt ist skeptisch, dass die zwei verbliebenen Tage vor dem harten Lockdown für den Einzelhandel noch etwas bewegen können. „Die Stimmung bei den Händlern ist sehr bedrückt“, erzählt die City-Managerin. Existenzängste wie nach dem ersten Lockdown im Frühjahr lebten wieder auf. Trotz der angekündigten staatlichen Hilfen.
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Und Siemienski befürchtet, dass „das dicke Ende erst noch kommt. „Und zwar im März, bis dahin sind praktisch Insolvenzen aufgeschoben.“ Hintergrund ist, dass der Bund die Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen ausgesetzt hat.
Geschäfte fahren Online-Handel sowie Liefer- und Bringservice wieder hoch
Als Reaktion auf den harten Lockdown fahren Gelsenkirchener Einzelhändler – und da sind sie nicht allein – den Handel über Online-Plattformen wieder hoch, berichten City-Managerin Angela Bartelt und der Vorsitzende der Bueraner Werbegemeinschaft Udo Siemienski. „Die Geschäfte werben verstärkt wieder mit Liefer- und Bringdienst bis Weihnachten“, so das Credo.
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Enttäuschung und Existenzängste auch im Friseurhandwerk
Von einer „tödlichen Entscheidung für geschätzt 20 Prozent“ der Gelsenkirchener Friseurbetriebe spricht Holger Augustin mit Blick auf den Lockdown ab Mittwoch. Augustin ist Innungsobermeister der Friseure und zugleich Kreishandwerksmeister. „Wir hatten gehofft, wenigstens noch bis Samstag arbeiten zu dürfen, das hätte das Geschäft gestärkt und auch die starke Nachfrage nach einem Haarschnitt vor Weihnachten entspannt.“
Augustin empfindet es als ungerecht und unausgewogen, dass Friseure schließen müssen. Ihre Ausbildung sehe eine umfangreiche Hygieneschulung vor. „Zudem haben wir alle Regeln befolgt und es gibt meines Wissens auch keine Fälle von Ansteckungen mit dem Corona-Virus in Gelsenkirchen, die auf einen Friseurbesuch zurückzuführen sind“, so Augustin weiter. Friseurbetriebe dichtzumachen, parallel dazu der Fußpflege aber die Weiterarbeit zu erlauben, passt für den Innungsobermeister nicht zusammen.
Die Folge: „Wir werden geradezu überrannt von Kunden, die schnell noch die Haare geschnitten haben wollen“, erzählt Holger Augustin. Weil aber die Corona-Schutzmaßnahmen einzuhalten seien, bekäme man die Stühle nicht voll. „Theoretisch müssten wir sogar noch im Schaufenster arbeiten, um alle Kunden zufriedenzustellen - oder den Laden bis weit nach Mitternacht geöffnet lassen.“
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