Gelsenkirchen-Rotthausen. 1920 wurde das Volkshaus eingeweiht. Gefeiert wird das in Corona-Zeiten nicht. Konkrete Zukunftspläne für das Gelsenkirchener Baudenkmal fehlen.
Eigentlich wollten sie diesen Jahrestag und ein ganz besonderes Gebäude feiern: Stadt, Heimatbund Gelsenkirchen , die verschiedenen Akteure, die hier unter einem Dach zusammen kommen – sie alle hatten einen Festakt zum 100. geplant. Am 10. Dezember 1920 wurde das Volkshaus Rotthausen eröffnet, daran sollte erinnert werden. Doch die Corona-Pandemie verhagelte die Pläne, die Feier wurde abgesagt. Es passt zum Bild der vergangenen Jahre, in denen große Pläne versandeten, in denen ein Testbetrieb mit großem Tamtam initiiert und 2016 zunächst ohne großen Nachhall beendet wurde. Debatten gab es etliche, die sich mit dem Volkshaus Rotthausen befassten. Doch an schlüssigen Perspektiven für den roten Backsteinbau fehlt es noch. Ebenso am Geld.
Gelsenkirchener Kulturreferat versuchte es mit einem Testbetrieb
Karlheinz Rabas, einer der Aktiven des Stadtteilarchivs Rotthausen und des Gelsenkirchener Heimatbunds, sieht die Entwicklung mit einer Portion Sarkasmus: „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis… Das Geld damals für den Testbetrieb hätten sie genauso uns geben können. Damit hätten wir das Haus länger bespielt.“
Kultur, Bildung, Information, eben ein bunter Veranstaltungsstrauß von der Kaffeetafel bis zum Hiphop-Konzert wurde für wenige Wochen 2016 gebunden, um Aufmerksamkeit auf den Veranstaltungsort zu richten. Begleitet wurde der Prozess von Swen Geiss, Professor für Architektur und Ressourcen an der Alanus-Hochschule für Kunst & Gesellschaft. Er und seine Studenten begleiten die Aktivitäten, auch weil sie „viel über neue Nutzungspotenziale erfahren“ wollten. Das Ideen-Spektrum reichte schließlich vom Bildungsort für „bewegte Jugendarbeit“ über eine Jugendherberge bis zum Sporthostel. Klar wurde aber auch: Ohne Betreiber und ohne Sanierungs-Millionen geht nichts – nicht nur, weil der Komplex in die Jahre gekommen ist. Auch der Brandschutz fordert finanziell Tribut.
Kritik in der Bezirksvertretung an langen Entscheidungsprozessen
2018 beklagten Vertreter von SPD bis AUF in der Bezirksvertretung Süd , dass nach einem Jahrzehnt sichtbar wenig passiert sei. Tobias Lang (SPD) kritisierte die Verwaltung damals und fragte Kulturreferatsleiter Volker Bandelow: „Warum braucht es zwei Jahre, bis Sie feststellen, dass der Brandschutz erneuert werden muss?“ Lothar Jacksteit (CDU) zeigte sich ebenfalls desillusioniert: „Wir beschäftigen uns ja schon seit einem Jahrzehnt mit dem Volkshaus und erwarten jetzt mehr als nur ein Konzept für das Erdgeschoss.“ Immerhin: Der Rat der Stadt versuchte, den Weg zu Fördermitteln zu ebnen, beschloss ein „integriertes Entwicklungskonzept“ und zeigte sich zuversichtlich, mit dem Projekt in das Landesprogramm soziale Stadt aufgenommen zu werden.
Für die Studie wurden Städtebaufördermittel in Höhe von 300.000 Euro bewilligt
Und 2020? Die Stadt bereitet derzeit endlich die Ausschreibung einer Machbarkeitsstudie für das Volkshaus vor, die voraussichtlich Anfang 2021 beauftragt werden soll. Für die Studie wurden Städtebaufördermittel in Höhe von 300.000 Euro beantragt und bewilligt. Eingebettet ist die Planung für den Komplex in die Entwicklung des Stadtviertels: Rotthausen, so die Verwaltung, sei „seit 2018 Stadterneuerungsgebiet in Gelsenkirchen, angelegt auf acht Jahre bei einem Fördervolumen von rund 22 Millionen Euro“.
Musentempel und Möbellager
Das Volkshaus Rotthausen wurde nach Plänen des Architekten Alfred Fischer gebaut, der auch, geprägt vom Stil der Neuen Sachlichkeit, das Hans-Sachs-Haus entwarf.
Am Freitag, 10. Dezember 1920, „abends 6 Uhr“ wurde zur Einweihung des Hauses geladen und gleich Hochkultur zelebriert – mit der „Jubel-Ouvertüre“ von Johann-Christian Bach, mit einem Theater-Prolog, schließlich mit der „Großen Fantasie“ aus Wagners Tannhäuser und, nach der Pause, mit Lessings Emilia Galotti.
In seiner Schriftenreihe hat der Gelsenkirchener Heimatbund die lange Geschichte des Volkshauses mit Dokumenten, Bildern und Detailwissen aufbereitet. Die beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts im (noch zu Essen gehörenden) aufstrebenden Rotthausen mit der ursprünglichen Idee, eine Jugendhalle und ein Feuerwehrdepot zu errichten.
Der Erste Weltkrieg kam dazwischen, das Projekt war nicht mehr zu finanzieren. 1919 dann entstand, in wirtschaftlich äußerst angespannten Zeiten, die Planung für den Standort Grüner Weg . Ein repräsentatives Haus mit Platz für Bildung und Kultur, Filme und Feste sollte entstehen. Fischers Entwurf verstörte manche, bemängelt wurde die Raumaufteilung und der „losgelassene Futurismus“ des Entwurfs.
Am Ende stand ein Nutzungskompromiss. So wurde der Neubau Gemeindeverwaltung und Veranstaltungsort, ab 1924 gar auch Jugendherberge mit 30 Betten. Unter den Nationalsozialisten wurde das Haus SS-Kaserne, danach Möbellager und schließlich Lehrlingsheim .
Drei Zuwendungsbescheide liegen laut Pressesprecher Martin Schulmann bislang vor, unter anderem „für ein Stadtteilmanagement, ein Haus- und Hofflächenprogramm, die Neuanlage des Spielplatzes Weindorfstraße, die Modernisierungsberatung privater Immobilieneigentümer sowie eine Potenzialstudie zu Grünstrukturen und Klimaanpassungen“ – und eben für die Machbarkeitsstudie. Sie soll weitere Nutzungsmöglichkeiten für das Volkshaus Rotthausen aufzeigen und eine Bausubstanzbewertung für das Gebäude beinhalten.
Katholische Kirche St. Mariä Himmelfahrt ist seit 2007 außer Dienst
„Zurzeit läuft noch eine Machbarkeitsstudie zur Kirche St. Mariä Himmelfahrt. Die Ergebnisse liegen Ende des Jahres vor und können so in die Ausschreibung zur Machbarkeitsstudie Volkshaus einfließen“, erklärt Schulmann. Das katholische Gotteshaus an der Richard-Wagner Straße ist bereits seit 2007 außer Dienst, eine Nachnutzung dort ebenfalls offen.
Dagegen ist am Grüner Weg 3, der Volkshaus-Adresse, durchaus noch Betrieb zu verzeichnen. Stadtsprecher Schulmann: „Genutzt wird das Volkshaus Rotthausen derzeit von über 20 Vereinen und Organisationen.“ Ihnen dient das Gebäude als Büro- oder Lagerfläche, aber auch als Probe- und Übungsraum. So trainiert der TTC Rotthausen im Mehrzwecksaal. Das Stadtteilarchiv Rotthausen belegt drei Räume. „Die sind vollgepackt mit Büchern und Unterlagen“, sagt Rabas. Der Gelsenkirchener Heimatbund hat hier auch sein Büro. Der Musikverein Einigkeit probt im Haus, ebenso ein Männergesangsverein – zumindest bis zur Corona-Zwangspause.
Volkshaus wurde für insgesamt 2,26 Millionen D-Mark saniert
Seit 1986 steht das Haus als eines der Musterbeispiele des Backstein-Expressionismus unter Denkmalschutz. Aufwendig saniert wurde es für insgesamt 2,26 Millionen D-Mark zwischen 1987 und 1989. Gespart hat man sich damals, zum Ärger vieler, die Sanierung der Sanitäranlagen. Schöner sind sie seither nicht geworden…
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Seit den 1970er Jahren sind Rabas und der Heimatbund ein Teil der langen Volkshaus-Geschichte, die auch damals schon von Nutzungsdebatten geprägt wurde. In einer Ausstellung zum 75. Jubiläum wurde die lange Haus-Historie dokumentiert. „Die Ausstellung ist eingelagert“, sagt Rabas. Sie soll, zeitgemäß überarbeitet, wieder zu Ehren kommen und dann als Dauerausstellung im Haus Platz finden. Dafür hat Rabas bei der Bezirksregierung Münster einen sogenannten Heimatscheck über 2000 Euro eingeworben. Wie die Schau zum 100. thematisch enden könnte, ist noch offen.
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