Gelsenkirchen. Wie gelingt der Ausstieg aus kriminellen Clans? Sechs Gelsenkirchener Jugendliche werden in einem Programm der Landesregierung betreut.
Im Kampf gegen kriminelle Clans verfolgen Polizei und Innenministerium mehrere Ansätze. Neben repressiven Maßnahmen wie übergreifenden Großkontrollen mit einer Vielzahl von beteiligten Ämtern und Behörden wird jetzt verstärkt auch auf präventive Maßnahmen gesetzt. So sollen Jugendliche von einer kriminellen Karriere in Kreisen türkisch-arabischstämmiger Großfamilien abgehalten werden. Innenminister Herbert Reul hat das Präventionsprojekt „Integration, Orientierung und Perspektiven! 360 Grad – Maßnahmen zur Vorbeugung von Clankriminalität“ gestartet, angelaufen ist es in fünf Ruhrgebietsstädten, darunter auch in Gelsenkirchen.
Clan-Geschäftsfelder in Gelsenkirchen: Einbruch, Diebstahl, Betrug, Rauschgift
Schnelles Geld, teure Sportwagen – die Verlockung für Jugendliche aus dem Umfeld krimineller Großfamilien ist groß, sich am Kuchen illegaler Machenschaften ein großes Stück abzuschneiden. Einbruch und Diebstahl, Betrug und Rauschgifthandel sind nur ein Teil von lukrativen Geschäftsfeldern, die reiche Ernte versprechen. Oft wird der Gewinn in Immobilien investiert.
Die Schattenseiten dieser streng hierarischen Parallelwelt soll das Programm aufzeigen – und dazu Alternativen. Meist steht ein Clan-Chef an der Spitze der harten Clan-Machtstrukturen. Das Ziel: Größe und Macht des Clans sollen weiter wachsen. Der Weg dahin: Die Jungen müssen Geld heranschaffen, sie sind die Altersvorsorge ihrer älteren Verwandten. Ehen werden innerhalb der Großfamilien arrangiert, man bleibt so unter sich, minimiert das Risiko aufzufliegen.
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Pädagogen betreuen Clan-Nachwuchs und junge Intensivtäter in Gelsenkirchen
In Gelsenkirchen kümmern sich „bereits drei pädagogische Fachkräfte in der NRW-Initiative ‚Kurve kriegen‘ um 16 Kinder und Jugendliche aus 13 Familien“. Sechs Kinder und Jugendliche darunter sind nach Angaben der Gelsenkirchener Polizei und der Sicherheitskooperation Ruhr zur Bekämpfung der Clankriminalität (SIKO Ruhr) Angehörige von Clans, haben einen engen Kontakt zu den Großfamilien oder bewegen sich nah in deren Umfeld. Die jugendlichen Intensivtäter wurden in das Clan-Aussteigerprogramm integriert.
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Experten haben die Jugendlichen vorab bei einem Screening-Verfahren identifiziert. Dabei bewerteten sie unter anderem strafrechtliche Auffälligkeiten wie Gewalt- und Eigentumsdelikte, Clan-Strukturen und griffen auf Daten der Initiative „Kurve kriegen“ zurück, über die die Polizei Gelsenkirchen junge Intensivtäter anspricht.
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Nach Angaben von Polizei und SIKO Ruhr können Jugendliche aus dem Clan-Milieu keine eigenen Entscheidungen hinsichtlich ihrer Lebensführung und -planung treffen, obwohl sich „ihre Wünsche durchaus an der Wirklichkeit orientieren“. Es fehlten positive Vorbilder, das nötige Wissen und vielleicht auch das Selbstwertgefühl, um diese Pläne wahr werden zu lassen. Erschwerend kommt hinzu, dass im familiären Umfeld Zukunftswünsche teils negativ kommentiert werden, sich hartnäckig das Narrativ und damit die Auffassung halte: „Mit dem Namen hast du eh keine Chance auf dem Arbeitsmarkt.“
LKA-Experten und Wissenschaftler begleiten Projekt
Das Pilotprojekt „ Integration, Orientierung und Perspektiven-360 Grad-Maßnahmen zur Vorbeugung von Clankriminalität“ wird durch die kriminalistisch-kriminologische Forschungsstelle des Landeskriminalamtes NRW und einer externen wissenschaftlichen Beratergruppe begleitet, um dauerhaft Aktualität und wissenschaftliche Expertise zu gewährleisten.
Am Standort Gelsenkirchen werden die Kinder und Jugendliche in der Initiative „Kurve kriegen“ durch drei Fachkräfte des freien Trägers IFAK e.V. betreut. Die jugendlichen Intensivtäter wurden in das Clan-Aussteigerprogramm integriert.
Betreuer zeigen Jugendlichen aus dem Clan-Milieu legale Perspektiven auf
Die Pädagogen zeigen den Jugendlichen daher Chancen auf, die eine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung bieten. „So werden aktuell zwei Heranwachsende betreut, die Zugführer und Koch werden wollen“, heißt es von Behördenseite.
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Auch auf Abschreckung wird bei der Betreuung des gefährdeten Familiennachwuchses gesetzt. Ehemalige Kriminelle fungieren als „glaubhafte Botschafter“, um ihrem Gegenüber die Folgen der Kriminalität vor Augen zu führen. Die Hoffnung der Behörden ruht dabei darauf, dass die Verlockung nach dem schnellen Geld verblasst, mangels fehlender Nachhaltigkeit und angesichts oftmals mehrjähriger Inhaftierung. Begrifflichkeiten wie Ehre und Gefängnis spielen dabei ebenso eine Rolle. Was in kriminellen (Clan-)Kreisen als Auszeichnung mystifiziert wird, wird bei der Arbeit der Experten mit den Jugendlichen kritisch hinterfragt. So soll sich ihre Sicht der Dinge auf ihre Alltagswelt zum Guten verändern.
Mütter in Clan-Familien spielen eine entscheidende Rolle
Nach ersten Erfahrungen aus dem Projekt kommt besonders den Müttern der Familien als Haupt-Erzieherinnen eine große Bedeutung zu. Sie sind laut Polizei und SIKO Ruhr ein Ansatzpunkt mit nicht zu unterschätzender Hebelwirkung in den Familienstrukturen. „Letztlich möchte keine Mutter ihr Kind im Gefängnis sehen“, heißt es als Begründung dazu. Den Behörden zufolge stehen Mütter aus Clans einer Zusammenarbeit mit den Pädagogen „offen und ansprechbar“ gegenüber. „Die Familien sind dankbar für die angebotenen Hilfen und nehmen diese an“, so die SIKO Ruhr. Berufsperspektive und Rückhalt könnten daher den Wunsch nach einem Ausstieg aus der Kriminalität und einem normalen Leben verstärken.
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Aber: Dass ein Ausstieg aus den kriminellen Machenschaften des Clans gelingt, wird nach Einschätzung des Innenministeriums „selten bis gar nicht“ gelingen. Trotzdem soll eine wahrnehmbare Alternative zur Kriminalität aufgezeigt werden. Beim Kampf gegen kriminelle Clans sind selbst kleine Fortschritte Erfolge.