Gelsenkirchen. Gelsenkirchens neue Polizeichefin ist die jüngste bundesweit. Was Britta Zur angehen will und was sie bewegt: Jetzt im Interview.

Mit 39 Jahren ist Britta Zur Deutschlands jüngste Behördenleiterin. Ihre neue Aufgabe und Herausforderung hat die ehemalige Staatsanwältin in Gelsenkirchen gefunden – die gebürtige Kölnerin leitet seit Jahresbeginn die Gelsenkirchener Polizeibehörde. Aktuell werden lediglich vier der 18 Polizeipräsidien in NRW von Frauen geleitet. Was Britta Zur angehen will und was sie bewegt: Jetzt im Interview.

Frau Zur, erzählen Sie doch bitte von dem überraschenden Anruf am Glühweinstand, der Sie letztendlich nach Gelsenkirchen geführt hat.

Britta Zur: Klar, gern. Ich stand an einem Freitagabend Ende November auf dem Düsseldorfer Weihnachtsmarkt am Glühweinstand, als mein Handy klingelte. Die Nummer auf dem Display kannte ich nicht. Ich dachte erst an einen Pressevertreter, der mich sprechen wollte. Ich war ja zu der Zeit Sprecherin der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft. Es meldete sich aber der Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Bis heute bin ich heilfroh, dass ich das auch direkt geglaubt und nicht für einen Scherz gehalten habe. Herr Reul fragte mich, ob wir uns schnellstmöglich treffen könnten. Ein paar Tage später war ich dann in seinem Büro und er fragte mich, ob ich das Polizeipräsidium Gelsenkirchen übernehmen möchte.

Wie ist es Ihnen in den ersten Wochen ergangen, wie sah ihr Pensum aus?

Gelsenkirchen hat mich mit offenen Armen empfangen. Auch wenn die Behörde zuvor sieben Monate lang super gelaufen ist, waren letztendlich doch alle froh, dass eine neue Präsidentin das Haus betreten hat. Man hat es mir sehr leicht gemacht, mich zurecht zu finden. Es war ein guter und zugleich aufregender Start. Natürlich war er auch anstrengend, wir sprechen ja über mehr als 800 Beamte und Beamtinnen, die hier arbeiten und rund 700 Fachhochschüler. Wenn man aufwacht und plötzlich Verantwortung für so viele Menschen hat, dann ist das schon ordentlich. Aber es macht großen Spaß.

Und wenn Sie nach meinem Pensum fragen: Das ist weniger eine Frage des Zeitaufwandes, sondern der mentalen Kraft. Ich habe durchgehend Termine, den ganzen Tag. Manchmal sitzt nur eine Person vor mir, manchmal sind es 300. Jeder hat ein Thema und will zurecht, dass man ihm zuhört, einen Ratschlag gibt oder etwas diskutiert. Ich brauche eigentlich gar keinen Schreibtisch, ich sitze ständig hier am Konferenztisch oder in Besprechungen, wechsele von einem Thema zum nächsten. Das ist gut, weil ich ein kommunikativer Mensch bin, das ist aber auch anstrengend. Man ist ja nie alleine. Wenn ich hier rausgehe, bin ich bei meinen Kindern oder mache Sport.

Maßgabe: Dabei sein, sich selbst ein Bild verschaffen

Ich hörte, Sie haben sich direkt in einige Einsätze gestürzt und sich an vorderster Front einen Einblick verschafft?

Genau. Ich war auf Schalke, bin im Streifenwagen mitgefahren, habe mich auf den Wachen vorgestellt oder bin mit der Hundertschaft unterwegs gewesen. Gerade wenn man so eine Behörde leitet, ist es umso wichtiger, dass man weiß, wie alle anderen Menschen arbeiten; dass man nicht nur in einem schicken Büro sitzt und sich von der Vorzimmerdame den Kaffee servieren oder sich vom Fahrer durch die Stadt fahren lässt. Mir ist wichtig, dass ich mir ein eigenes Bild verschaffe, sehe, wie die Kollegen draußen auf der Straße arbeiten.

Bei der Vorstellung der Kriminalstatistik haben Sie bereits die Agenda für das Jahr vorgestellt: Taschendiebstahl, Wohnungseinbruch und Clan-Kriminalität. Widerstand gegen Amtsträger soll im Jahresverlauf ein weiteres wichtiges Thema werden. Sind diese Themenfelder Ihrer Einschätzung nach besonders wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Die Schwerpunkte wurden schon vor meinem Amtsantritt festgelegt. Eigentumsdelikte sind Kriminalitätsfelder, die die Bürger beschäftigen und deren Bekämpfung entscheidend dazu beiträgt, dass sich der Einzelne sicherer fühlt. Clan-Kriminalität ist wie in anderen Ruhrgebietsstädten auch in Gelsenkirchen ein Problem, das seit einigen Jahren besteht und um das man sich nach wie vor kümmern muss, obwohl wir in den vergangenen Jahren schon gute Erfolge erzielt haben. Gerade im Bereich des Taschendiebstahls haben wir in Gelsenkirchen keine allzu guten Zahlen, da müssen und da gehen wir ran. Dafür konnten wir die Zahlen beim Wohnungseinbruchdiebstahl im Laufe der vergangenen Jahre deutlich verbessern. Wir sehen, wenn man was anpackt, dann schlägt sich das auch im Erfolg nieder.

Zu den Übergriffen auf Amtsträger: Gewalt gegen Einsatzkräfte war in den letzten anderthalb Jahren im Düsseldorfer Sonderdezernat mein Thema. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe ich festgestellt, wie wahnsinnig wichtig es ist, sich damit auseinanderzusetzen und die Gesellschaft Schritt für Schritt zu einem Umdenken zu bewegen. Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet die Menschen, die jeden Tag für uns auf der Straße, in Krankenhäusern, Schulen und in den Behörden tätig sind, sich andauernd Beschimpfungen und Anfeindungen ausgesetzt sehen. Ich bin keine Soziologin. Aus meiner Erfahrung als Staatsanwältin und in meiner jetzigen Position kann ich aber sagen, dass wir da offensichtlich ein Defizit haben. Die Verrohung hat zugenommen. Deshalb ist es für mich wichtig, dieses Thema hier fortzuschreiben.

Kriminalstatistik: Ein Richtwert zur Orientierung

Aus Sicht der ehemaligen Staatsanwältin, wie beurteilen Sie die Aussagekraft einer Kriminalstatistik?

Ich denke, dass die Statistik für uns ein guter Richtwert ist. Wir sind uns aber einig, dass die Kriminalstatistik keinen Rückschluss auf die gefühlte Sicherheitslage in der Stadt zulässt. Beispielsweise erfahren wir häufig nicht, wie die gerichtlichen Verfahren am Ende ausgehen und ob ermittelte Straftäter tatsächlich aus dem Verkehr gezogen wurden. Oder in vielen Fällen wissen wir auch nicht, wie hoch die Dunkelziffer ist. Die Statistik bietet lediglich eine Orientierung, wie war es letztes Jahr, wie war es davor. Letztlich sind es nur Zahlen, die uns viele Dinge nicht verraten. Trotzdem ist es ein gutes Instrument, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich die Kriminalitätslage in der Stadt entwickelt.

Bei Ihrer offiziellen Amtseinführung haben Sie gesagt: „Für die Frage, ob man ein solches Amt mit Würde, dem nötigen Engagement und ausreichend Intuition ausübt, ist es völlig egal, wie alt man ist, wie man sich anzieht, wie laut die Musik ist, die aus dem Auto tönt, wenn man morgens auf den Hof fährt, oder ob man regelmäßig am Dienstsport des Präsidiums teilnimmt." Hat es Ihnen schon einmal Probleme bereitet, dass Sie eine junge, erfolgreiche und attraktive Frau sind?

Klar, jeden Tag, und zwar von Anfang an. Und das ist ganz schön bedauerlich. Wenn ich jetzt ein Mann wäre, dann würde ich das nämlich nicht gefragt werden. Punkt. Das ist so. Ich habe mit 27 Jahren als Richterin angefangen. Die erste Frage, die man mir immer gestellt hat, wenn ich den Gerichtsaal betrat, war: Wann kommt denn ihr Ausbilder? Ich werde auch immer gefragt: Wie funktioniert das eigentlich mit meinen beiden Kindern und der vielen Arbeit. Mein Mann hat auch zwei Kinder, und der hat auch viel Arbeit, er wird das allerdings nie gefragt. Ich habe immer das Gefühl, dass ich mich viel stärker engagieren und viel stärker rechtfertigen muss. Wenn ich jetzt ein Mann wäre, hätte ich mit vielen Vorurteilen nicht zu kämpfen. Das offenbart, dass die Gesellschaft noch lange nicht an dem Punkt ist, wo sie sein sollte. Zugleich ist es umso wichtiger, dass es solche Frauen gibt, die eine Vorbildfunktion haben und andere motivieren. Das macht es spannend.

Werden Sie Ihren Wohnsitz von Düsseldorf nach Gelsenkirchen verlegen, oder pendeln Sie täglich hin und her?

Ich habe eine Zweitwohnung in Gelsenkirchen, ich wechsele mich da ab.

Ihre Karriere verlief steil, bitte ergänzen Sie den Satz: Mit Ende 20 Staatsanwältin, mit Ende 30 Polizeipräsidentin und mit Ende 40...?

(lacht laut) Glücklich und zufrieden. Ehrlich, keine Ahnung, das weiß ich nicht. Ich bin jetzt erst einmal in Gelsenkirchen und da gut aufgehoben. Ich habe noch viele Ziele.

Wobei finden Sie Entspannung und Ruhe?

Beim Sport, ich mache tatsächlich sehr viel Sport.

Revolverkette: Schmuck und Statement zugleich

Zum Schluss ein paar Kurzfragen, mit einem Augenzwinkern. Fangen wir mit der berühmten Revolverkette an – Schmuck oder Statement?

Schmuck (überlegt ein paar Sekunden). Nein, ich korrigiere, es ist eine Mischung aus beidem. Die Kette habe ich viel Jahre und schon als Staatsanwältin getragen. Und auch früher schon bei öffentlichen Auftritten. Ich weiß nicht, warum sie jetzt plötzlich so interessant für alle geworden ist, aber ich werde sie weitertragen. Offensichtlich ist sie zu meinem Markenzeichen geworden.

Kölsch oder Alt?

Weder noch.

FC oder Fortuna?

FC?

Königsallee oder Mittelstraße?

Die Kö.

Laufband oder Rheinufer?

Sowohl als auch.

Die Toten Hosen oder die Höhner?

Hosen.