Gelsenkirchen-Beckhausen. Der Gelsenkirchener Klaus Kahmann war jahrzehntelang alkohol- und drogenabhängig. Wie er den Kampf gegen die Sucht gewann.

Klaus Kahmann hat schon häufig versucht, trocken zu werden. Er war in Entzugskliniken und Psychiatrien, wenn auch nie in wirklich aufrichtiger Besserungsabsicht, und hat danach sofort wieder angefangen zu trinken. „Ich könnte jetzt auch schon tot sein“, sagt der 51-Jährige heute mit ernstem Blick. Jahrzehntelang war Kahmann alkohol- und drogenabhängig, leidet an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und Depressionen. Doch er hat sich freigekämpft – und sich in Gelsenkirchen ein neues Leben aufgebaut.

Es ist dieser eine Tag, der alles verändert. Die Hochzeitsfeier seiner Tochter. „Ich habe so viel Bier und Schnaps getrunken, dass ich mich mit dem Schwiegervater meiner Tochter geprügelt habe“, erinnert sich Kahmann. Anschließend fährt er zu dem Campingplatz in den Niederlanden, auf dem er zu diesem Zeitpunkt lebt, und trinkt weiter. Blackout. „Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist, dass mehrere Nachbarn mich angegriffen haben.“

Mit 2,9 Promille im Blut an der deutschen Grenze aufgegriffen

Blutüberströmt setzt er sich ins Auto, fährt zur deutschen Grenze und wird dort von der Polizei aufgegriffen. Das Ergebnis des Bluttests: 2,9 Promille. Kahmann muss seinen Führerschein sofort abgeben. Dieser Abend gibt den Ausschlag. Er will trocken werden, diesmal wirklich. Er macht einen Entzug, verlässt sein altes Umfeld in Borken, zieht nach Gelsenkirchen. Hier ist er immer noch in Therapie und besucht regelmäßig eine Selbsthilfegruppe des Kreuzbundes . Heute hat er seine Sucht besiegt.

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Doch wie rutscht man überhaupt in eine so massive Abhängigkeit? Eine einfache Antwort darauf gibt es nicht. Schon in seiner Jugend trinkt Kahmann viel Alkohol, auf Feiern, mit der Clique. „Ich habe schnell gemerkt, dass ich psychisch labil bin und zu Suchtverhalten neige“, sagt er.

Zum Alkohol kommen die Drogen: LSD, Ecstasy, Kokain, Speed

Der Grund? Möglicherweise dieser: „Ich hatte kein gutes Verhältnis zu meinen Eltern, habe mich immer nach Liebe und Zärtlichkeit gesehnt. In der Schule wurde ich gehänselt, weil ich stotterte und sehr dünn war. Vielleicht habe ich da auch einen Knacks bekommen.“ Genau wisse er es aber selbst nicht.

Im Alter von 17 oder 18 kommt er zusätzlich mit Rauschgift in Kontakt. Zuerst kifft er, schnell nimmt er auch härtere Drogen . LSD, Ecstasy, Kokain, Speed – Substanzen, die aufputschen. Nächtelang ist er wach und funktioniert trotzdem am nächsten Tag bei der Arbeit. Seine Ehefrau, so sagt er, habe – anders als von seinem Alkoholkonsum – von den Drogen nichts mitbekommen.

„Mir war zu dem Zeitpunkt einfach alles egal“

Auch hier bringt ihn ein Schockmoment zum Umdenken. Im Alter von 40 Jahren nimmt er mit einem Freund zusammen die halluzinogene Droge Mescalin. „Das war, als ob sich ein Loch aufgetan hätte und ich fiel immer tiefer hinein“, beschreibt er. Die Substanz habe ganz anders „geknallt“, als alles, was er zuvor konsumierte. „Das war der Punkt, wo ich gesagt habe: Das geht nicht mehr.“ Also nimmt er sich vor, clean zu werden – und schafft das auch.

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Anders verhält es sich jedoch mit dem Alkohol. Kahlmann kann und will nicht loskommen von der Flasche. Seine Ehe zerbricht nach 14 Jahren daran: „Meine Frau hat mich vor die Entscheidung gestellt: ‘Dieses Lotterleben oder ich’. Mir war zu dem Zeitpunkt einfach alles egal. Ich habe nur noch für den Alkohol gelebt.“

Symptome der Borderline-Störung verschlimmern sich durch den Alkoholmissbrauch

Auf dem Campingplatz in den Niederlanden trinkt er schon zum Frühstück Bier, zum Schluss einen ganzen Kasten am Tag. Die Sucht habe ihn komplett im Griff gehabt: „Bevor ich abends ins Bett gegangen bin, habe ich nachgeschaut, ob für den nächsten Morgen genug Bier da ist, damit ich nicht anfange zu zittern oder mich zu erbrechen.“

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Der Alkohol verschlimmert auch die Symptome von Kahmanns Borderline-Störung , enthemmt ihn, wenn er das Bedürfnis verspürt, sich mit einem Cutter-Messer selbst in die Haut zu schneiden. Borderline-Patienten neigen zu Impulsivität, instabilen zwischenmenschlichen Beziehungen, einem gestörten Selbstbild und selbstzerstörerischem Verhalten. Immer wieder quälen ihn auch Suizidgedanken, zwei gescheiterte Selbstmordversuche hat er hinter sich.

„Am liebsten würde ich anderen Alkoholkranken helfen“

„Die Drogen gaben mir Glücksgefühle. Den Alkohol habe ich getrunken, um mich zu zerstören“, erzählt er. Er sei einfach mit sich und seinem Leben unzufrieden gewesen. Besonders nachdem er mit nur 30 Jahren in Frührente gehen musste, weil sein Darm infolge einer chronischen Erkrankung geplatzt war, habe er keinen Sinn mehr gesehen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich irgendwann vom Trinken loskomme.“

Die langen Jahre der Abhängigkeit haben ihre Spuren hinterlassen. Trotzdem sagt Kahmann heute: „Es geht mir gut.“ Er hat einen 450-Euro-Job an der Kasse, hat zehn Kilo zugenommen. Seit er trocken ist, hat er sich nicht mehr selbst verletzt. Für die Zukunft plant er, sich in Gelsenkirchen ehrenamtlich zu engagieren : „Am liebsten würde ich anderen Alkoholkranken helfen.“