Duisburg. Selbstzweifel und Selbstverletzungen gehören oft zur Borderline-Persönlichkeitsstörung. Eine Betroffene berichtet von ihrem emotionalen Chaos.
„Wir sind keine Monster“, sagt Jennifer Spiegel. Sonntag vor einer Woche aber sahen Millionen Zuschauer im Kölner „Tatort“ der ARD eine Borderline-Patientin, die zur Mörderin wird. Auch Jennifer Spiegel leidet an der Persönlichkeitsstörung und leitet in Duisburg eine Selbsthilfegruppe für Betroffene, die oft mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Wie es sich anfühlt, an der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) zu leiden.
Das Leben der 33-Jährigen ist oft eine unkontrollierbare Achterbahnfahrt. Extreme Stimmungsschwankungen und schwere Depressionen gehören zum komplexen Krankheitsbild. Instabilität prägt ihren Alltag – im Selbstbild und in Beziehungen.
Borderline-Persönlichkeitsstörung: Traumata als Auslöser der Erkrankung
„Oft ist ein Trauma ein Grundstein für die Störung“, sagt Spiegel. So wie bei ihr. In ihrer Biographie findet sie im Kapitel über ihre Kindheit nur einen Buchstabensalat. „Meine Erinnerungen sind weg.“ Verdrängt. Früh wird sie zur Oma gegeben, erlebt starke Verlustängste. Daran erinnert sie sich.
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Doch die frühe Schulzeit ist wie ausradiert. Ein Fotoalbum ihrer Kindheit stellt sie vor ein unlösbares Rätsel. „Ich erkenne mich nicht auf eigenen Bildern.“ Psychologen sprechen in solchen Fällen von einer dissoziativen Störung. Gedächtnislücken. Wie sie etwa nach Misshandlungen, sexuellem Missbrauch oder fehlender emotionaler Zuwendung in der Kindheit entstehen können.
Wie mit einer Taschenlampe hat Jennifer Spiegel versucht, in Therapiesitzungen die dunklen Ecken ihrer Vergangenheit auszuleuchten. Antworten hat sie bis heute nicht. Nur bei ihrer Krankheit hat sie Gewissheit: Sie leidet an BPS.
Unsicherheiten prägen den Alltag von Jennifer Spiegel
Gefühlschaos. Schwarz und Weiß mit nichts dazwischen – so etwa kann das Leben beschrieben werden. Während negative Gefühle bei vielen Menschen schnell wieder abflauen, ist das bei Menschen mit emotional instabiler Persönlichkeitsstörung anders. Ihr emotionales Gleichgewicht kippt schnell, Wut oder Verzweiflung können Betroffene von jetzt auf gleich übermannen.
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Der Alltag von Jennifer Spiegel ist vor allem durch Unsicherheiten geprägt. Komplimente annehmen, Gefühle zeigen – „schwierig“, sagt Spiegel. „Ich würde gerne, aber ich kann es nicht.“ Es fällt ihr schwer, jemanden in den Arm zu nehmen. Immer hat sie Fragen: Möchte mein Gegenüber das überhaupt? Wie komme ich rüber? Sie leidet an ihrem geringen Selbstwert und scheitert oft, frustrierende Erlebnisse emotional zu verarbeiten.
Selbstverletzungen gehören oft zum Krankheitsbild
Wird der Stress zu groß, suchen Betroffene nach Notlösungen. Mit zwölf Jahren kommt sie zum ersten Mal in eine ambulante Jugendpsychiatrie. Sie hatte sich selbstverletzt, auch das gehört oft zum Krankheitsbild. „Der innerliche Druck war zu groß.“ Andere Betroffene greifen nicht zur Klinge, sondern treiben exzessiv Sport, geben massig Geld aus oder greifen zum Alkohol. In einer Therapie und durch Gespräche in der Selbsthilfegruppe hat sie gelernt, selbstschädigendes Verhalten zu vermeiden.
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Ein Stresstest im Alltag sind für sie Geburtstage und die Frage: Was verschenke ich? „Dann kommen direkt Gedanken, ich könnte ihn enttäuschen.“ Ihr Puls steigt und es fühlt sich an, „wie ein tonnenschweres Gewicht auf meiner Brust“. Selbstzweifel prägen so das Verhältnis in Freundschaften und Beziehungen und machen Bindungen schwierig.
„Es wird immer ein Teil von mir bleiben“
„Ich musste lernen, dass ich darüber reden muss“, sagt sie über ihre Fortschritte. Seit 2012 hat sie einen festen Freund und auch wenn es „Höhen und Tiefen“ gibt – „ich bin auf einem guten Weg“, auch wenn sie weiterhin Verlustängste plagen. Einem festen Job könne sie aufgrund ihrer Arbeit nicht nachgehen. „Die Belastung im Beruf ist zu groß.“ Zu hoch sind die Erwartungen an sich selbst – „das würde auf Dauer nicht gut gehen.“ Sie selbst sagt, ihre Krankheit sei nicht heilbar, könne nur „kontrolliert“ und „abgemildert“ werden. „Es wird immer ein Teil von mir bleiben.“
Trotzdem ist sie entspannter geworden, kann unter Menschen gehen und mehr Freundschaften zulassen. Menschen, die ähnliche Empfindungen verspüren, rät sie: „Man sollte sich immer Hilfe suchen, nicht Dr. Google fragen.“
Wo Betroffene in Duisburg Hilfe finden
In Duisburg gibt es verschiedene Selbsthilfegruppen für Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und Angehörige. Jennifer Spiegel leitet eine Gruppe für junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren. Anonyme Treffen finden normalerweise jeden zweiten und vierten Dienstag im Monat statt.
Laut Corona-Schutzverordnung dürfen Selbsthilfegruppen in NRW ihre Arbeit wieder aufnehmen. Die Einhaltung der Hygienestandards ist wichtig, das Angebot hängt auch von der zur Verfügung stehenden Raumgröße ab.
Kontakt zu den Gruppen und weitere Informationen gibt es bei der Selbsthilfekontaktstelle in Duisburg. Interessenten melden sich unter 0203 6099 041 oder per E-Mail unter selbsthilfe-duisburg@paritaet-nrw.org