Essen/Gelsenkirchen. Bei einer Wohnungsdurchsuchung in Gelsenkirchen fallen Schüsse. Ein Polizist stirbt. Heute beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter.

Fast sechs Monate nach dem tödlichen Schuss auf einen 28 Jahre alten SEK-Beamten der Polizei muss sich der mutmaßliche Schütze nun vor dem Essener Landgericht verantworten. Staatsanwältin Sonja Hüppe wirft dem 30-jährigen Thomas K. in ihrer Anklage Mord vor. Die Beamten hatten die Wohnung des Angeklagten am 29. April stürmen wollen, weil sie ihn des Drogenhandels verdächtigten. In diesem Moment soll er geschossen haben. Acht Sitzungstage bis zum 17. Dezember hat das Schwurgericht geplant.

Im Februar hatte die Polizei bei Vernehmungen im Drogenmilieu erfahren, dass Thomas K. im großen Stil mit Marihuana handeln soll. Dabei hörten die Ermittler auch, dass er im Besitz einer scharfen Schusswaffe und einer Handgranate sein soll. Deshalb zogen die Beamten das Sondereinsatzkommando der Polizei in Münster hinzu, als sie den bereits am 18. März vom Amtsgericht Essen erlassenen Durchsuchungsbeschluss vollstrecken wollten.

SEK-Einsatz morgens um sechs Uhr

Bis zum Einsatztag bereitete die Polizei die Aktion vor und observierte den Verdächtigen. Am 29. April standen die Beamten vor dem Haus in der Augustin-Wibbelt-Straße im Stadtteil Buer. Dort lebte Thomas K. in der Dachgeschosswohnung des von drei Parteien bewohnten Hauses.

Um sechs Uhr morgens rammte das SEK unten die Hauseingangstür, zügig liefen die Beamten durch das enge Treppenhaus nach oben. Dort setzten zwei Beamte, darunter das spätere Opfer, die Ramme an. Die Wohnungstür sprang auf, dahinter tauchte Thomas K. auf, der laut Anklage direkt zwei Schüsse abgab. Einer traf.

Kein Schutz bei seitlichem Schuss

Der 28 Jahre alte Beamte trug zwar eine Schussweste, doch er stand seitlich zum Schützen. Deshalb schützte sie ihn im Bereich von Schulter und Achsel nicht gegen Schüsse von der Seite. Die Kugel drang in Höhe der Schulter in den Oberarm ein, von dort in den Brustkorb. Sie durchdrang das Herz und die Lunge, bevor sie auf der anderen Körperseite im Muskelgewebe steckenblieb.

In dieser Wohngegend in Buer kam es zu dem tödlichen Schuss auf einen SEK-Beamten.
In dieser Wohngegend in Buer kam es zu dem tödlichen Schuss auf einen SEK-Beamten. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Ohne äußere Anzeichen, nur ein kleines Einschussloch im Arm war zu sehen, verblutete der nach draußen getragene Mann vor dem Haus aus seinen inneren Verletzungen. Obwohl der Notarzt vor Ort war, kam dessen Hilfe zu spät. Bevor er das Bewusstsein verlor, hatte der 28-Jährige die Schwere seiner Verletzung wohl nicht realisiert. Seine Kollegen gaben an, er habe gemutmaßt, von einem Elektroschocker getroffen worden zu sein.

Laut Polizei gerufen

In ihren Vernehmungen hatten die SEK-Beamten einhellig gesagt, sie hätten sich nach dem Rammen der Tür laut und deutlich als "Polizei" zu erkennen gegeben. Außerdem seien sie durch die reflektierenden Buchstaben auf ihrer Uniform als Polizisten zu erkennen gewesen.

Thomas K. hat sich bislang nicht offiziell vernehmen lassen. Daran soll sich auch am Freitag nichts ändern, sagt sein Verteidiger Siegmund Benecken, der den Gelsenkirchener gemeinsam mit dem Essener Anwalt Victor Berger vertritt. Beide wollen vor dem Schwurgericht aber für ihren Mandanten eine Erklärung abgeben.

Thomas K. ließ sich ohne Widerstand festnehmen

Nach dem tödlichen Schuss hatte Thomas K., der durch die Aktion mit der Ramme um sechs Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen wurde und völlig nackt war, ins Bad geflüchtet. Dort folgte er der Aufforderung der Beamten, sich zu ergeben. Widerstandslos ließ er sich festnehmen.

Mehrere Polizisten gaben an, dass Thomas K. sich ihnen gegenüber spontan geäußert habe. Er soll gesagt haben, dass er den Schriftzug "Polizei" gelesen und dann geschossen habe. Warum habt ihr nicht geklingelt, dann hätte ich doch geöffnet, soll er hinzugefügt haben. Geschossen habe er aus Furcht, von feindlichen Rockern überfallen zu werden. Nähere Angaben zu diesen Rockern machte er nicht. Im Drogenmilieu soll er geäußert haben, er habe sich bewaffnet, um einen Polizeieinsatz abzuwehren.

Einen Beruf hat er nie gelernt, Abitur soll er haben. In seiner Wohnung fand die Polizei Waffen, allerdings nicht die von einem Zeugen angekündigte Handgranate. Weil in einem Zimmer 1,4 Kilogramm Marihuana lagen, unterstellt Staatsanwältin Sonja Hüppe ihm das Mordmerkmal "zur Verdeckung einer Straftat". Das Schwurgericht unter Vorsitz von Richter Jörg Schmitt wies Anfang der Woche noch auf ein zweites mögliches Mordmerkmal hin: Bewusste Schüsse auf einen Polizeibeamten könnten ein niedriger Beweggrund sein.