Gelsenkirchen. Anerkennung, Abschied, eine Wahl, Resolutionen, Streit: Zum letzten Mal in dieser Legislaturperiode tagen die Gelsenkirchener Stadtverordneten.

Es war die 44 Sitzung des 16. Rates der Stadt in dieser Legislaturperiode. Die Antragsunterlagen und Vorlagen füllten einen dicken Aktenordner. 24 Tagesordnungspunkte mit 34 Unterpunkten galt es politisch abzuarbeiten, allein im öffentlichen Teil. Ein besonders dickes Aufgabenpaket. Nicht nur deshalb war es eine außergewöhnliche Sitzung: Es war die letzte ordentliche in dieser Ratskonstellation vor der Kommunalwahl, auch die letzte, die Oberbürgermeister Frank Baranowski leitete und für ein Statement nutzte, aber auch die letzte, an der einige altgediente Kommunalpolitiker teilnahmen.

Entsprechend war die Stimmung von Abschieden, Anerkennung und Dank, Neubeginn und einem Hauch Wehmut, von stetem Personalwechsel der Fraktionen wegen der Corona-Regeln sowie einigen Lüftungs- und Putzpausen aus Gründen der Hygienevorschriften geprägt. Aber auch von langen inhaltlichen Beiträgen über Themen, die nur das Kommunale streifen, und altem Streit. Um 11 Uhr begann die Sitzung. Um 16.45 Uhr war sie (erst) bei Tagesordnungspunkt vier angelangt: Der Wahl der neuen Beigeordneten für Kultur, Bildung, Jugend, Sport und Integration.

Die Beigeordnetenwahl

Anne Heselhaus, die ehemalige Gelsenkirchener Polizeipräsidentin, wird im Amt Annette Berg nachfolgen, die nach Berlin geht. Die Grünen hatten ihren Stadtverordneten David Fischer ebenfalls zur Wahl gestellt. Das Ergebnis der geheimen Abstimmung: 28 Stimmen für die parteilose Heselhaus, vier für den Grünen Fischer, elf Nein-Stimmen und eine Enthaltung. Heselhaus, von allen Seiten mit Blumen und Glückwünschen bedacht, bedankte sich „herzlich für das Vertrauen“ und reichte allen – zumindest verbal – „die Hand zur Zusammenarbeit“. Sie stehe für Kommunikation, betonte die Juristin und freue sich, etwas für Kinder, Kultur, Integration und Sport in Gelsenkirchen zu bewegen.

Das Schulpaket

Seit 2013 hat die Zahl der Kinder in Gelsenkirchen um 29 Prozent zugenommen, durch mehr Geburten, vor allem aber durch den Zuzug aus Südosteuropa und durch die Zuweisung von Flüchtlingen. Weit über 18.000 neue Bürger hat die Stadt – und die müssen auch beschult werden. Die Stadt legte – nach zähem Ringen in den Fachausschüssen und manchen Volten in der Vergangenheit (Stichwort: Sekundarschule für den Schalker Verein) ein „sehr umfangreiches Paket vor, so Dezernentin Annette Berg. Drei vierzügige Grundschulen in den Bezirken Mitte und Süd sollen errichtet werden, dazu zwei sechszügige Gesamtschulen. Für eine steht der Platz fest: Möglichst 2024 soll die Europaschule am Schalker Verein an den Start gehen. Damit folge man dem Elternwillen und den Anmeldezahlen, steht für die Ratsmehrheit fest. Allein: Bei den Gesamtschulen blieb die CDU-Fraktion außen vor, ansonsten wurde die Planung einstimmig abgesegnet. „Für uns haben alle Schulen gleiche Priorität wie die Gesamtschulen“, betonte der CDU-Stadtverordnete Markus Karl und kündigte bereits an, dass nach der Wahl für sie auch wieder die Dependance für die Hauptschule Dahlbusch oder die Gymnasium-Sporthallen für AvD und MPG unverändert auf die Agenda kämen.

Der Gebührenerlass

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Eigentlich waren sich alle in der Sache einig, dennoch wurde die Debatte, wer in welcher Partei die Idee zunächst eingebracht hat, erbittert geführt: Am Ende stand das einstimmige Votum, die Sondernutzungsgebühren für die Außengastronomie und Außenverkaufsbereiche des Einzelhandels auszusetzen. Durch eine schnelle und unbürokratische Bewilligung sieht Peter Tertocha, Fraktionschef der Grünen, die Chance, der Gastronomie in der Coronakrise zu helfen. Für Sascha Kurth (CDU) kann die finanzielle Entlastung helfen, „dass Gelsenkirchen nicht Stadt der Leerstände wird.“ Die Summe ist übersichtlich: Auf rund 130.000 Euro Gebühren würde im laufenden Jahr verzichtet.

Resolution 1

Einstimmigkeit zu Beginn: SPD, CDU und Grüne forderten in einer gemeinschaftlichen Resolution, die Schließungspläne von Seppelfricke und Küppersbusch Großküchentechnik zu verurteilen und appellieren an die Unternehmen, ihrer unternehmerischen Verantwortung gerecht zu werden und die Schließungsbeschlüsse zu überdenken.

Resolution 2

AUF Gelsenkirchen hatte eine ähnliche Resolution formuliert, ebenfalls eine für einen Kommunalen Altschuldenfonds. SPD und Grüne legten hier ebenfalls vor, skizzierten die Verantwortlichkeit von Bund und Land und die Blockade der CDU bei einer kommunalen Altschuldenlösung. „Die Städte müssen jetzt entschuldet werden“, betonte Lukas Günther (SPD), sie müssten „die Finanzkraft bekommen, die sie brauchen. Und die ihnen zusteht.“ Die Niedrigzinsphase als Chance zu nutzen, die aufgelaufenen Kassenkredite zu günstigen Konditionen langfristig umzuschulden“, ist für die Grünen ein Ziel. Verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten bei den Finanzschäden über einen Zeitraum von 50 Jahren lösten hingegen laut Tertocha „das Problem der Städte nicht, den Vorschlag fasse ich schon fast als intellektuelle Beleidigung auf.“

Städte sicherer Häfen

Dass Flüchtlinge in den Lagern auf griechischen Inseln unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, ist für die Mehrheit im Rat der Stadt unstrittig. Dass sie eigentlich auch - mit Ausnahme der CDU – das Bündnis „Städte sicherer Häfen“ begrüßen, ebenso. 158 Kommunen, davon rund 40 in NRW, zählen bislang zum Bündnis und wollen Flüchtlinge, vor allem unbegleitete Kinder aufnehmen. 56 Plätze solle Gelsenkirchen zur Verfügung stellen und dem Bündnis beitreten, forderten die Grünen per Antrag, ebenso AUF Gelsenkirchen. Das Thema sahen sie von der SPD gekapert. Die wartete kurzfristig mit einem eigenen Antrag auf: Auch die Sozialdemokraten sehen das Bündnis als „gute Initiative“, wollen aber sicherstellen, dass die Integrationsleistung der Stadt nicht weiter überfordert wird angesichts von aktuell 8128 Geflüchteten und 8625 Zuwanderern aus der EU-Ost, die in Gelsenkirchen leben. Die SPD will daher eine Art Quotierung. SPD-Fraktionschef Klaus Haertel: „Ja, wir wollen uns beteiligen, aber wir formulieren eine Einschränkung in unserem Antrag, denn im Moment können wir die nötigen Integrationschancen nicht bieten.“ Dass sie sich damit durchsetzten, war für die Grünen „ein Affront“.

Eklat mit Ansage

David Fischer, Ratsherr, OB- und Beigeordnetenkandidat der Grünen, nutzte den Themenkomplex Schule für eine persönliche Erklärung. Er sieht eine „dauerhafte Reputationsschädigung seiner Person durch die SPD, den Oberbürgermeister“ und Teile der Verwaltung, sieht sich gar als Opfer einer „Rufmordkampagne“. Seine öffentlichen Kritik an der „inkompetenten Verwaltung“ hatte Oberbürgermeister Baranowski veranlasst, sich zunächst in einem persönlichen Schriftwechsel mit Fischer nicht öffentlich zu positionieren – und nun auch nach den geäußerten Vorwürfen die Kritik offiziell zurückzuweisen.

Die Botschaft des OB

„Dank und Anerkennung“ sprach Oberbürgermeister Frank Baranowski für alle aus, die „Dienst für unserer Stadt geleistet haben“. Angesichts der langen Tagesordnung verzichtete er auf eine lange Bilanz („ich gebe mein Manuskript zur Niederschrift. Einige werden es vielleicht lesen, andere werfen es vielleicht gleich weg“) und nutzte den Anlass für nachdenkliche Worte. Manch schrille Zwischentöne auch in der letzten Ratssitzung dürfte ihn darin bestärkt haben: „Der Umgang im Rat der Stadt war leider nicht immer so wie ich es mir gewünscht hätte“, sagte Baranowski. Er erinnerte die Parlamentarier an ihr Mandat für alle Bürger, mahnte eine respektvollen Umgang an, das demokratische Miteinander. „Eine wehrhafte Demokratie braucht einen wehrhaften Rat, aber auch Sinn für den notwendigen Konsens in grundlegenden Fragen“, betonte Baranowski. „Jeder von uns sollte sich fragen, inwieweit er dieser Verantwortung gerecht wird – nicht zu spalten, sondern zusammenzuführen, an das Ganze zu denken, auch über die verschiedenen Hintergründe, Herkünfte, Haltungen hinweg.“ Am Ende seiner 16-jährigen Amtszeit gab Frank Baranowski den Kommunalpolitikern mit auf den Weg: „Pflegen Sie unsere lokale Demokratie! Wir haben nur diese eine!“