Gelsenkirchen. Seda, eine Mutter aus Gelsenkirchen, ist dem Tod knapp entkommen. Nach der brutalen Messerattacke eines Stalkers spricht sie über ihre Wünsche.

Die Leidensgeschichte von Seda (*) ist lang und noch nicht zu Ende. Die 32-jährige Gelsenkirchenerin musste erst monatelang die Nachstellungen eines Stalkers (43) ertragen, darunter waren auch Todesdrohungen. Im Sommer dieses Jahres dann der blutige Anschlag auf die zweifache Mutter: Der Vater von vier Kindern lauerte der Alleinerziehenden auf, stach 21 Mal mit brutaler Gewalt zu. Seda entkam nur knapp dem Tod. Eine Zeit wie die Hölle für sie in der persönlichen Nachschau. Mit welchen Erwartungen geht Seda da ins neue Jahr? Mit der WAZ sprach Seda über ihre Wünsche.

Wie geht es Ihnen heute, Seda, ein halbes Jahr nach der Messerattacke?

Seda: Äußerlich sind die Wunden verheilt. Es sind nur noch Narben zu sehen, die mich ständig daran erinnern, was mir angetan wurde. Mein rechter Arm ist allerdings noch nicht wieder hergestellt, die Nerven sind geschädigt, das Bewegen funktioniert nicht wie gewohnt. Ich hoffe, dass die Physiotherapie erfolgreich verläuft. Innerlich sieht es anders aus. Ich bekomme den Kopf nicht frei, die Bluttat verfolgt mich.

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Und wie kommen ihre beiden Kinder damit klar?

Beide werden von einem Traumatherapeuten betreut, ebenso wie ich selbst. Sie und ich leben nach wie vor mit und in Angst. Ich versuche stark zu sein, mir nichts anmerken zu lassen, damit ich die Kinder nicht noch zusätzlich verängstige. Etwa, wenn ich für sie koche, die Hausaufgaben mit ihnen durchgehe oder wir zusammen spielen. Zu verstehen, was mir passiert ist, ist schon schwer genug. Das kostet viel Kraft, nachts falle ich innerlich zusammen.

Finden Sie überhaupt Schlaf?

Kaum. Es fällt mir schwer, abzuschalten. Ich wünsche mir, endlich wieder ruhig schlafen zu können. Den Kindern geht es ähnlich. Wir schlafen zusammen in einem Bett, das gibt uns etwas Sicherheit, etwas Halt.

Wie bewältigen Sie den Alltag?

Alleinsein geht nicht. Familie und Freunde stehen uns daher zur Seite. Sie springen ein, wann immer ich Unterstützung brauche oder die Kinder jemanden, der auf sie aufpasst – etwa für einen anstehenden Arztbesuch oder beim Einkaufen. Ich bin sehr dankbar für diese Hilfe, denn ohne Begleitung traue ich mich nicht unter Menschen.

Werden die Kinder in der Schule auf die Messerattacke und ihre Mutter noch angesprochen?

Die Schule hat schnell und sehr umsichtig reagiert, Eltern und Kinder darüber informiert, was geschehen ist und unter welchen Folgen wir zu leiden haben. Wir haben daraufhin viel Verständnis und Anteilnahme erfahren, die Kinder werden zum Glück von ihren Mitschülern nicht mit dieser abscheulichen Gewalttat konfrontiert.

Sie haben früher als Zumba-Trainerin gearbeitet, können Sie schon wieder einer Beschäftigung nachgehen?

Nein, und das bedauere ich sehr. Körperlich und seelisch bin ich nach dem Messerangriff noch nicht in der Lage, zu arbeiten. Das Trauma hat dazu geführt, dass ich mich nicht lange konzentrieren kann. Ich bin nach wie vor nicht arbeitsfähig. Ich lebe jetzt von Sozialhilfe.

Am heutigen Montag beginnt in Essen der Prozess gegen den mutmaßlichen Messerstecher. Vorwurf: versuchter Totschlag.

Ja. das ist richtig. Dieses Grauen noch einmal zu durchleben, wird außerordentlich schwer. Aber es hat was Gutes. Ich möchte erreichen, dass Behörden, Polizei und Justiz, aber auch die Öffentlichkeit dem Problem von Stalking mehr Aufmerksamkeit schenken und vor allem den Schutz der Betroffenen verstärken.

Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft, welche Ziele?

Im Voraus zu planen, fällt mir ehrlich gesagt schwer. Ich war damals ja bereits am Berufskolleg Königstraße aufgenommen worden, wollte eine Ausbildung zur Kinderpflegerin machen. Das Attentat hat diesen Plan zunichte gemacht. Mit Blick auf den Täter wünsche ich mir, dass dieser Mann seine gerechte Strafe erhält und für niemanden mehr eine Gefahr in Zukunft darstellt. Den Kleinen wünsche ich von Herzen, dass sie endlich unbeschwert und frei von allen Sorgen und Ängsten aufwachsen können. Für mich selbst hoffe ich, dass ich meine Ausbildung nachholen kann. Mein beruflicher Traum ist es, in einem Kinderheim zu arbeiten.

(*) Seda ist der Spitzname der Frau. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.