Gelsenkirchen-Buer. . Elektrosteiger auf Westerholt war Reinhard Ostermann. 2009 war für ihn Schicht. Danach trieb es ihn in die Politik – und zu den Jecken vom Pütt.

„Am 19. Dezember 2008 haben wir die Zeche stillgelegt“, sagt Reinhard Ostermann. Ein paar Tage hatte er noch auf seinem Pütt zu tun. Aufräumen, abbauen, alles ordentlich hinterlassen. Am 15. Januar 2009 war dann Ostermanns letzte Schicht – nach einem Arbeitsleben auf Westerholt. Mit 15 hatte er dort in Hassel 1975 seine Lehre angefangen, stieg die Karriereleiter hinauf. Am Ende war er Elektrosteiger und damit technischer Angestellter, hatte die Aufsicht über die Zechen-Elektrik an Bandstrecken und Signalanlagen und 83 Elektriker, verteilt auf drei Schichten.

© Olaf Ziegler

Zudem hatte Ostermann „Sonderaufgaben“. Arbeitsschutz beispielsweise. Oder das Projekt „4000 Wagen“. Dass der Pütt und die Förderlogistik leistungsfähiger als gedacht seien, sollte und wollte er mit den Kollegen demonstrieren, eben zeigen, dass mehr Kohle durch den Schacht-„Flaschenhals“ passt. „Am dritten Tag haben wir schon 4300 Wagen gefördert und gezeigt: es liegt nicht am Schacht“, sagt Ostermann – die Leistung macht ihn heute noch stolz.

1000 Feuer sind erloschen

Ein Video-Filmchen mit vielen bewegenden Bildern gibt es noch vom letzten Tag auf seinem Pütt Westerholt, der damals längst den Namen Bergwerk Lippe trug. Ostermann hatte zum Abschied geladen – in sein „Kanzleramt“, wie die Kumpel scherzhaft sein Büro in 893 Metern Tiefe nannten. Merke: Ostermann ist Genosse. Über 100 belegte Brötchen hat Ostermann damals für seinen Abschied mit nach unten genommen. „Um 9 Uhr waren die aufgegessen. Es waren alle da: Wartungsabteilung, Schachtleute, Wetterabteilung, Wasserhaltung“. Die Bilder auf dem Laptop-Bildschirm dokumentieren das Büro-Gewusel unter Tage. Musikalisch unterlegt gehen sie auch 2018 noch ans Herz.„Rudy Cash“ tönt aus den kleinen Lautsprechern: „1000 Feuer sind erloschen. Die Förderräder stehen still. Die Kauen sind leer, und der Puls aus Erz und Stahl schlägt schon lange Zeit nicht mehr...“

Seit 2009 SPD-Stadtverordneter für Hassel-Süd

Textzeilen, die Ostermann heute noch schlucken lassen. „War schon eine tolle Zeit“, sagt er. Und: „Ich würde jederzeit wieder im Bergbau anfangen.“ Dabei wollte Ostermann als Jugendlicher eigentlich „irgendwas mit Grafik und Werbung“ machen. „Aber gut, dass es so nicht gekommen ist.“

49 Jahre alt war er, als er ausschied. Zu jung, um nur die Rabatten im kleinen Garten an der Mühlenstraße zu pflegen. Ostermann strebte damals ein Ratsmandat an, ist seit 2009 SPD-Stadtverordneter für Hassel-Süd. Einsatz für andere, Solidarität leben, das hat er sozusagen in seinem Lebens-Umfeld aufgesogen. Sein Vater war zunächst Bergmann, zur Zeche Bergmannsglück gehörte sein Siedlungs-Doppelhaus, Baujahr 1904, einst. Viele aktive oder ehemalige Bergleute leben und lebten rundum.

„Bergleute singen“ steht auf dem Einband

© Olaf Ziegler

„Zeche war immer ein Familienbetrieb, man konnte sich aufeinander verlassen , es war immer wichtig, auf die Leute zu achten“, meint Ostermann. „Man hat zusammen gearbeitet, man hat zusammen gefeiert.“ Davon zeugt eine alte Liederfibel, die sein Vater Egon und sein Onkel Karl-Heinz veröffentlicht haben: „Bergleute singen“ steht auf dem Einband. Auch Ostermann hat eine Liedersammlung zusammengestellt. Das passt zu seiner geselligen Seite, die er seit einigen Jahren auch ordentlich in einem Verein auslebt. „Ich hatte einen Krankenschein und lag auf dem Sofa, habe dabei am 11.11. den Sessions-Beginn in Köln geguckt“, erinnert sich der Ingenieur an ein jeckes Schlüsselerlebnis. „Was die können, können wir auch“, dachte er sich, brachte die Idee in die Gemeinschaft der Bergmannsglücker Vereine ein und fand bald Mitstreiter.

Eigene Liedersammlung zusammengestellt

„Wir waren ja völlig unbedarft. Am Anfang musste ein Name her, der sollte was mit Kohle zu tun haben.“ Am Ende des Denkprozesses standen 2011, durchaus naheliegend, „Die Jecken vom Pütt“. Und wenn Ex-Bergleute was anpacken, dann richtig und auch etwas anders – mit Sitzungskarneval (letzter Samstag im Januar) als Mitmachparty, mit „Berggeist wecken“, mit eigenem Dreigestirn („Steiger, Hauer und Bergjungmann, wobei der bei uns immer weiblich ist, das ist gut angekommen“) und Festwagen.

Steiger, Hauer und Bergjungmann als Dreigestirn

Als Jeck hat Reinhard Ostermann auch ein Herz für Orden. Die seines Vereins lässt er gestalten – „die sind fertig bis zur Session 2021“, erzählt er.
Als Jeck hat Reinhard Ostermann auch ein Herz für Orden. Die seines Vereins lässt er gestalten – „die sind fertig bis zur Session 2021“, erzählt er. © Olaf Ziegler

In Erle auf dem Rosenmontagszug sind die Pütt-Jecken dabei. „Wenn wir dort das Steigerlied spielen, steppt der Bär“, sagt Ostermann. Geschäftsführer bei seinen Karnevalisten ist er. „Ich finde es wichtig, dass man sich beschäftigt, sich nicht isoliert. Und wenn gar nichts mehr geht, dann gründet man eben einen Karnevalsverein“, lacht der 58-Jährige, der die Leidenschaft mit seiner Frau Birgit, „unser Bergjungmann in der Session 2016/17“, teilt.

Die Karnevalsorden für seinen Verein hat er schon gestalten lassen. „Die sind fertig bis zur Session 2021“, sagt Ostermann. „Man weiß ja nie, was kommt.“ Nun, auf jeden Fall der Abschied vom Bergbau 2018. Ein Fehler“, findet Ostermann, weil Deutschland eine „sichere Energiequelle“ aufgebe. Und auch das wurmt ihn: Zur großen Abschiedsfeier „werden vor allem Leute eingeladen, die mit dem Bergbau wenig zu tun hatten oder Chef waren.“

>>>Bergwerk Westerholt von 1910 bis 2008 in Betrieb

1907 wurde an der Grenze von Buer nach Westerholt mit dem Abteufen der Förderschachtanlage Westerholt 1/2 begonnen.

1910 ging die Zeche in Betrieb, 1912 die erste (bis 1953) Kokerei. 1968 wurde Westerholt in die Ruhrkohle AG übernommen, 1998 schließlich von der DSK. Gefördert wurden rund 2,5 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr.