Gelsenkirchen. . Wut, Entsetzen und Trauer bei ZF-TRW. Die Produktion am Standort Schalke Nord soll Ende 2018 auslaufen. Betroffen sind mindestens 350 Beschäftigte.

Hiobsbotschaft in Schalke Nord: Der Automobilzulieferer ZF-TRW will die Produktion zum Jahresende schließen. Der Standort an der Freiligrathstraße hat 510 Mitarbeiter, davon rund 350 in der Produktion. „Wir werden kämpfen und alles daran setzen, dass es hier nach dem 31. Dezember weitergeht“, bekräftigen Betriebsrat, IG Metall und Belegschaft am Mittag vor dem Betriebstor.

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Die Frühschicht steht zum Protest und zur Versammlung vor den Werkshallen. Die Stimmungslage der Betroffenen? Wütend, entsetzt, frustriert. „Wir sind ein produktives Werk, wir machen Gewinn, wir haben auch im April gute Zahlen geschrieben. Und das Ergebnis ist, dass wir in den Arsch getreten werden“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Ugur Coskun und bekommt zustimmenden Beifall.

2015 von den amerikanischen Eignern übernommen

2015 hat der Weltkonzern ZF mit Sitz in Friedrichshafen den TRW -Standort in Schalke-Nord von den amerikanischen Eignern übernommen. Das Werk hatte damals einen mehrjährigen Restrukturierungs-Prozess hinter sich, wurde auf höhere Produktivität und Kostensenkung getrimmt. Als imitierender Treppenwitz der Geschichte wird nun von der Belegschaft registriert, dass „eine amerikanische Heuschrecke in der Lage war, den Betrieb in einer schwierigen Situation weiter zu führen und von einem deutschen Stiftungsunternehmen jetzt der Deckel drauf gemacht wird.“

Im Dreischichtbetrieb wird aktuell bei ZF gearbeitet. Die Frühschicht versammelte sich Mittwoch auf dem Werksgelände, um über die Hiobsbotschaft zu diskutieren undzu protestieren.
Im Dreischichtbetrieb wird aktuell bei ZF gearbeitet. Die Frühschicht versammelte sich Mittwoch auf dem Werksgelände, um über die Hiobsbotschaft zu diskutieren undzu protestieren. © Olaf Ziegler

Dabei hatte es laut IG Metall und Betriebsrat am 9. Februar noch die schriftliche Zusage seitens der Unternehmensleitung gegeben, dass ZF ab 2020 für andere Produkte am Standort sorgen wolle. Die Jahre ab 2018 sollten mit „Brückenaufträgen“ abgefedert werden. Als Automobilzulieferer ist ZF vor Ort spezialisiert auf Lenkungssysteme.

Wechsel von hydraulischen zu elektrischen Systemen

„Aufgrund schwacher Auslastung und fehlender neuer Aufträge mussten wir unsere Beschäftigten im Werk Gelsenkirchen heute darüber informieren, dass wir die Produktion am Standort voraussichtlich zum Jahresende einstellen müssen“, erklärt Mirko Gutemann, Pressesprecher der ZF Friedrichshafen AG. Hintergrund für die Einstellung der Produktion sei der zunehmende Preisdruck bei Lenkungen für die Automobilindustrie, auch der zunehmende Wechsel von hydraulischen zu elektrischen Systemen, die verstärkt von Wettbewerbern beispielsweise aus Fernost angeboten würden. „Gewisse Technologien laufen aus, die werden nicht mehr nachgefragt von Kunden.“

Management und Mitarbeiter haben laut ZF „in den vergangenen Jahren hart daran gearbeitet, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu steigern. Dennoch konnten wir in Gelsenkirchen seit Jahren keinen substanziellen neuen Auftrag mehr gewinnen – und eine Trendwende ist nicht in Sicht. Das heißt, der Standort lebt nur noch von den Aufträgen der Vergangenheit, die Stück für Stück auslaufen“, so Gutemann. Für jeden einzelnen Mitarbeiter, stellt er fest, sei „das bitter“.

Arbeitsplätze an anderen Standorten angeboten

Über das weitere Vorgehen werde die Unternehmensleitung nun mit den Arbeitnehmervertretern in Gelsenkirchen beraten. ZF bietet jedem Mitarbeiter in Gelsenkirchen an, auf einen Arbeitsplatz an einem anderen Standort von ZF in Deutschland zu wechseln. Für die Belegschaft in Schalke-Nord klingt das Mittwoch wie Hohn. „Wir sind Menschen, die verpflanzt man nicht einfach so“, ruft einer in die Runde auf dem Hof. In Witten hat ZF ein Werk, der Großteil der deutschen Betriebe ist allerdings in Süddeutschland. Für Jörn Meiners, kommissarischer 1. Bevollmächtigter der IG Metall Gellsenkirchen, ist nicht nachvollziehbar, was bei ZF passiert: „Die haben 50 000 Mitarbeiter allein in Deutschland. Und dann soll es keine Arbeit für 350 hier geben?“

Harte Kritik an Standort-Entscheidung von ZF 

AUF Gelsenkirchen hatte bereits im letzten Wirtschaftsförderungsausschuss nach der Zukunft von ZF-TRW gefragt. Das Thema wurde in nichtöffentlicher Sitzung behandelt. Mittwoch sind dann gleich die MLPD-Vertreter als erste mit einem Banner in Schalke-Nord bei der Versammlung vor Ort, um Solidarität zu bekunden. Die gibt es auch von anderer Stelle – gemischt mit Empörung und Unverständnis. „Wir sind bestürzt und können das wirtschaftlich nicht nachvollziehen. Wir werden die Arbeitnehmerschaft unterstützen mit allen Mitteln, die wir haben“, sagt SPD-Fraktionschef Klaus Haertel.

Mitglieder der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Gelsenkirchen halten am Dienstag, dem 20.10.2015, im Hans-Sachs-Haus eine Pressekonferenz zum Ausschuss, der sich mit dem Fehlverhalten in der Jugendhilfe befasst. Im Bild Fraktionschef Dr. Klaus Haertel. Foto: Martin Möller / FUNKE Foto Services
Mitglieder der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Gelsenkirchen halten am Dienstag, dem 20.10.2015, im Hans-Sachs-Haus eine Pressekonferenz zum Ausschuss, der sich mit dem Fehlverhalten in der Jugendhilfe befasst. Im Bild Fraktionschef Dr. Klaus Haertel. Foto: Martin Möller / FUNKE Foto Services

„Die konzernpolitische Entscheidung gegen den Standort Gelsenkirchen ist“ für Wirtschaftsförderungsdezernent Christopher Schmitt „objektiv nicht nachvollziehbar. Das Werk ist bestens aufgestellt, hat hoch motivierte und hoch qualifizierte Mitarbeiter und liefert eine immense Fertigungsqualität, was sich auch in mehrfachen Auszeichnungen widerspiegelt“, so Schmitt. „Andere bedeutende Akteure aus der Branche wie Bilstein, Pilkington und Bleistahl haben jüngst Standort- und Investitionsentscheidungen zugunsten von Gelsenkirchen getroffen. Warum dann ZF als eines der weltweit führenden Unternehmen auf dem Gebiet der Fahrwerk- und Antriebstechnik mit 140 000 Beschäftigten diesen Standort überraschend infrage stellt, ist uns ein Rätsel.“