Gladbeck. .

„Einöde“ ist noch einer der freundlicheren Begriffe, die André für seine „miese kleine Heimatstadt“ übrig hat. Eigentlich hat er den Absprung längst geschafft, es sich beruflich in der Welt gemütlich gemacht. Doch „aus Gründen, die ich hier nicht aufdröseln will“, verschlägt es ihn wieder zurück in die alte verhasste Heimat. Nach Gladbeck.

Das schlimmste aller Klischees gleich zuerst

Dort – neben einigen Kurzausflügen in die angrenzenden Gemeinden – spielt das im Juli erschienene Buch „Ruhrpott-Köter“ von Autor René Schiering. Dieser lässt seine Hauptfigur zurückkehren in eine Heimat, die seine eigene ist. „Ich bin Gladbecker“, stellt er klar, obwohl er vor 15 Jahren die Stadt in Richtung Studium verlassen hat. Nicht die einzige Parallele zu Buchfigur André.

Der stößt gleich an seinem ersten Tag in der neuen alten Heimat auf das schlimmste aller Ruhrgebiets-Klischees: den Vokuhila-Frisur tragenden Vollproll im ballonseidenen Trainingsanzug, Cowboystiefel und Oberlippenbart inklusive. Der namenlose Ruhrpott-Cowboy ist nicht die einzige Hassfigur, deren Weg André auf den kommenden rund 140 Seiten kreuzt.

Da wäre noch Gilla, wasserstoffblondierte Dauerwellenträgerin, deren „unansehnlicher Friseurschuppen im Nirgendwo“ mit Front aus Eichentür und Glasbausteinen nur ganz hartgesottene Stammkunden zum Eintreten veranlasst.

Andrés Vermieterin Frau Szczepaniak, die ihre Wohnung mit einem verlockenden „Da hass’e doch allet, wat’e brauchs’, Andi!“ anpreist.

Schulfreund Dennis alias „Dän“, der seinen Golf GTI mit Alufelgen, neongelber Lackierung und Sportlenkrad für das Nonplusultra hält.

Der cholerische André ist genervt von all dem, was er glaubt, hinter sich gelassen zu haben, als er sich abgewandt hat vom Pott. Vorort-Disco-theken, getunte Autos und vor allem die Menschen, die allen Ernstes dort geblieben sind, obwohl sie die Möglichkeit zur Flucht hatten.

Dass es woanders auf jeden Fall besser ist, zeigt schon der überregionale Trinkhallenvergleich. So ist der Gladbecker Kioskbetreiber „geradeheraus, fest zupackend und mundfaul“. Keine Chance, Gemütlichkeit oder gar Intimität aufkommen zu lassen. In Köln hingehen ist man in der Trinkhalle „nach nich tmal zwanzig Sekunden Teil der Familie. Einmal integriert, wird der Kiosk-Besuch zum Tagesausflug“.

Missmutig lässt André geschehen, was seine Weggefährten von damals – an die er sich größtenteils nicht mehr erinnern mag – anstellen, um den weit gereisten Mann von Welt, der er nun in ihren Augen ist, bei Laune zu halten.

Doch im Laufe der Geschichte wird André klar, dass jeder Mensch nur eine Heimat hat. Sicher, die nordrhein-westfälischen Halden sind keine Weinberge und Haltern am See ist nicht Venice Beach. Aber: „Überall auf der Welt ist es wahrscheinlich pittoresker, aber in diesen Gefilden kenne ich mich aus. Woanders ist es schön, aber hier bin ich nun mal zu Hause.“

Trotz derber Wortwahl nimmt man André den Hass auf seine Umgebung ohnehin nur schwer ab. Zu detailverliebt sind seine Schilderungen der Orte, an die er sich teils nostalgisch zurück erinnert.

„Ruhrpott-Köter“ ist nur fast ein Heimatroman. Viel mehr ist es eine Liebeserklärung an die Heimat, zu der manch einer erst wieder zurückfinden muss.