Gelsenkirchen. Im Kleinen Haus stand Dienstag ein Casting auf dem Programm. Junge Frauen folgten dem Aufruf, sich als Statistinnen für die Oper „Norma“ zu bewerben.
Das Casting im Kleinen Haus des Musiktheaters im Revier (MiR) beginnt mit der Anprobe der Schuhe. Auf zum Teil schwindelerregend hohen Absätzen stolzieren zehn junge Frauen über den Teppich des Foyers. Was bei Jeansträgerinnen mit wollbestrumpften Füßen auch die witzige Note ins Spiel bringt. Eine stakst auf Zehenspitzen, kein Paar Pumps passt. Egal.
Regieassistentin Kathrin Sedlbauer schickt die Bewerberinnen für eine Statistenrolle ein paar Mal auf und ab. Dann sagt sie: „Und jetzt versucht doch mal, eine sinnliche Ausstrahlung zu haben. Zeigt Grazie.“ Dann ist demütige Gebetshaltung gefragt, die Frauen gehen dafür auch in die Knie, simulieren mit dem Ausdruck der Büßerin ein inniges Gebet ... Wie Novizinnen halt in der Oper „Norma“.
Norma ist für viele eine große Unbekannte
Kathrin Sedlbauer ist am Dienstagabend anstelle von Regisseurin Elisabeth Stöppler die aufmerksame Begleiterin und Beobachterin der Bewerberinnen. Stöppler ist für eine aktuelle Inszenierung in Berlin, aber ihre Kollegin weiß, worauf zu achten ist. Eigentlich sollten auf Wunsch der Regisseurin die Novizinnen in ihrer Inszenierung der Bellini-Oper gleich aussehen. Hm, das dürfte schwierig werden – äußerst schwierig. Was die neun Aspirantinnen aber tatsächlich gemeinsam haben: Sie setzen sich völlig unbefangen und schnell in die gewünschte Szene.
Noch etwas verbindet die Frauen: Norma ist für die meisten eine große Unbekannte. Kein Problem, Kathrin Sedlbauer gibt eine kurze Inhaltsangabe. Als es darum geht, dass im ersten Akt eine der Novizinnen geopfert werden soll – und zwar nackt – beruhigt die Regieassistentin lächelnd: „Eine haben wir schon.“ Denn: Sechs Statistinnen wurden bereits beim Casting im Herbst 2015 gefunden, noch einmal so viele sollen es insgesamt werden, weil „Zwölf für die Regisseurin eine wichtige Zahl ist“, wie Sedlbauer betont.
„Ihr habt Todesangst, erdet hysterisch“
Und dann üben die Bewerberinnen, Verzweiflung und inniges Gebet am Sitzhocker darzustellen. Allein, zu dritt, in zwei Fünfer-Gruppen. Sie strömen auf eine imaginäre Lichtquelle zu – und zum Schluss auf die Bühne. „Ihr flüchtet ab hier“ – Kathrin Sedlbauer deutet mit den Füßen eine unsichtbare Startlinie an – „und rennt zur Wand. Ihr versucht, einen Ausweg zu finden, Ihr habt Todesangst, werdet hysterisch ...“
Erstaunlich, wie sich die jungen Frauen vom ersten Probelauf auf hohen Hacken bis zur gespielten Panik an der Bühnenwand wandeln. Allerdings: Einige werden bei der Wahl der Statistinnen auf der Strecke bleiben. Gleichwohl bleiben sie dem MiR als Anwärterinnen für eine Statistenrolle erhalten: in der Kartei von Taciana Cascelli, der Leiterin der Statisterie, geht kein Laien-Talent verloren.
Die heimliche Geliebte eines Römers
Vincenzo Bellini schuf Norma, eine tragische Oper in zwei Akten. Das Libretto von Felice Romani beruht auf einem Drama von Louis Alexandre Soumet. Zum Inhalt der Oper, die 1831 in Mailand uraufgeführt wurde: Norma lebt in Gallien im ersten Jahrhundert vor Christus. Das Land ist von den Römern besetzt, die gallischen Krieger erwarten von ihren Druiden einen Hinweis darauf, dass die Göttin Irminsul mit dem Kampf gegen die Römer einverstanden ist. Die Priesterin Norma verkündet indes, die Zeit sei noch nicht gekommen.
Kein Wunder, denn Norma quält ein innerer Konflikt: Sie hat ihr Gelübde gebrochen und ist seit langem die heimliche Geliebte des Römers Pollione. Mehr noch, sie hat mit ihm zwei Kinder. Pollione hat sich inzwischen aber längst in eine andere, nämlich in die Novizin Adalgisa verliebt und will mit ihr fliehen. Es kommt zu einem Aufeinandertreffen von Norma, Adalgisa und Pollione, in dem die Beziehungen offenbart werden. Norma schwört ihm Rache ...