Gelsenkirchen/Brüssel. Der Gelsenkirchener Markus Töns (MdL) steht dem Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA offen, aber auch kritisch gegenüber.

Was Transparenz in Brüssel mitunter bedeutet, erläutert Markus Töns so: „Wenn ich mich auf den neuesten Stand der Verhandlungen zum Thema Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft bringen will, müsste ich den so genannten Leseraum aufsuchen. Dort kann ich als Mitglied des NRW-Landtages im Ausschuss der Regionen (AdR, die Red.) den letzten Stand in Sachen Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA erfahren.“

Transparenz bedeutet an dieser Stelle auch, dass der Gelsenkirchener Landtagsabgeordnete in diesen Raum weder Papier noch Stift, weder Smartphone noch Tablet oder sonst irgendetwas mitnehmen darf, das nicht den Aspekten der grundsätzlichen Vertraulichkeit entspricht. Doch der 51-Jährige Sozialdemokrat bekennt offen, im Leseraum auf eine weitere große Hürde zu stoßen, wollte er sein Recht in Anspruch nehmen: „Alles ist in erstklassigem Wirtschaftsenglisch verfasst. Ähnlich wie damals bei den Cross-Border-Verträgen. So weit reichen meine Kenntnisse nicht, weder sprachlich noch inhaltlich.“ So viel also zur Transparenz der hohen EU-Politik in Sachen TTIP.

Aufmerksame lokale Politik

Dass dieses Thema in Gelsenkirchen überhaupt so intensiv verankert ist und öffentlich diskutiert wird, ist der aufmerksamen lokalen Politik zu verdanken. Der Rat der Stadt fasste bereits am 11. Dezember 2014 im Sinne der aktuellen AdR-Stellungnahme einen entsprechende Beschluss. Während sich die Grünen und die Linken in der Stadt parteipolitisch und auf gesonderten Veranstaltungen immer wieder kritisch mit TTIP auseinandersetzen, hat die SPD mit Töns einen ausgewiesenen Kenner der Materie, der Partei und Fraktion informiert und darüber hinaus den Düsseldorfer Landtag in Brüssel im Ausschuss der Regionen vertritt. Der erscheint momentan als letzte bemerkenswerte Bastion der Städte und Regionen gegenüber den Verhandlungsführern.

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Dass Markus Töns dem Freihandelsabkommen gegenüber durchaus offen ist, hat er in einer WAZ-Berichterstattung Anfang Dezember 2014 bereits erklärt. Es ist ein Ja, aber eines mit einem ausgeprägten „Aber“, dass er vergangenen Donnerstag der schwedischen EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström während der 110. AdR-Plenartagung erläuterte. „Ja zu vertieftem Handel, ja zum Abbau von Zöllen, ja zu transparenten Regeln. Aber nicht zu jedem Preis. Nicht auf Kosten von hart erkämpften Standards und erst recht nicht auf Kosten des Zusammenhalts in unseren Gesellschaften.“

Die Beteiligung des AdR an der Beratergruppe zu den TTIP-Verhandlungen, die Wahrung der lokalen Verwaltung von wichtigen Dienstleistungen, von Wasser- und Energieversorgung, von Abfallbeseitigung, öffentlichen Verkehrsmitteln und Gesundheitsversorgung gehören zusammen mit der Forderung nach einem Einfuhrverbot für nicht EU-konforme Agrarerzeugnisse zu den zentralen Prioritäten, ohne sich gleich in die Niederungen der berüchtigten Chlorhuhn-Thematik begeben zu müssen. Diese Positionen bewertete der Europäische Ausschuss der Regionen, als er in Brüssel die Auswirkungen der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft auf die lokale und regionale Ebene in einer von Markus Töns erarbeiteten Stellungnahme verabschiedete.

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Von Friedehlm Pothoffzu TTIP

Keine Öffnung um jeden Preis

Ob das dem Durchschlagen eines gordischen Knotens gleichkommt, bleibt allerdings abzuwarten. Der Abbau von Hemmnissen für den Freihandel zwischen der EU und den USA kann nach Meinung des AdR zwar Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern, aber nach Ansicht der europäischen Regionen und Städte darf die Öffnung des EU-Marktes für Wettbewerb nicht zu Lasten des in den EU-Verträgen verankerten Prinzips der kommunalen und regionalen Selbstverwaltung gehen. Da TTIP ein gemischtes Abkommen ist und deshalb die Zustimmung der Regionalparlamente erforderlich sein kann, richtet der AdR an die Europäische Kommission die dringende Forderung, ihn in die Beratergruppe aufzunehmen. Dies wäre zumindest für den Ausschuss der erste Schritt hin zu mehr Transparenz und zum nachvollziehbaren Ansatz eines Kommunikationskonzeptes in Richtung Bevölkerung, ohne gegenüber dem Verhandlungspartner „blank“ ziehen zu müssen.

Markus Töns, der seit Mittwoch auch gewählter 1. Vizepräsident der PES-Fraktion (Sozialdemokratische Partei Europas) im Ausschuss der Regionen ist, hebt zudem hervor, dass die EU angemessene regulatorische Handlungsspielräume insbesondere bei der Festlegung von Schutzstandards und in der Daseinsvorsorge wahren müsse.

Zu diesem Zweck fordert der AdR die Kommission auf sicherzustellen, dass für öffentliche Dienstleistungen, die spezifischen Regulierungsvorschriften unterliegen oder die sich durch besondere Gemeinwohl-Verpflichtungen auszeichnen, klare geregelte Ausnahmen von der Liberalisierung im Rahmen der TTIP gilt. Der AdR dringt ebenfalls darauf, dass die Standard setzenden Aspekte des europäischen Vergaberechts nicht in Frage gestellt werden dürfen.

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In der Stellungnahme mit tönschem Federstrich wird zudem herausgearbeitet, dass Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen weiterhin Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt, der Freiheit und der Vielfalt der Medien ergreifen können müssen, um den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen jeder Gesellschaft zu dienen.

Neue Regeln im Frühjahr 

Ausgesprochen wichtig ist für Markus Töns zudem, dass die Europäische Kommission ein öffentliches Konsultationsverfahren zur Streitbeilegung zwischen Investor und Staat (ISDS) eingeleitet hat. Im Sinne seiner AdR-Stellungnahme warnt er davor, dass solche Mechanismen im Verhältnis Investor und Staat zwischen der EU und den USA weder die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten aushöhlen noch die ordentliche Gerichtsbarkeit umgehen dürfen. Töns sagte im Plenum zu EU-Kommissarin Cecilia Malmström: „Von den fast 150 000 Antworten auf eine Online-Befragung zum Thema ISDS war die überwältigende Mehrheit dagegen! Auch der Französische Senat hat die Entfernung von ISDS aus TTIP gefordert! Frau Malmström: Sagen Sie uns doch bitte hier und heute, dass der Investor-to-State Dispute Settlement, so wie er jetzt im TTIP steht, dass dieser gestrichen wird!

Wenigstens dazu kündigte Malmström gegenüber dem AdR-Plenum neue Regeln an, die im Frühjahr 2015 präsentiert werden sollen.

Transparenz zu erlernen scheint in Brüssel kein einfacher Prozess zu sein.

Ausschuss hat eine hohe Bedeutung

Der Ausschuss der Regionen (AdR) ist die Versammlung der Regional- und Kommunalvertreter aus allen 28 EU-Mitgliedstaaten. Er hat 353 Mitglieder und ebenso viele Stellvertreter; die werden von den EU-Ländern vorgeschlagen und vom Rat auf fünf Jahre ernannt. Zwar wendet jedes Land bei der Auswahl seiner Mitglieder sein eigenes Verfahren an, aber in jeder Delegation wird eine politisch, geografisch und regional oder lokal ausgewogene Vertretung des betreffenden Landes gewährleistet. Die Mitglieder sind entweder gewählte Mandatsträger oder wichtige Akteure der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften ihrer Heimatregion.

Der AdR bringt den Standpunkt der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zu Rechtsvorschriften der EU ein. Dies geschieht in Form von Berichten (Stellungnahmen) zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission, wie jetzt zum Thema Freihandelsabkommen TTIP.

Regionale und lokale Kompetenzen sind wichtig

Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat sind außerdem dazu verpflichtet, den AdR in den für die Städte und Regionen relevanten Politikbereichen anzuhören. Der Ausschuss kann sogar den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen, wurden seine Rechte verletzt oder wenn er die Auffassung vertritt, dass eine EU-Rechtsvorschrift gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt. Das bedeutet, dass regionale oder lokale Kompetenzen missachtet wurden.

Das Subsidiaritätsprinzip ist eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Maxime, also ein Leitspruch, der die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung anstrebt. Danach sollten Aufgaben, Handlungen und Problemlösungen so weit wie möglich selbstbestimmt und eigenverantwortlich unternommen werden; etwa von Privatpersonen oder von Städten. Erst wenn dies nicht möglich oder mit erheblichen Hürden und Problemen verbunden ist, sollen höhere Ebenen einer Organisationsform die Aufgaben und Handlungen unterstützend übernehmen.

Mit Blick auf TTIP ist das eine der zentralen Forderungen des AdR: nicht Politik von oben herab durchzusetzen, sondern von unten aufzubauen.