Essen-Rüttenscheid. . Neben der Gastronomie siedeln sich immer mehr exklusive Fachgeschäfte in Rüttenscheid an. Bemerkenswert: Aus dem italienischen Restaurant „Pentangeli“ wird ein Herren-Bekleidungsgeschäft, was dem Branchenmix gut tut. Der Einzelhandelsverband Ruhr spricht von einer Aufwärtsspirale.
Im vornehmen Düsseldorf-Oberkassel hat Herrenausstatter Werner Räke bereits zwei Läden. Im November wagt er den Sprung ins Ruhrgebiet. Für Rüttenscheid bedeutet das einen ungewöhnlichen Wandel: Wo mit dem Pentangeli an der Rüttenscheider Straße 185 früher Gastronomie beheimatet war, wird zurzeit Platz für ein weiteres inhabergeführtes Fachgeschäft gemacht. „Ich suche schon seit Jahren einen geeigneten Laden in Rüttenscheid. Die Mischung hier stimmt und der Stadtteil boomt“, so Räke, der auch Damenmode anbieten wird.
Nur wenige Meter weiter bekommt das einstige Ladenlokal des Farb-Fachhandels Schulte, der an die Rüttenscheider Straße 270 umgezogen ist, ebenfalls ein neues Gesicht: Der Design-Möbel-Hersteller Vitra eröffnet nach Fachgeschäften in München, Berlin und Düsseldorf Ende des Jahres auf 400 Quadratmeter einen exklusiven Laden für private und gewerbliche Kunden im Revier.
Markt, Gastronomie und Einzelhandel als guter Dreiklang
„Ich bin Wattenscheider und deswegen ist mir die Rü natürlich ein Begriff. Hier kommt man zum Ausgehen her, wenn man etwas Besseres aber nicht Abgehobeneres sucht“, sagt Thilo Weinland (49), der den Vitra-Shop mit der Rüttenscheider Innenarchitektin Kerstin Bethan (45) führen wird. Die Rüttenscheider Straße biete durch ihr „urbanes Umfeld“ den perfekten Standort. „Die Innenstadt würde nicht in Frage kommen, da sind Filialisten besser aufgehoben“, so Weinland.
Auch der Einzelhandelsverband Ruhr verfolgt Rüttenscheids Entwicklung mit Interesse: „Der Stadtteil ist ein gutes Beispiel dafür, dass Einkaufen nicht nur Bedarfsdeckung ist: Markt, Gastronomie, Einzelhandel, all das bietet ein guten Dreiklang für Neuansiedlungen. Man kann durchaus von einer Aufwärtsspirale sprechen“, so Geschäftsführer Marc Heistermann.
Leerstände an der Rü gibt es praktisch nicht
Rolf Krane, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Rüttenscheid, spricht schon von einer „Hochburg der Fachgeschäfte“. „Konditoreien, Hifi, Boutiquen, Kunsthandwerk: Leerstände entlang der Rü gibt es praktisch nicht, meistens sind Neuvermietungen qualitativ hochwertiger als ihre Vorgänger“, so Krane.
Den Kaufkraftzufluss bestätigt der 2010 zuletzt aufgestellte Masterplan Einzelhandel der Stadt Essen, laut dem Rüttenscheid damals einen Jahres-Umsatz in Höhe von 177,1 Millionen Euro erzielte. Diese Zahl dürfte nicht nur durch den Neubau am Stern nach oben korrigiert werden müssen, so das Amt für Stadtplanung.
Makler haben alle Hände voll zu tun
Rainer Post vermittelt für das Essener Makler-Büro Manfred Vossieg Ladenlokale in Fußgängerzonen. Die gesamte Struktur mache die Rüttenscheider Straße attraktiv. Bei Leerständen stünden potenzielle Bewerber oft Schlange, weiß der Fachmann, der u.a. das Café Sprenger vermittelte. Bei Neuvermietungen ist ihm ein guter Branchenmix wichtig, der ins Umfeld passt. „Das gesteigerte Interesse spüren wir aber auch bei den privaten Vermietungen. Selbst in Randlagen und bei Standard-Wohnungen sind die Wartelisten oft lang“, sagt Post.
Auch er führt die „Urbanität“ als Hauptgrund an; „die finden Sie in dieser Form im Ruhrgebiet sonst kaum“. Post kennt aber auch die Kehrseite der Medaille: „Die Nachfrage bei Immobilien und Ladenlokalen ist viel größer als das Angebot. Das führt in einigen Bereichen natürlich zu Preissteigerungen.“
Kommentar: Bloß keine Gastro-Monotonie
Rüttenscheid ist die Altstadt von Essen, sagen manche. Bloß nicht! Kaum ein Anwohner will ein Rüttenscheid, das zu einer reinen Ausgehmeile wird, in dem sich eine Monokultur aus Kneipen und Restaurants breit macht mit all den unschönen Begleitumständen, die das nun mal mit sich bringt - siehe Düsseldorfer Altstadt am Wochenende.
Lebendig ist ein Stadtteil dann, wenn es eine gesunde gewerbliche Mischung gibt, wenn neben Gastronomie, Büros und Dienstleistern auch Fachgeschäfte aller Art vorhanden sind. Und zuletzt musste man auf der Rüttenscheider Straße - vor allem im Abschnitt zwischen Martinstraße und Florastraße - ein bisschen Sorge haben, dass diese besondere, woanders schon längst nicht mehr vorhandene Mischung auch hier erodiert.
Nahezu jedes freie Ladenlokal schien sich gefühlt in eine Gastronomie umzuwandeln. Umso bemerkenswerter, dass es jetzt auch einmal anders herum läuft und ein vormaliges Restaurant einem Herrenausstatter Platz macht. Dass sich solche Ansiedlungen überhaupt lohnen, spricht für die ungebrochene Beliebtheit des Quartiers gerade auch bei denen, die hochwertig einkaufen wollen. Die gute Mischung macht’s. Sie hilft am Ende allen, gutes Geld zu verdienen - auch den Gastronomen.