Essen-Rüttenscheid. . Die jüngsten Neubaupläne in Rüttenscheid bedrohen eine funktionierende Nachbarschaft. Einige Mieterder zehn ehemaligen Krupp-Häuser leben dort schon länger als 40 Jahre - und wollen sich jetzt wehren.
Die grauen Wolken, die sich gestern Mittag langsam über der Gummertstraße zusammenziehen, sie könnten kaum sinnbildlicher sein. „Die Nachricht in der Zeitung war für mich heute Morgen wie ein Kündigungsschreiben“, sagt Horst Vonzumhoff. Auf diesem Weg mussten er und seine Nachbarn erfahren, dass ihre liebevoll gepflegten Häuschen vielleicht schon in naher Zukunft modernen Neubauten weichen müssen.
Klemens Reinermann setzt sich auf die kleine Veranda seines Nachbarn. Der 71-Jährige wohnt gemeinsam mit Ehefrau Klara am längsten in einem der einstigen Krupp-Reihenhäuser, deren Eigentümer heute die Immeo-Wohnungsgesellschaft ist. Als junger Kruppianer, Reinermann war kaufmännischer Angestellter beim Stahlriesen, zog er vor 43 Jahren an der Gummertstraße ein. Im Laufe der Zeit legte er neue Fliesen, sanierte das Bad, verkleidete den Kohleofen von einst mit Holz-Intarsien. Alles in Eigenleistung. „Wir machen hier alles selbst, die Fassaden haben wir auch in Eigenregie gestrichen“, pflichtet ihm Vonzumhoff bei.
Vorkaufsrecht in Mietverträgen
„Die Immeo hat uns immer machen lassen. Vor 18 Jahren haben sie die Heizung saniert. Ansonsten ist nicht viel gekommen“, sagt Reinermann. Tausende Euro haben er und seine Nachbarn in die Hand genommen – aus gutem Grund. „Viele Mietverträge enthalten ein Vorkaufsrecht. Ich habe einen Kaufantrag gestellt, der ist aber versickert“, sagt Reinermann. Enttäuschung ist ihm ins Gesicht geschrieben.
Das Vorkaufsrecht sehen die Mieter längst als Makulatur an. „Wenn die das hier so durchziehen, wie auf den Plänen, dann können sich ja künftig alle Neubewohner eine Karte für den Grugapark holen. Dann gibt es hier nämlich kein Grün mehr“, ist Horst Vonzumhoff entrüstet. Hinter den kleinen Gartenstücken der Häuserzeile erstreckt sich eine riesige Grünfläche, die von allen Anwohnern gemeinsam genutzt wird. Am 1. September soll dort wieder das Nachbarschaftsfest steigen. Die Liste, wer welchen Kuchen backt, geht bereits um in der Gummertstraße. Die Kinder spielen auf der Wiese Fußball und Badminton. Viele Bäume und nicht zuletzt eine alte Trauerweide zieren den Grüngürtel. „Die Trauerweide stand hier schon, als wir hier 1969 eingezogen sind“, erinnert sich Klara Reinermann und Wehmut schwingt in ihrer Stimme mit.
Auf dem Gartentisch von Horst Vonzumhoff liegt ein Ausdruck. Auf dem DIN-A4-Blatt ist Paragraf 573 BGB zu lesen, der allen Anwohnern der Häuserzeile zum Verhängnis werden könnte. Demnach kann ein Vermieter kündigen, „wenn er durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde“. Das geplante Wohnprojekt würde Immeo wohl ein Vielfaches an Mieteinnahmen bringen. 545 Euro zahlt Klemens Reinermann an Miete für die rund 70 Quadratmeter – kalt, dafür mit Garagenstellplatz. „Damals haben hier nur Kruppianer gewohnt. Als sich viele von ihnen eigene Häuser kauften, wurden vor allem Menschen mit Behinderung bei der Neuvermietung berücksichtigt“, weiß Reinermann. Der Hintergrund liegt auf der Hand: Die Wohnungen sind allesamt ebenerdig und teilweise behindertengerecht umgebaut.
Das war auch der Grund, warum Rita Wirkner vor zehn Jahren mit ihrem Mann aus Heidhausen an die Gummerstraße zog – er sitzt nach einem Arbeitsunfall im Rollstuhl. Die 74-Jährige schneidet gerade ihre Schmetterlingsflieder. „Schön, nicht?!“ fragt sie noch und mag an einen Umzug gar nicht denken.
„Das können die nicht machen. Diese Profitgier muss man stoppen, das ist doch unser Paradies hier“, sagt Hans-Jürgen Groß, der seit 15 Jahren in einem der Häuschen wohnt. Wie seine Nachbarn hat er seinen Vorgarten liebevoll gepflegt, ist auch als „Heckenkünstler“ bekannt. Aus dem gegenüberliegenden Mietshaus kommen an diesem Dienstagmittag nach und nach die Menschen auf die Straße und solidarisieren sich mit ihren Nachbarn. Yvonn Schweighauser
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verfasste gar einen offenen Brief, in dem sie um Hilfe bittet – auch, wenn ihr Haus direkt nicht betroffen wäre. „Anstatt ins Grüne können wir dann gegen Häuser schauen. Anstatt einen großen für jeden zugänglichen Gemeinschaftsgarten gibt es dann Parzellen, die sich dann eben nicht jeder leisten kann. Und wen interessieren die jetzigen Mieter? Wer hat denn die Möglichkeiten, gegen die lukrativen Interessen einer Investorengruppe vorzugehen“, heißt es etwa in dem Brief.
Nach dem ersten Schock wollen sich die Mieter jetzt zusammenschließen und eine Interessengemeinschaft gründen. Alle möglichen, rechtlichen Schritte abklopfen. Unterschriften sammeln. „Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um diesen Bebauungsplan irgendwie zu verhindern“, sagt auch Jacomina de Reijke, die 1999 wegen ihres Jobs im Krupp-Krankenhaus herkam und, weil es in der Gummertstraße „so schön grün“ ist.
CDU plädiert bereits klar für Abriss
Das Projekt „Rüttenscheider Gärten“ sei als Ganzes zu sehen, betont die Stadtverwaltung, die zurzeit für das Areal zwischen Herthastraße und Gummertstraße einen Bebauungsplan vorbereitet. Die einzelnen Grundstückseigentümer sehen das etwas anders. Während die Viantis, eine Tochter der Sparda-Bank, auf ihrem schon lange leer geräumten Grundstück an der Herthastraße nach erfolgreichem Abschluss des Bebauungsplanverfahrens in jedem Fall bauen will, gibt sich die Wohnungsbaugesellschaft Immeo offziell zurückhaltend – aus gutem Grund. Immeo müsste sich vor Neubauplänen zunächst mit den Bewohnern der bestehenden kleinen Siedlung ins Benehmen setzen.
Bisher ist das nicht geschehen, räumt die Geschäftsführung ein. „Es gibt aber keinen Automatismus“, betont Immeo-Geschäftsführer Ulrich Risthaus. Selbst wenn der B-Plan Baurecht gewähre, sei damit noch nicht gesagt, dass die bestehenden Häuser abgerissen werden und an ihrer Stelle neue entstehen. „Das Für und Wider müssen wir abwägen“, sagt Risthaus. Andererseits stellt Immeo klar, dass man den B-Plan der Stadt begrüße und fördere – von grundsätzlichen Bauwillen ist also auszugehen.
Kühl äußerte sich die CDU: Es gelte „unwirtschaftliche und veraltete Wohnbestände abzureißen“, um „hochwertigen Wohnungsbau zu etablieren“. Der Betroffenen-Protest sei zwar verständlich, ihm dürfe aber nicht gefolgt werden.