Essen-Rüttenscheid. . Seit 20 Jahren trägt Jan Maternowski nachts in Rüttenscheid WAZ, NRZ und weitere Titel aus. Selbst nach dem Pfingststurm war er pünktlich unterwegs, erzählt der 64-Jährige stolz. Selbst im sonst so belebten Rüttenscheid hat er nachts mitunter das Gefühl, der einzige Mensch auf der Welt zu sein.
Nichts als Stille. Nur die eigenen Schritte sind dumpf auf der Rü zu hören. Entfernt rauscht ein Lkw über die Alfredstraße. Wo sonst zwischen lauter Autos kaum ein freies Plätzchen auszumachen ist, herrscht gähnende Leere. Nachts um 3 Uhr fühlt man sich selbst auf der sonst so belebten Rüttenscheider Straße wie der einzige Mensch auf der Welt.
Ein Gefühl, das Jan Maternowski nur zu gut kennt. Seit 20 Jahren trägt der 64-Jährige im Auftrag unserer Mediengruppe Zeitungen in Rüttenscheid aus. Mit seinem überquellenden Opel wartet er an der Ecke Girardetstraße. Der einzige Ort, an dem in dieser Nacht noch etwas Leben zu hören ist. In Form von deutschem Schlager, mit dem sich zwei Putzfrauen in der Kokille lautstark mitsingend die Arbeit versüßen.
Mehr als 400 Haushalte im Bezirk
Jan Maternowski nimmt noch einen schnellen Zug an seiner Zigarette, dann mahnt er zur Eile. In drei Stunden müssen die mehr als 400 Haushalte, die in seinem Bezirk liegen, beliefert sein. „Sie haben Glück, dass es nicht regnet. Und die Nacht ist mild“, sagt er mit unüberhörbar polnischem Akzent. Vor 20 Jahren sei er nach Deutschland gekommen, erzählt er. Froh, überhaupt einen Job gefunden zu haben. Dann sei er eben dabei geblieben. „In einem Jahr gehe ich in den Ruhestand“, sagt der Bote und ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Dann läuft er im Eilschritt los. Steckt WAZ, NRZ und weitere Tageszeitungen in Briefkästen, klemmt sie hinter Tür-Klinken, wirft sie in den Hausflur. Genau so, wie es der Leser gerne hätte. „Früher hatte ich immer einen Zettel dabei, wo das alles drauf stand. Mittlerweile weiß ich das“, sagt Maternowski.
Ebenso gut kennt er das Revier zwischen Girardet- und Wittenbergstraße in- und auswendig, findet sich selbst auf einem entlegenen und unbeleuchteten Hinterhof ohne Probleme zurecht. Dann geht es zurück zum Auto. Maternowski fährt ein Stück, springt behände aus dem Opel, greift sich die Exemplare aus dem Kofferraum und spurtet wieder los. Zeit für einen Kaffee zum Wachbleiben zwischendurch? Maternowski schüttelt entschlossen den Kopf: „Nein, nein, keine Zeit. Ich bin auch nicht müde“, sagt er. Vier bis fünf Stunden Schlaf, das reiche ihm völlig.
„Nur das Wetter macht Überraschungen“
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Ins Bett fallen wird er erst gegen 7 Uhr, nachdem er noch mit seiner Frau gefrühstückt hat. Die arbeitet ebenso wie er nachts, an einer Tankstelle. „Wir haben die gleichen Arbeitszeiten. Das ist großes Glück“, sagt der zweifache Vater, der in Kettwig wohnt. Ganz spurlos an ihm vorbei gegangenen sind die zahllosen Nächte bei Sturm, Regen, Schnee und Eis aber nicht. Knie und Rücken schmerzten ihn manchmal, sagt Maternowski und zieht die Schultern hoch: „Aber das bleibt eben nicht aus.“ Das Wetter war für ihn noch nie eine Ausrede, schließlich wird er pro Stück bezahlt. Selbst beim Pfingststurm habe er es nach Rüttenscheid geschafft. „Das ging tatsächlich“, wundert sich der 64-Jährige bis heute.
Was er an seinem Beruf schätze, seien die Stille und die Beständigkeit, „nur das Wetter macht manchmal Überraschungen“, sagt der Zeitungsbote. Und an Freitagen, da sei er nicht ganz so allein in der Nacht. „Da wird ja überall auf der Rü Party gemacht. Da treffe ich manche Leute auf dem Heimweg“, sagt er. Probleme habe er in zwei Jahrzehnten nie gehabt, „mir ist nie etwas passiert“. Nachts, da gibt es meistens eben auch nur ihn, hunderte Zeitungen und die Stille.
Alle Folgen der Serie "Eine Nacht in Rüttenscheid" finden Sie hier.