Essen-Holsterhausen. Lange war der Holsterhauser Platz mehr Verkehrskreuzung als Treffpunkt. Nach Abrissen entstand ein neues Quartier - und endlich ein echter Platz.

Es ist kurz vor zehn Uhr an diesem Samstagmorgen und am Holsterhauser Platz wird emsig fürs Frühstück eingekauft. „Ich kenne den Ort auch ganz anders, ich war hier früher auf der Berufsschule“, sagt einer, bevor er mit den Brötchen nach Hause eilt, andere sich vor der Bäckerei noch etwas in die Sonne setzen. Schon immer war hier viel Leben, auch als an dieser Stelle noch die in den 1960er Jahren gebaute Frauenfachschule stand. Erst die Cranachhöfe aber haben hier tatsächlich einen Platz mit Aufenthaltsqualität geschaffen. Die Essener Stadtteile und ihre Plätze - in einer neuen Serie wollen wir einige der interessantesten vorstellen.

Sanierung der Schule sollte 20 Millionen Euro kosten

Bis zum Abriss der maroden Frauenfachschule war der Holsterhauser Platz eher eine Verkehrskreuzung. Als der Zahn der Zeit hatte arg an den Gebäuden genagt, Gutachter schätzten den Sanierungsbedarf auf rund 20 Millionen Euro. Nach langen Debatten kam die städtische Immobilientochter Allbau ins Spiel. Sie legte einen Zukunftsplan vor, der eine politische Mehrheit fand. Bald rollte die Abrissbirne an, der Schulkomplex existiert heute nur noch in der Erinnerung. An seiner Stelle entstanden die Cranachhöfe mit dem Edeka-Markt, einem der Ankermieter. Und endlich gab es davor auch das, was der Name des Platzes bis dahin eher vorgab zu sein: Ein Ort, wo Menschen aus der Nachbarschaft sich treffen können.

Die drei Grazien standen früher vor der Holsterhauser Berufsschule und haben heute vor den Cranachhöfen ihren Platz.
Die drei Grazien standen früher vor der Holsterhauser Berufsschule und haben heute vor den Cranachhöfen ihren Platz. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Als stumme Zeugen aus alten Tagen blicken die „drei Grazien“ auf das rundum erneuerte Areal. So heißt die Skulptur des Künstlers Heinrich Adolf, die einst den Schulhof zierte. Vor dem Abbruch ließ man das Kunstwerk an einen sicheren Ort bringen, bis es im April seine Rückkehr erlebte und nun den Platz bereichert.

Skulptur kehrte im April an ihren alten Ort zurück

Inge Wieser lebt schon seit Jahrzehnten in Holsterhausen. Vom ersten Tag an habe ihr die Skulptur gefallen. Sehr zufrieden sei sie aber vor allem über die Ansiedlung eines Lebensmittelgeschäftes mit 1800 Quadratmetern. Betreiber Marc Daniels hat nach eigener Aussage keine Stunde bereut, statt zwei kleineren Läden an der Gemarkenstraße nun mit einem Frischemarkt aufzuwarten, in dem beide früheren Geschäfte locker Platz finden würden. Der 61-jährige Frank Grassegger gehört zur Stammkundschaft und ist zudem froh, dass mit dem dm-Drogeriemarkt, der Bäckerei Büsch und dem Eiscafé Eisstil das Angebot bereichert wurde.

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Dass in den Cranachhöfen eine Kita der Arbeiterwohlfahrt Einzug hielt, „war für uns ein Glücksfall“, sagt Martina Zuschlag, Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter. Die Familie wohnt ganz in der Nähe. Sie könne ihr Kind zu Fuß zur Kita bringen und wieder abholen. Die gut ausgestattete Einrichtung mit ihren neuen Räumen würde den Kleinen viele Möglichkeiten bieten. Der umgestaltete Platz treffe ihren Geschmacks, wenn sie etwas vermisse, dann sei es ein Briefkasten und Mülleimer.

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Blumenbeete und Sitzbänke laden zum Verweilen ein

Chic und schön sind Begriffe, die Silvia Kerstin (70) in den Sinn kommen, wenn sie auf die Blumenbeete und die Sitzbänke schaut, die Passanten zum Verweilen einladen. Auch sie kommt gerne hierher. Seit Corona geht die Seniorin zwar nicht mehr so häufig vor die Tür, aber ab und an treffe sie ihre Tochter. Gemeinsam genieße man den Blick auf die Blütenpracht.

Apropos: In diesem Jahr hat Harald Hagen von der Initiative „Wir sind Holsterhausen“ seine Blumenampelaktion ausgeweitet und den Platz einbezogen. Es bestehe jetzt eine „blumige Verbindung“ von der Gemarkenstraße bis zu den Cranachhöfen.

Anwohnerin wünscht sich mehr Grün im Stadtteil

Eine Sozialarbeiterin, die den Platz per Rad erreicht hat, kritisiert die Masse an Beton, der das Areal präge. Mehr Grün hätte sie sich gewünscht, überhaupt ein Areal, das Parkcharakter habe. Positiv, so hebt sie hervor, sei aber die Vielzahl an Fahrradständern. Wenn doch nur die Stadt durchgehend das Rad und den öffentlichen Nahverkehr doch mehr fördern würde, meint sie.

Gemeindezentrum wurde Anfang der 1970er Jahre errichtet

Bei einem Bombenangriff 1942 wurde die Stahlkirche komplett zerstört. Gleich nach dem Krieg entstand zunächst eine Notkirche, bis dann Anfang der 70er Jahre das MGZ errichtet wurde.

Die Glocken der Stahlkirche blieben erhalten und stehen eigentlich vor der Kirche, sind aber derzeit an das LVR-Freilichtmuseum Kommern (Eifel) ausgeliehen, das mit einer Ausstellung Bartnings Schaffen würdigt.

Hingegen halten Passagiere, die nur wenige Meter weiter an der Haltestelle Rubensstraße warten oder an der benachbarten Tramstation, das Angebot von Bus und Bahn im Großen und Ganzen für recht gut. Doch in Corona-Zeiten seien Buslinien ausgedünnt. Ein älterer Herr, auf den Rollator angewiesen, ärgert sich über die Linie 17, die komme häufig unpünktlich. Derweil er seinem Unmut Luft verschafft, eilt ein Student herbei, der wohl eher zufällig in Holsterhausen gelandet ist. Er finde den Stadtteil oder das, was er bisher von ihm kenne, spannend, Rückkehr nicht ausgeschlossen.

Melanchthonkirche prägt das Bild des Platzes

Mit der Melanchthonkirche grenzt eines der beiden Gotteshäuser der Evangelischen Erlöserkirchengemeinde Holsterhausen direkt an den Holsterhauser Platz. In seiner heutigen Form sind Gemeindezentrum und Kirchsaal zwischen 1970 und 1972 entstanden, als sichtbarer Beton hoch im Kurs stand und als modern galt. Mittlerweile gibt es geometrische Figuren in kräftigen Farben, die ein Hingucker sind. Der Künstler Otto Herbert Hajek (1927-2005), der den Bau ausgestaltet hat, wollte genau das erreichen: Die Menschen sollten hinschauen und sich selbst mit der geometrischen Vielfalt auseinandersetzen. Der spezielle Charakter liegt darin, dass der Baukörper unterschiedliche Höhen aufweist und somit auch das Bild vom Holsterhauser Platz maßgeblich beeinflusst.

Das farbig gestaltete Melachthon-Gemeindezentrum prägt das Bild am Holsterhauser Platz.
Das farbig gestaltete Melachthon-Gemeindezentrum prägt das Bild am Holsterhauser Platz. © FUNKE Foto Services | Andre HirtzAndré Hirtz

Die Vorgängerkirche aus Stahl und Glas wurde im Krieg zerstört

Die Vorgängerkirche war die berühmte „Stahlkirche“, die Otto Bartning für eine internationale Messe auf dem Messegelände in Köln-Deutz 1928 entworfen hatte. Sie fand dann Anfang der 1930er Jahre am Holsterhauser Platz ihren Standort. Der Entwurf galt geradezu als revolutionär und machte den Planer berühmt. Zwischen den Stahlstützen gab es im Übrigen keine Wandflächen, sondern Buntglas. Die extrem künstlerische Sprache hatte aber einen großen Nachteil. Im Winter wurde es meist zu kalt.