Essen. Friedel Lechtleitner ist Gebärdendolmetscher. Für das Schauspiel Essen übersetzt er zum zweiten Mal ein Stück mit Gestik und Mimik. Das Angebot für Hörgeschädigte soll ausgebaut werden.

Friedel Lechtleitner hat in seinem Berufsleben oft viele Rollen zu übernehmen. Manchmal ist er eine Mischung aus Sozialarbeiter, Ausbildungsbegleiter, Beistand für Ämtergänge. Am 20. Juni ist er Vater, Mutter und Kind, ist Oma, Opa und Erzählerin in einem. Guus Kuijers Jugendstück „Wir alle für immer zusammen“ in der Casa wird sein gestisches Geschick fordern.

Lechtleitner ist Gebärdendolmetscher, einer, der die laute Welt der Hörenden in stille Gesten und Mimik übersetzt. Dass Theater ihn rufen, ist für den erfahrenen Händeredner nicht neu. Im vergangenen Jahr hat für das Schauspiel Essen bereits „Benefiz“ simultan in Gebärdensprache übersetzten. Die Resonanz war gut. So gut, dass Intendant Christian Tombeil inzwischen daran denkt, das Angebot für Hörgeschädigte weiter auszubauen.

Barrierefreies Theater - mehr als behindertengerechter Zugang

Sonja Sturnay als Projektpartner der Diakonie Essen begrüßt das: „Nur durch ein kontinuierliches Angebot kann man ja langfristig das Interesse wecken“, sagt die stellvertretende Einrichtungsleiterin des Fritz von Waldthausen-Internats. Mit „Wir alle für immer zusammen“ soll nun auch das jugendliche Publikum herangeführt werden – Hörgeschädigte wie Hörende gleichermaßen.

Barrierefreies Theater – dazu gehört eben nicht nur der behindertengerechte Zugang, das Bereitstellen von Rollstuhl-Plätzen, sondern auch ein Angebot für Menschen mit Hörbehinderung. Dass dieses Angebot gerade in Essen passt, wo allein mit 900 Schülern des Rheinisch-Westfälischen Berufskollegs für Hörgeschädigte eine bundesweit einmalige Community versammelt ist, liegt auf der Hand. Wobei Lechtleitner weiß, dass Betroffene für ein spezielles Angebot weite Wege gehen. „Hörgeschädigte sind viel flexibler als wir“, weiß der Mann, dessen Theaterarbeit vor Jahren mit dem Colosseum-Musical „Joseph“ begann. „Aber das war nicht so mein Ding.“

Das Gesicht zeigt die Gefühle

Lechtleitner mag Theater, das „aus dem Leben gegriffen ist“, also möglichst bildhafte Worte findet, die sich gut pantomimisch darstellen lassen. Kleists „Zerbrochner Krug“ für Hörgeschädigte wäre schon eine besondere Herausforderung, denn Gebärdensprache ist eine ganz eigene Fremdsprache mit Wortschatz, Satzbau und Grammatik. Und mit besonderem Gesichtsausdruck. „Was sonst die Stimmlage hergibt, müssen wir in Gestik und Mimik umsetzen“, erklärt Lechtleitner, der sich die Vorstellung mit einem zweite Kollegen teilt. Geprobt wird vorher nicht. Meist reicht ein Vorstellungsbesuch und die Lektüre. Der Rest ist leicht zu verstehen: Handflächen nach vorn, Hände auf Ohrenhöhe und feste Wackeln. Das heißt dann: „Applaus, Applaus.“