Essen-Werden. Ein Baumsachverständiger von Grün und Gruga informiert im Werdener Kellerwald über die extremen Belastungen für die Bäume durch den Klimawandel.

Eine rund 150 Jahre alte Rotbuche im Kellerwald in Werden musste gefällt werden. Sie litt an der sogenannten Buchenkomplexkrankheit. Was es mit dieser Krankheit auf sich hat und warum der altehrwürdige Baum nicht mehr zu retten war, erläuterte Christian Cichos, Baumexperte von Grün und Gruga, zuvor bei einem Ortstermin.

Im Eigentum der Stadt Essen wachsen rund 3,3 Millionen Bäume. Christian Cichos ist einer der Menschen, die sich um diesen Bestand kümmern. Er hat in Göttingen Arboristik studiert, sich dort unter anderem mit Baummanagement und Gehölzpathologie befasst. Seit 2011 arbeitet der gebürtige Braunschweiger bei Grün und Gruga, dort ist er Nachfolger von Arne Thun als Baumsachverständiger.

Der Baum steht seit Jahren unter Beobachtung

Christian Cichos arbeitet seit 2011 bei Grün und Gruga, dort ist er Nachfolger von Arne Thun als Baumsachverständiger.
Christian Cichos arbeitet seit 2011 bei Grün und Gruga, dort ist er Nachfolger von Arne Thun als Baumsachverständiger. © Uwe Möller

Der 36-Jährige steht im Schatten der mächtigen Rotbuche: „Wir werden diesen Baum nicht retten können. Er steht schon seit Jahren unter Beobachtung und wir haben einiges an Pflegemaßnahmen durchgeführt. Doch jetzt drohen ganze Kronenteile herunterzufallen. Der Holzabbau ist schon drastisch. Auch steht der Baum ungeschützt zur Hauptwindrichtung. Spätestens in sechs Monaten bestünde hier große Gefahr.“

Die Buche steht direkt an einem Weg, der von vielen Menschen genutzt wird. Die Stadt ist hier in der Verkehrssicherungspflicht und Cichos wird deutlich: „Ich würde meine Kinder hier nicht lang gehen lassen.“ Daher müsse der ehrwürdige Baum gefällt werden. Ein gut 150 Jahre altes Lebewesen.

Wassermangel und Hitzestrahlung setzen dem Wald zu

Im Werdener Kellerwald spricht Cichos über die Zukunft der Bäume. Er stampft auf den sehr festen Boden und urteilt: „Die Wasserspeicherkapazität ist bescheiden. Wassermangel und Hitzestrahlung setzen dem Wald zu.“ Die Analyse macht wenig Mut: „Dieser Ahorn leidet, die Roteiche dort drüben, die Hainbuche dahinten. Wir werden zeitnah eine Baumkontrolle veranlassen.“

Dieser Spitzahorn hat Risse in der Rinde – aus Wassermangel. Käfer und andere Schädlinge nutzen die Borke als Kinderstube für den Nachwuchs.
Dieser Spitzahorn hat Risse in der Rinde – aus Wassermangel. Käfer und andere Schädlinge nutzen die Borke als Kinderstube für den Nachwuchs. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Wie das Ergebnis lauten wird? Der Arborist schaut wenig optimistisch. Oft sind gefährdete Bäume von Efeu umrankt. Ist das der Bösewicht? Nicht wirklich, räumt Cichos mit einem Vorurteil auf: „Es ist anders herum. Erst wenn der Baum schwächelt und Blätter abwirft, bekommt der Efeu genügend Licht, um zu wachsen.“

Seit den 1980er Jahren sei die Jahresmitteltemperatur deutlich angestiegen: „2003 war sehr trocken und 2018/2019 waren extrem trocken. Der Klimawandel hat uns erreicht.“ Fatale Folge: Die Bäume bilden vermehrt Samen. Cichos musste eine dramatische Häufung dieser „Mastjahre“ verzeichnen. Das zehrt an den Kräften der Bäume und schwächt ihre Vitalität.

Schädlinge fühlen sich richtig wohl in einem kranken Baum

Während die Bäume unter Hitze und Trockenheit leiden, fühlen sich die Schädlinge so richtig wohl: „Viele unserer Buchen sind von einer Komplexkrankheit befallen. Die führt zunächst zu einer Schwächung des Baums, dann kommen Folgeschäden hinzu. Denn wenn es der Buche nicht gut geht, sendet sie Signale aus, die weitere Schädlinge anlocken.“

Im Zweifel eine fachmännische Beurteilung anfordern

Auch private Eigentümer sollten sich im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht regelmäßig ihre Bäume anschauen und im Zweifel eine fachmännische Beurteilung anfordern. Die Stadt Essen habe da leider keine Ressourcen, so Christian Cichos von Grün und Gruga. Es müssen private Baumkontrolleure und eventuell sogar ein Gutachter bestellt werden.

Man darf seine Bäume aber nicht nach Belieben fällen. Meist ist eine besondere Genehmigung erforderlich, ansonsten können Geldbußen fällig werden.

Fehlender Frost im Winter spielt dem Eichenprozessionsspinner in die Karten. Für seine Bekämpfung ist der Grundstückseigentümer ebenso selbst zuständig.

Eine ganze Armada stürzt sich dann auf die wehrlosen Bäume. Die Buche im Kellerwald ist so ein Beispiel. Cichos verweist auf abgestorbene Äste, schwarzen Belag und weiße Punkte. Da seien Pilze wie die Pfennigkohlenbeere oder der Spaltblättling am zerstörerischen Werk. Sie befallen das Holz und bilden Fruchtkörper. Gerne geselle sich noch der Zunderschwamm hinzu. Buchenborkenkäfer und Buchenprachtkäfer nutzten die Borke als Kinderstube für den Nachwuchs, innerhalb eines Jahres sind mehrere Generationen möglich.

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In Zukunft mehr widerstandsfähige Baumsorten pflanzen

Was tun? Das Projekt „Baum-Adapt“ untersucht, wie sich der für ein gesundes Stadtklima unverzichtbare Baumbestand verändern muss. Widerstandsfähige Baumsorten sollen etabliert werden, die hart im Nehmen sind und ein hohes Alter erreichen. Cichos ist Mitglied der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz, die geeignete Kandidaten testet: Spitzahorn, Felsenbirne, Hopfenbuche oder Traubenkirsche.

Größere Baumbeete sollen den Wurzelraum erweitern, dazu wird spezielles Substrat eingebracht. In der Bredeneyer Straße Baumblüte sollen zudem Baumrigolen getestet werden. Das sind unter der Geländeoberfläche angeordnete Auffangbecken, die zur Bewässerung dienen und überschüssiges Regenwasser versickern lassen – damit Essens Stadtbäume so dem Klima trotzen.

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