Essen. . Der Vater aus Essen, der seinen 18 Tage alten Säugling totgeschlagen hat, gilt als voll schuldfähig. Der psychiatrische Gutachter spricht aber von einer „Überforderung“ des 27-Jährigen. Dass das Schreien des Babys den Vater gestört hatte, stand für den Sachverständigen nicht im Vordergrund.

Hilflos und überfordert. Mit diesen Worten beschreibt Psychiater Dieter Oswald am Freitag den psychischen Zustand, in dem Marcel B. sich befand, als er am 6. Mai seinen erst 18 Tage alten Sohn totschlug. Dass das Baby den Vater durch Schreien am nächtlichen Computerspiel im Internet hinderte, stand für den Gutachter nicht im Vordergrund.

Aus seinem Leben hat der 27 Jahre alte Altenessener bislang nichts gemacht. Gestartet ist er in einem sehr schwierigen Elternhaus. Seinen leiblichen Vater kennt er nicht. Seine Mutter hat er dem Psychiater als psychisch gestört geschildert. Früh habe sie ihn mit einem Gürtel geschlagen. Verletzungen, die einer Lehrerin auffielen und wohl dazu führten, dass der Junge mit acht Jahren in ein Kinderheim kam.

Als er ein Jahr später zurück zur Mutter zog, hatte sie einen Freund, der ihn ebenfalls schlug. Mit 16 Jahren suchte er sich damals eine eigene Wohnung. Vereinsamt sei er dort, verlor immer mehr soziale Kontakte.

Weltmeister im Schuleschwänzen

Schulisch war er zunächst auch gescheitert. Die hohe Zahl an Fehlstunden führte dort zur Entlassung. Er sei „der Weltmeister im Schuleschwänzen“ gewesen, gibt er gegenüber dem Gutachter als Grund an. Den Hauptschulabschluss schafft er danach – immerhin. Aber auch daraus macht er nichts. Einen Beruf erlernt er nicht, verbringt seine Zeit immer mehr am Computer. Lebt von Hartz IV.

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Mit Frauen hat er dagegen wenig Probleme. Aus einer Beziehung stammt ein heute neun Jahre altes Kind, zu dem er aber nie Kontakt hatte. 2009 lebte er bei einer Frau. Ihrem fünf Wochen alten Sohn brach er den Arm, als er auf diesen aufpassen sollte.

Für diese Tat verurteilte ihn das Amtsgericht Essen zu zwei Jahren Haft mit Bewährung. Weil er den Arbeitsauflagen nicht nachkam, widerrief das Gericht 2012 die Bewährung, ein Haftbefehl wurde erlassen. Marcel B. tauchte unter bei der Frau, mit der er im April 2014 den kleinen Leon bekam. „Ein Unfall“ sei die Schwangerschaft gewesen, erzählte er dem Gutachter. Eine Abtreibung sei für beide aber kein Thema gewesen.

Lieber gegammelt und Marihuana geraucht

Er sieht selbst ein, dass ihm die richtige Leistungseinstellung fehlt. Er habe immer lieber gegammelt, Marihuana geraucht und Computer gespielt. Zuletzt hatte das Jobcenter ihm sogar die Bezüge gestrichen, weil er sich auch da nicht mehr gemeldet hatte.

Marcel B., der auf den Gutachter einen gepflegten und offenen Eindruck machte, hat nach Einschätzung von Dieter Oswald im strafrechtlichen Sinn keine psychischen Beeinträchtigungen, die die Schuldfähigkeit beschränkt hätten. Strafmilderung hätte er bei einer Verurteilung wegen Mordes also nicht zu erwarten.

Alkohol und illegale Drogen hätten zur Tatzeit auch keine Rolle gespielt. Marcel B. sei persönlich und emotional überfordert gewesen, als der Junge schrie und nicht zu beruhigen war. Dann schlug er zu. Oswald bemerkte, dass der Angeklagte andere Lösungsmöglichkeiten für solche Konflikte nie erlernt hätte.

Niedrige Beweggründe

Falls das Gericht die Einschätzung des Psychiaters teilt, könnte das Mordmerkmal „niedrige Beweggründe“ entfallen. Denn die Anklage war davon ausgegangen, dass Marcel B. in der Tatnacht das Computerspiel im Internet so wichtig war, dass er die Schreie des Kleinen durch die Schläge stoppen wollte. Das Leben des Kindes sei ihm in diesem Moment gleichgültig gewesen. Die „Überforderung“ ist aber kein „niedriger Beweggrund“, die Tat damit kein Mord mehr. Es bliebe eine Verurteilung wegen Totschlags oder Körperverletzung mit Todesfolge.

Widerlegt ist seit Freitag die Angabe des Angeklagten, er hätte Leon nur mit der flachen Hand geschlagen, nicht aber mit der Faust. Rechtsmediziner Andreas Freislederer sprach immer nur von Faustschlägen, die bei den elastischen Knochen eines Babys derartige Bruchlinien am Schädelknochen verursachen. Auf Frage von Verteidiger Volker Schröder wollte er aber nicht ausschließen, dass der Täter auch mit dem Handballen zugeschlagen haben könnte.