Essen. Nördlich des Viehofer Platzes baute der Unternehmer Hermann Elting Ende des 19. Jahrhunderts ein Quartier für Arbeiter. Viele Essener kennen das Viertel mit der großen Zahl an originalgetreu erhaltenen Gründerzeithäusern nicht, dabei liegt es direkt hinter der nördlichen Innenstadt.
Selten hat mich ein Spaziergang so beeindruckt, wie der durchs Eltingviertel. Dass es einen Ort in der Stadt gibt, von dem ich vorher noch nie etwas gehört habe (und ich bin überzeugt, vielen Essenern geht es nicht anders) hat mich überrascht. Dabei liegt das Viertel direkt hinter der nördlichen Innenstadt, jenseits des Viehofer Platzes.
Das ist eine hässliche Ecke ist der erste Eindruck, wenn man unter dem mit Graffiti beschmierten Bahndamm auf den Anfang der Altenessener Straße stößt. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. Auch nicht vom kleinen Schrotthandel, der linker Hand in einem der beiden geduckten, etwas windschiefen und unansehnlichen Häusern untergebracht ist. Denn direkt daneben - was für ein Unterschied - steht das erste von vielen stuckverzierten Häusern, die Ende des 19. Jahrhunderts vom Bauunternehmer Hermann Elting errichtet wurden.
Häuser nach Krieg originalgetreu wieder aufgebaut
Mitten in der Stadt lag die Zeche Victoria Mathias
Heute kaum vorstellbar, aber noch bis Mitte der 1960er Jahre wurde im Arbeiterstadtteil Segeroth, in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt, Kohle gefördert.
Damals arbeiteten knapp 3000 Bergleute auf der Zeche Victoria Mathias. Die maximale Förderung wurde im Jahr 1959 erbracht: 836.995 Tonnen Steinkohle.
Im Jahr 1898 ließ Betreiber Hugo Stinnes auf dem Zechengelände das erste Elektrizitätswerk der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk AG (RWE) errichten.
Das Staunen nimmt kein Ende, je weiter man ins Viertel eintaucht. Wie Solitäre überstrahlen die im Stil der Gründerzeit erbauten Häuserensembles die Eltingstraße, die Gertrudisstraße, die Peter-, die Holzstraße und die Beisingstraße. Reich verziert mit Fruchtgehängen, Voluten, Pilastern oder Balustraden sind die Putz- und Backsteinfassaden; bei den Formen orientierte sich die Architektur nach der Reichsgründung an der italienischen Renaissance.
Eltingviertel im Essener Nordviertel
Nicht alle sind so perfekt restauriert wie die drei aufeinander folgenden Gebäude an der Ecke des beschaulichen Eltingplatzes - eine Augenweide, nicht nur für Architekturkenner. Wie mag das Häuserkarree um den kleinen begrünten Platz, der einst als zentraler Marktplatz genutzt wurde, wohl ausgesehen haben, bevor der Zweite Weltkrieg den größten Teil in Schutt und Asche legte? Hier ist den oft zu Recht gescholtenen Stadtplanern etwas gelungen, was andernorts gründlich schiefging: Sie haben nach dem Krieg die Häuser, die noch zu retten waren, originalgetreu wiederaufgebaut.
Erste planmäßige Innenstadterweiterung
Entstanden ist das Viertel als erste planmäßige Innenstadterweiterung Richtung Norden. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts endete die City am Viehofer Tor. Durch die rasante Industrialisierung wuchs die Bevölkerung rasch - und neuer Wohnraum wurde benötigt. Bauunternehmer und Sägewerkbesitzer Hermann Elting nutzte die Gunst der Stunde und kaufte mehrere Grundstücke in unmittelbarer Nähe zur Zeche Victoria Mathias, die damals zu den größten Bergwerken und damit zu den größten Arbeitgebern an der Ruhr gehörte. Darauf errichtete er innerhalb von knapp 20 Jahren seine Mietshäuser im Baustil der damaligen Zeit.
So hochherrschaftlich die allesamt denkmalgeschützten Häuser heute wirken - sie wurden für Arbeiter gebaut und folglich auch von Arbeitern bewohnt. Fast schachbrettartig entstand so Zeile um Zeile, Straße um Straße. Für die damalige Zeit typisch, lagen an den Straßenecken repräsentative Bauten, die turmartig erhöht waren. Dort waren meist Lebensmittelläden oder Gaststätten untergebracht. Sehr schön sichtbar ist das an dem Haus an der Gertrudisstraße Ecke Eltingstraße, wo im Keller noch die Überreste einer Backstube vom einstigen Nutzen zeugen.
Essen entdeckenHeute sind die großen Fenster im Erdgeschoss, in denen vielleicht die Backwaren ausgestellt wurden, zugemauert, wirken die Straßen etwas verlassen. Kneipen oder Lebensmittelläden sucht man vergebens.
Und doch ist vorstellbar, dass mit der Belebung der nördlichen Innenstadt das Eltingviertel, gerade weil es auch an den Unicampus angrenzt, in zehn, zwanzig Jahren das kommende Essener Szene-Viertel wird.