Essen.
Es ist genau 52 Jahre her, dass Carlos Castéjon Blazquez seinen Fuß zum ersten Mal in die Ruhrstadt setzt. Der Auftrag des jungen Salesianer-Paters: der rasant gewachsenen spanischen Gastarbeiter-Gemeinde in Essen beizustehen - zu allererst als gütiger Seelsorger, aber auch als energischer Lehrer und väterlicher Freund.
Essen 1962: Es ist eine völlig fremde Welt, in die Don Carlos, wie ihn alle rasch nennen werden, eintaucht. „Ich ging abends durch die Stadt und vernahm eine sonderbare Ruhe“, erinnert sich der 87-Jährige. Eine Stille, die dem Madrilenen völlig fremd ist. „Die Kneipen hatten weder Tische noch Stühle vor der Tür und selbst auf der Kettwiger war’s abends seltsam leise.“
Vier Jahrzehnte – fast die Hälfte seines Lebens – sollte Don Carlos in Essen – und zwischendurch im sauerländischen Werdohl – im Dienste des Herrn wirken. Ein prägender Lebensabschnitt, den er jetzt auf 448 Buchseiten auf Spanisch festgehalten hat. „Bajo el Signo de la K: Kreuz, Krupp, Kohle“ lautet der Buchtitel – übersetzt: „Unter dem Zeichen des K“.
Seit zwölf Jahren wieder in Madrid
Seit zwölf Jahren lebt der Madrilene wieder in seiner pulsierenden Heimatstadt, doch immer wieder zieht es ihn nach Essen, in die Stadt („Metrópoli del Ruhr“), deren Sehenswürdigkeiten liebevoll sein Buchcover schmücken.
Von heimeliger Gastarbeiter-Romantik kann Anfang der sechziger Jahre keine Rede sein. Don Carlos trifft in Essen auf asturische Bergleute, die ihrer Heimat nach den Streiks Ende der 50-er Jahre entnervt den Rücken gekehrt und vielfach Frau und Kinder zurückgelassen haben. Er trifft auf entwurzelte, isolierte Typen, die sich im kargen Provisorium mehr schlecht als recht zurechtfinden.
„Die meisten wollten hier nur drei Jahre schnelles Geld verdienen und schnell wieder zurück“, erinnert sich der Seelsorger, der ein Essen kennenlernt, das weitgehend untergegangen ist. Im Norden staunt er damals über hohe Bergehalden, an jeder Ecke steht er vor einem Kirchturm – „und überall war Krupp - von den Fabriken bis zu den Konsumanstalten“. Das Essen, das Don Carlos 2002 verlässt, ist eine Stadt ohne Kohle, mit sterbenden Kirchengemeinden und wenig Krupp.
Entbehrungen der Einwanderer
Sein fakten- und bildreicher Band schildert detailliert, welche Entbehrungen die Einwanderer zu (er-)tragen hatten. Er handelt vom schrecklichen Grubenunglück auf „Emil Emscher“ in Altenessen, bei dem ein spanischer Kumpel verschüttet wird, und von engsten Wohnverhältnissen in Baracken. Familien kommen zu Wort, die sich damals eine Ein-Zimmer-Wohnung teilen mussten und Frauen wie Montserrat García aus Borbeck, die 1965 als 15-Jährige in Essen ankam und zunächst von Schule und Bildung ausgeschlossen war.
In der Spanischen Mission auf der Franziskanerstraße unterrichtete Pater Carlos Montserrat dann in Mathe, Latein und Religion. „Meine erste Mathearbeit bei ihm war eine glatte Eins“, lächelt sie. Geschrieben hat Don Carlos das Buch für die junge Generation: „Sie soll erfahren, welche Opfer ihre Eltern und Großeltern damals auf sich nahmen.“ Über das Deutschland von 2014 sagt er: „Ein lockeres Land - mit Tischen vor der Kneipe.“