Essen. . Immer häufiger bringen Kinos Operninszenierungen und andere kulturelle Veranstaltungen als Live-Übertragung auf die Leinwand – Das erschließt den Häusern neue Zielgruppen und verwischt zuweilen die Grenzen zwischen Hochkultur und Unterhaltung
Freunden erhabener Hochkultur dürfte diese Szene bestens vertraut sein: Beim Sängerfest auf der Wartburg wirft sich Tannhäuser seiner Angebeteten ehrfürchtig zu Füßen, sie ist außer sich vor Freude über das Wiedersehen. Das illustre Opernpublikum lauscht andächtig dem dann folgenden leidenschaftlichen Duett; in diesem Moment gibt es nichts außer dem Gesang – und dem gelegentlichen Rascheln einer Popcorn-Tüte... Moment mal, Popcorn?
Ja, Oper auf einer Kinoleinwand – auch das ist in einer ehemaligen Kulturhauptstadt längst keine Seltenheit mehr. Besagte Szene stammt aus Richard Wagners Werk „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“ und wurde im August live aus dem Bayreuther Festspielhaus in die Lichtburg übertragen.
Das Konzept scheint aufzugehen: Immer häufiger wird der Kinosaal genutzt, um musikalische Großereignisse oder andere Veranstaltungen live zu übertragen. Erst im September zeigte die Lichtburg das Musical „Billy Elliot“, das auf dem gleichnamigen Tanzfilm von Stephen Daldry basiert und brachte damit einen Hauch von Londoner Westend in das historische Kino. „Alternative Inhalte“, wie es im Filmgeschäft heißt, liegen im Trend und sind für viele Häuser eine wichtige profilbildende Ergänzung zum regulären Filmprogramm, das allein offenbar nicht mehr ausreicht, um im umkämpften Unterhaltungsmarkt überleben zu können.
Kinobranche im Wandel
„Die Kinowelt hat sich stark verändert und wird das in den nächsten Jahren weiter tun“, ist Lichtburg-Chefin Marianne Menze überzeugt. Doch war das Kino für die Vollblut-Cineastin schon immer mehr als nur ein Ort zum Filmeabspielen. „Für mich ist es ein kultureller Treffpunkt für die Stadt. Zwar sind Filme unser Kerngeschäft, aber darüber hinaus haben wir in der Lichtburg schon immer ein breites Spektrum abgebildet.“ Dazu gehörten etwa Podiumsdiskussionen, Lesungen und Bühnenveranstaltungen. Die Grenzen zwischen Kino und Theater, so scheint es, werden immer fließender.
Auch in anderen Häusern ist dieser Trend zu beobachten, wobei auch die Trennlinien zwischen Programm- und Mainstream-Kino zusehends verschwimmen. So ist das Cinemaxx wohl noch immer eher Letzterem zuzuordnen, doch ist das offenbar kein Hinderungsgrund für die Kinokette, um nicht Kunstaustellungen, Museumsrundgänge oder eben Operninszenierungen zu übertragen. So wird im November etwa Georges Bizets „Carmen“ aus der New Yorker Metropolitan Opera, genannt „Met“, zu sehen sein. „Bei solchen kulturellen Höhepunkten unterscheidet sich das Publikum von den klassischen Blockbuster-Konsumenten“, sagt Sprecherin Ingrid Breul. „Die Menschen zelebrieren das musikalische Ereignis und machen sich dafür schick wie für einen Opernabend.“
Generell sei dies Teil der Geschäftsstrategie, um neue Zielgruppen zu erschließen – man folge damit dem eigenen Credo, „mehr als Kino“ zu sein. Auch Popkonzerte von Künstlern wie Robbie Williams oder Helene Fischer stehen gelegentlich auf dem Programm.
Kostengünstige Alternative zum Live-Erlebnis
Doch ist die zwangsläufige Mittelbarkeit einer Übertragung überhaupt mit der Stimmung bei einem Live-Erlebnis zu vergleichen? Kommt nicht selbst Robbie Williams etwas dröge daher, wenn man nicht dicht gedrängt zwischen schwitzenden Fans in der Menge steht und mitsingt, sondern stattdessen brav in seinem Kinosessel hockt?
„Natürlich kann so eine Übertragung das Live-Erlebnis auf der Bühne nicht ersetzen – egal, ob es sich nun um ein Fußballspiel oder eine Opernvorstellung handelt“, räumt Marianne Menze ein. Und dennoch hätten Übertragungen durchaus Vorteile für die Zuschauer: „Zum einen ist es eine praktische Alternative für Opernfans, die für eine wichtige Inszenierung keine Karte mehr erhalten haben und diese sonst verpassen würden“, so Menze. „Und zum anderen ist die eigentliche Vorstellung bei einer Übertragung für den Zuschauer oft besser sichtbar als für den normalen Kartenkäufer.“
So zeigen die Kameras verschiedene Perspektiven, sind nah dran an den Künstlern und ermöglichen zuweilen auch einen Blick hinter die Kulissen. In den Kinos müssen für solche Angebote die technischen Voraussetzungen geschaffen werden – Satellitenschüsseln installiert und Leitungen verlegt.
Viel technischer Aufwand
Und eines haben Live-Übertragungen auch mit dem eigentlichen Geschehen auf der Bühne gemeinsam: Nichts ist planbar. „Manchmal ist es auch eine Zitterpartie, ob mit der Technik alles glattläuft“, sagt Menze. So können Wetterkapriolen wie Sturm und Regen die Übertragung über Satellit arg beeinträchtigen. Größere Pannen seien in der Lichtburg aber noch nicht passiert.
Nur bei der Konzertübertragung der Berliner Philharmoniker fiel einmal für zwei Sekunden der Ton aus. Zwei Sekunden, die wahren Opernkennern schon mal die Laune verderben können. „Einige nehmen lange Anreisen für die Vorstellung auf sich. Da ist so etwas natürlich ärgerlich“, meint Menze. Doch dafür kann man sich nach dem letzten Bogenstrich der Violinen lässig die Chipskrümel vom Schoß klopfen.