Essen. . Lieber aufwendig Videos auswerten als mit Schlagstock und Reizgas für eine womöglich blutige Eskalation zu sorgen: Ralf Jäger stützt diese Linie der Essener Polizeiführung.
Im Nachhinein war es leicht, forsch zu formulieren: Hätte die Polizei nicht...? ...die antisemitische Hetze bei der Doppel-Nahostdemo Mitte Juli in der Innenstadt verhindern, diese unsäglichen Hitler- und Holocaust-Parolen unterbinden, alle provozierenden Plakate einkassieren müssen?
Ja, man hätte das tun können, räumt jetzt NRW-Innenminister Ralf Jäger in einem Bericht für den am Donnerstag tagenden Innenausschuss des Landtages ein. Allerdings nur um den Preis, dass ein massiver Schlagstock- und Reizgas-Einsatz gegen einen großen Teil der Störer die ohnehin schon „emotional aufgeheizte Situation“ hätte eskalieren lassen.
Die Polizei rechnete mit einer „erheblichen Gegenwehr“ der aufgebrachten Demonstrantenschar, und da hielt die Polizeiführung es für unverhältnismäßig, mit Gewalt herbeizuprügeln, was man auch auf weit friedlicherem Wege erreichen kann: nämlich Konsequenzen für all jene herbeizuführen, die „das Demonstrationsrecht missbrauchen“.
Ohne jede Einschränkung
Mit dieser Linie stellt sich Jäger ohne jede Einschränkung hinter die Essener Polizeiführung, die sich im Nachgang zu den beiden Demos harsche Vorwürfe hatte gefallen lassen müssen. Und die ihre Kritiker mit dem Hinweis zu besänftigen suchte, man lasse mögliche Straftaten doch keineswegs durchgehen. Es dauere eben nur etwas länger, bis die stundenlangen Videoaufzeichnungen komplett ausgewertet sind.
Eine erste Zwischenbilanz zeigt, dass die Polizei dabei durchaus vorankommt: 66 Strafanzeigen wurden bislang erstattet, ausnahmslos übrigens gegen Teilnehmer der von den Linken veranstalteten Demo gegen das Bombardement im Gaza-Streifen. Jeder dritte dieser Beschuldigten ist bereits namentlich bekannt.
Darunter auch jene jungen Leute aus der rechten Szene, die nicht nur mit einem Messer in der Tasche die Linken-Demo aufsuchten, sondern auch mit sechs Tüten Betäubungsmittel. Sie wurden – wie berichtet – vorläufig festgenommen.
Erstmals lässt die Polizei auch durchblicken, worin jene „Verabredung zu einem Verbrechen“ bestand, deretwegen im Vorfeld der Doppel-Demo immerhin 15 Personen „libanesischer/arabischer Herkunft“ zwischen 15 und 41 Jahren vorläufig festgenommen worden waren. Bei ihnen handelte es sich um Mitglieder einer geschlossenen Gruppe des sozialen Netzwerks „Facebook“ namens „Aufgewacht Welt“, die laut Innenministerium im Zusammenhang mit Staatsschutz-Delikten bis dato noch nicht auffällig geworden waren. Am 15. Juli aber gab es einen Aufruf, die Alte Synagoge am Rande der Innenstadt mit „Molotow-Cocktails, Waffen und Steinen“ zu „zerstören“.
Wohnungsdurchsuchung von "Facebook"-Teilnehmern
Um zu verhindern, dass eine solche Tat womöglich im Tumult einer groß angelegten Nahost-Demo durchgeführt wird, schlug die Polizei zu, durchsuchte die Wohnungen der identifizierten „Facebook“-Teilnehmer und hielt die 15 Personen den ganzen Tag über bis in den späten Abend in Gewahrsam.
Vielleicht, so vermittelt der Innenminister den im Innenausschuss vertretenen Abgeordneten, könne man auch vor diesem Hintergrund zufrieden feststellen, dass die Alte Synagoge auch am Demo-Tag kein Ziel irgendwelcher Attacken wurde – obwohl die Israel-kritische Demo „unvermittelt und für die Polizei nicht absehbar“ aufgelöst worden war. Denn immerhin bis zu 200 Personen versuchten hernach, sich der Alten Synagoge zu nähern.
Am Ende blieb alles friedlich, von einigen wenigen Flaschen- und Steinwürfen abgesehen. Auch dies werde man wie alle andere Straftaten „entschlossen mit allen (...) zur Verfügung stehenden Mitteln verfolgen“.