Essen. Gegen Judenhass und Islamfeindlichkeit: Jüdische, muslimische und christliche Vertreter sowie die Stadt reagieren auf die Zwischenfälle nach den Nahost-Kundgebungen in der Essener Innenstadt und unterschreiben eine Erklärung. Mit einer Schweigeminute gedachten sie der Opfer des Nahost-Konflikts.

„Ein bewegender Moment“, fasste ein Besucher das Treffen vor der Marktkirche in der Innenstadt zusammen. Der Initiativkreis der Religionen hatte eingeladen, um sich gegen jede Form von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit auszusprechen und dazu eine Erklärung zu unterschreiben.

Zwei Wochen ist es her, dass Bilder aus Essen durch ganz Deutschland gingen, als nach pro- und anti-israelischen Kundgebungen Teilnehmer der Lager aufeinanderprallten, auch antisemitische Rufe auf dem Willy-Brandt-Platz laut wurden und ein Großeinsatz der Polizei notwendig war.

Mit einer Schweigeminute und wenigen Polizeibeamten am Rande begann jetzt die Zusammenkunft der jüdischen, muslimischen und christlichen Vertreter vor der Kirche, bei der rund 100 Menschen zuhörten und applaudierten. Zunächst aber gedachten sie der Opfer, die beim Konflikt im Nahen Osten gestorben sind oder an diesem Tag sterben werden, leitete Willi Overbeck vom Initiativkreis Religionen ein. Er verlas die Erklärung, in der der Initiativkreis formuliert, dass er in „unserer Stadt weiter aufeinander zugehen und Räume für den Dialog und das gegenseitige Kennenlernen eröffnen“ wolle. Künftig, so sagte Overbeck, solle es Dialoge in den Stadtteilen, Gemeinden und Verbänden geben, bei dem sich Essener Bürger in ihrer Verschiedenheit begegnen.

„Ein besonderes Anliegen ist uns dabei der jüdisch-islamische Dialog in unserer Stadt“, las Overbeck, bevor der erste Bürger der Stadt zum Stift griff und die Erklärung unterschrieb. Oberbürgermeister Reinhard Paß verurteilte im Namen aller Bürger aufs Schärfste antisemitische Hetze, sprach sich ebenso deutlich wie Stadtdechant Jürgen Cleve und Muhammet Balaban (Dachverband Moscheen) gegen Hass, Gewalt und Unfrieden aus: „Sie haben in unserer Stadt nichts zu suchen“. Hans Byron (Jüdische Kultusgemeinde) betonte das Verständnis für die Opfer, doch die Folge dürfe niemals Intoleranz, Judenhass oder Islamfeindlichkeit sein. Da gebe es auch bei einem Teil in Essen Nachholbedarf, sagte er: „Wir wollen mehr Möglichkeiten für Aufklärung und Begegnung vor allem für Jugendliche schaffen.“

Ein Bild der Versöhnung und des Friedens zu zeichnen, so wie es das Orchester von Daniel Barenboim macht, bei dem Israelis und Palästinenser gemeinsam musizieren, wünscht sich Superintendentin Marion Greve für Essen. Sie alle unterschrieben die Erklärung, es folgten Imame verschiedener Moscheegemeinden sowie Vertretern aus Politik und Verwaltung. Bürger waren ebenfalls dazu eingeladen.

Willi Overbeck: „Wir hoffen auf weitere Zeichen des Friedens in der Stadt.“ Muhammet Balabans Hoffnung ist auch die, dass „die unguten Taten der anderen Länder nicht nach Essen drängen, sondern unsere guten hinaus.“ Ob der Appell tatsächlich bewirkt, dass in Zukunft hässliche Bilder wie die vom Willy-Brandt-Platz vermieden werden – auch das bleibt zu hoffen. Die Erklärung, so Balaban, „sie ist das Mindeste, das wir tun können.“

Erklärung des Initiativkreises Religionen in Essen im Wortlaut: 

Wieder wird im Nahen Osten geschossen und wieder gibt es zahlreiche unschuldige Opfer der Gewalt auf allen Seiten. Allen internationalen Bemühungen zum Trotz ist kein Weg des Dialogs zwischen den Parteien in Sicht, auch wenn längst klar ist, dass eine militärische Lösung des Konfliktes nicht möglich ist (Daniel Barenboim). Zusammen mit allen Menschen guten Willens hören wir nicht auf, auf eine Verständigungslösung im gegenseitigen Respekt zu hoffen und immer wieder dazu aufzurufen. Wir fühlen uns den leidenden Menschen in diesem Konflikt verbunden, den trauernden Familien, den Verletzten, den Flüchtlingen und Obdachlosen. Dabei gedenken wir besonders der über 1000 Toten des Konflikts, deren Zahl noch immer weiter wächst.

Zugleich sind wir betroffen, dass Trauer und Schmerz bei uns in Essen in Wut und sogar Hass umgeschlagen sind. Wir können es nicht akzeptieren, dass unschuldige Konfliktopfer zur Rechtfertigung für Intoleranz, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und einseitige Schuldzuweisungen missbraucht werden. Freie Meinungsäußerung und die Möglichkeit der öffentlichen Kundgabe gehören zum Grundbestand unserer Demokratie, doch setzen auch sie voraus, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist und der Respekt vor Menschen mit anderen religiösen oder nichtreligiösen Überzeugungen erhalten bleibt. Das hat die Zivilgesellschaft hier in Essen schon oft zum Ausdruck gebracht.

Als Initiativkreis der Religionen wollen wir in unserer Stadt weiter aufeinander zugehen und Räume für den Dialog und das gegenseitige Kennenlernen eröffnen. So hat es die „Arche Noah“ auf dem Essener Burgplatz im vergangenen Jahr gezeigt und wird es in diesem Jahr wieder zeigen, dass viele Gruppen unterschiedlichster Herkunft in Essen kreativ zusammenarbeiten können. Aus dieser Erfahrung sollen im kommenden Jahr „Arche-Dialoge“ den Gedanken der Verständigung nachhaltig in die Stadtteile, Gemeinden und Verbände transportieren und konkret Menschen zur Begegnung und zum Kennenlernen zusammenführen.

Ein besonderes Anliegen ist uns dabei der jüdisch-islamische Dialog in unserer Stadt, den wir für notwendig halten, um bestehende Vorbehalte und Unkenntnis über die jeweils andere Gemeinschaft zu überwinden. Ein „Essener Tag der Jüdisch-Islamischen Begegnung“, unterstützt von der Stadt und der Zivilgesellschaft ist unser konkretes Ziel, um aus Essen das Signal ausgehen zu lassen, dass die offene menschliche Begegnung die Grundlage wirklichen Friedens ist.

Essen, 31. Juli 2014