Essen. Den Unternehmen fehlt es an Fachkräften, das klagt die Wirtschaft unentwegt. Trotzdem finden 370 junge Fachkräfte in Essen keinen Job. Ihr Problem: mangelnde Erfahrung. Warum Firmen ihnen dennoch eine Chance geben sollten, erklärt die Arbeitsagentur. Und wir stellen fünf engagierte Jobsuchende vor.
Sie haben ihren Berufsabschluss frisch in der Tasche, viele sind motiviert, jung und ihre Lohnerwartungen sind auch nicht überbordend. Und dennoch suchen in Essen 370 Berufseinsteiger derzeit vergeblich eine Chance auf dem Arbeitsmarkt. Von wegen Fachkräftemangel!
„Das ist eine hohe Zahl“, meint Sabrina Marquardt, die bei der Essener Arbeitsagentur für die Vermittlung zuständig ist. Vor allem: Wenn es ihnen in den nächsten Wochen nicht gelingt, eine Arbeitsstelle zu finden, dann wird es immer schwieriger.
Vor allem kleinere Firmen wollen sich die Einarbeitung sparen
Berufseinsteiger haben es aber per se am Arbeitsmarkt schwerer als Arbeitnehmer mit Berufserfahrung. Sie können nicht direkt starten, müssen im neuen Unternehmen erst eingearbeitet werden. In vielen Fällen fehlt ihnen auch noch eine bestimmte Qualifikation. „Gerade kleinere Unternehmen suchen lieber eine erfahrenere Fachkraft, um sich das alles zu sparen“, weiß Sabrina Marquardt aus Erfahrung.
Natürlich gibt es unter den Berufseinsteigern immer wieder auch Kandidaten, deren Lebensläufe nicht geradlinig sind, die zuvor ein Studium abgebrochen haben, deren Ausbildungszeugnis nicht 1a ist oder eben Bewerber, die aus familiären Gründen nur Teilzeit arbeiten können. „Viele von ihnen bräuchten einfach eine Chance, sich bei einem Arbeitgeber zu beweisen“, sagt Sabrina Marquardt.
Arbeitsagentur unterstützt Test-Praktika finanziell
Die Arbeitsagentur wirbt deshalb verstärkt bei den Unternehmen für solche Test-Praktika und unterstützt diese auch finanziell. Sabrina Marquardt: „Wenn wir die Möglichkeit haben, mit den Unternehmen ins Gespräch zu kommen, dann zeigen sich die Arbeitgeber häufig offen.“ Doch in der Praxis gehe das Umdenken in vielen Betrieben noch zu langsam.
Viele junge Menschen, die derzeit nach der Lehre auf Jobsuche sind, haben einen kaufmännischen Beruf gelernt, aber auch solche mit technisch-gewerblichen Abschlüssen hat Sabrina Marquardt auf ihrer Vermittlungsliste stehen. Sie zählt Zerspaner, Maler, Lagerlogistiker oder beispielsweise Friseure auf.
Zuletzt ist die Jugendarbeitslosigkeit in Essen wieder stark angestiegen und die Zahlen liegen höher als im vergangenen Jahr. Ende Juli suchten in der Stadt 3716 Männer und Frauen unter 25 Jahren einen Job. Allein im Juli meldeten sich 750 junge Leute nach einer Ausbildung, einem Studium oder einem Schulbesuch arbeitssuchend – 126 mehr als im vergangenen Jahr. „Unternehmen sollten die Chance nutzen, und diese qualifizierten Arbeitskräfte für ihren Betrieb gewinnen“, wirbt der Chef der Essener Arbeitsagentur Torsten Withake.
Wir stellen fünf junge Menschen vor, die trotz erfolgreicher Berufsausbildung keine Anschlussstelle haben finden können.
Am liebsten würde Noori Handys verkaufen
Zu Hause ist Nadjibullah Noori der Handyexperte. Er berät seine Familie und seine Freunde, wenn es um die richtigen Tarife oder das richtige Handy geht. Eigentlich wollte der 27-Jährige, dessen Familie aus Afghanistan stammt und der mit acht Jahren nach Deutschland kam, IT studieren. Doch in der Schule tat sich der ruhige junge Mann mit seinen Mitschülern immer etwas schwerer, so dass er sein Ziel, ein Fachabi zu machen, wieder aufgab. Drei Jahre jobbte er bei einer Imbisskette und begann schließlich eine außerbetriebliche Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel.
Er arbeitete erst in einem Baumarkt, dann bei einem Büroausstatter. Die Arbeit habe ihm großen Spaß gemacht, vor allem wenn er mit Kunden zu tun hatte, erzählt er. Seit Mai nun hat er seinen Berufsabschluss in der Tasche, keinen brillanten aber solide und sucht seither Arbeit. Auch wenn es sein größter Traum ist, Elektronik zu verkaufen, sei er offen für andere Branchen. Seine Vermittler bei der Arbeitsagentur bezeichnen Nadjibullah Noori als zuverlässig und motiviert. Warum es dennoch noch nicht geklappt hat: „Vielleicht spreche ich manchmal etwas zu leise.“
In der Ausbildung fand sie ihren Traumberuf
Colette Grabowski (25), Mediengestalterin Digital und Print: Eigentlich war sie prädestiniert für die Hochschule: Abischnitt 2,4 – die Wunschfächer Germanistik und Geschichte an der Uni Duisburg-Essen problemlos bekommen. Doch nach zwei Jahren merkte die gebürtige Düsseldorferin, dass das Bachelorstudium zu verschult gewesen ist. „Es war einfach nicht das richtige für mich.“
Nur gut, dass es Freunde gibt. Eine Bekannte vermittelte sie in ein Praktikum zur Mediengestalterin – der Traumberuf war gefunden. In einer kleinen Design-Agentur in Essen machte sie ihre Ausbildung, brachte sich das Programmieren von Web-Seiten bei. „Ich war dort sehr sehr glücklich, aber der Betrieb war klein und konnte mich nicht übernehmen“, erklärt die 25-Jährige. Dass die Arbeitslosigkeit nicht an ihren Fähigkeiten lag, offenbaren auch die Noten aus der Berufsschule: Fast überall eine glatte Eins, die Abschlussprüfung mit 84 von 100 möglichen Punkten bestanden.
Nun sucht sie seit Juni einen Job, im Ruhrgebiet oder in der alten Heimat Düsseldorf. Zehn Bewerbungen sind momentan offen, bislang hat sie lediglich von einer Firma Antwort bekommen: Eine Absage.
Mit einem Studium in der Tierpflege
Lea Ilger (19), Kauffrau für Einzelhandel: Für die gebürtige Essenerin war schnell klar, wohin es sie beruflich führen wird: Ein Job mit Tieren sollte es sein. Ihre Fachoberschulreife an der Gesamtschule Bockmühle in Altendorf – Notendurchschnitt 1,9 – führte sie direkt in eine Ausbildung bei einem Zoofachhandel in Steele. Zweieinhalb Jahre lang kümmerte sich die 19-Jährige um die Süßwasseraquaristik, Kleinnagern und Terraristik, lernte neben kaufmännischen Tätigkeiten auch die klassische Tierpflege kennen.
Seit Januar bewirbt sie sich auf eine Stelle. 60 Bewerbungen hat sie bereits geschrieben. Das Problem: Durch den Zoobetrieb ist sie sehr spezialisiert. Auch das Jobcenter kann kaum maßgeschneiderte Jobs finden. Lea Ilger: „Ich habe mich dann im Lebensmittelhandel beworben, oder bei Möbelhändlern. Ich möchte momentan einfach nur eine Stelle finden.“ Der Traum bleiben weiterhin die Tiere. Weil Jobs in Tierheimen oder Zoofachhandlungen rar sind, qualifiziert sie sich weiter. Und studiert seit März an der Fernuniversität Tierhaltung und Tierpsychologie.
Freigeist mit kaufmännischem Hintergrund
Andre Terbach (26), Kaufmann Marketingkommunikation: Jobwunsch Werbebranche, so einfach lässt sich der berufliche Weg des 26-Jährigen beschreiben. Doch ganz gradlinig führte ihn sein Werdegang nicht dahin, vielmehr waren ein paar Umwege notwendig: So brachte ein Soziologiestudium nach dem Abitur mit 3,0 nicht den gewünschten fachlichen Schwerpunkt; auch die Ausbildung in der Marketingkommunikation, die er 2012 bei einer Firma in Essen begann, war ihm zunächst zu kaufmännisch angelegt. Doch der Chef der Werbeagentur bemerkte Terbachs Interesse für das Schreiben und setzte ihn fortan bei den Werbetextern des Betriebs ein.
In diesem Bereich versucht er nun seit Juni einen Job zu finden. Nach einer Handvoll Bewerbungen gab es bereits erste Kontaktaufnahmen – eine Anstellung war allerdings noch nicht dabei.
Für Andre Terbach kein Grund zur Resignation. Denn auch einem erneuten Studium ist er keineswegs abgeneigt: Kommunikationswissenschaften könnten es werden, doch Semesterstart dafür ist erst in einem Jahr. So wäre für ihn in der Zwischenzeit auch eine befristete Stelle attraktiv.
Mutter, 21 Jahre jung, kämpft gegen Vorbehalte
Ihre Ausbildung hat Rosalia Bergmann schon ein halbes Jahr früher abgeschlossen als geplant. Ihr Ausbildungsbetrieb, ein Reisebüro, steckte offenbar in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und ihr Chef habe ihr nahegelegt, die Prüfung schon im Januar abzulegen. An eine Übernahme war nicht mehr zu denken. Seither sucht die junge Frau eine Arbeitsstelle. Im Reisebüro hatte sie viel mit Vertrieb zu tun, schrieb Angebote, organisierte, war mit für die Ablage zuständig. Tätigkeiten, die ihr Spaß machten.
Der direkte Kontakt mit den Kunden gefiel ihr. Auf eine Branche ist sie nicht festgelegt, meint sie. „Ich bin flexibel, habe mich auf verschiedenste Stellen beworben.“ Doch in den bisherigen Bewerbungsgesprächen seien immer wieder ihre vierjährige Tochter und das Thema Betreuung zur Sprache gekommen. „Viele Arbeitgeber haben wohl Angst, dass ich das nicht geregelt bekomme.“ Dabei hat sie einen Kita-Platz und eine Familie, die einspringen kann. Am liebsten hätte Rosalia Bergmann eine Teilzeitstelle, 30 Stunden wären optimal, aber bis zu 37,5 gingen auch. Da viele Arbeitgeber Bewerber mit Buchhaltungskenntnissen suchen, denkt sie über eine Fortbildung nach. „In einem Unternehmen wäre das natürlich besser.“