Essen. . Vor voll besetzten Zuschauerplätzen begann am Mittwoch der „Madeleine“-Mordprozess. Ihr angeklagter Stiefvater, der die 23-Jährige missbraucht, ermordet und unter Beton vergraben haben soll, zeigte dagegen Desinteresse und erschien im Bayerntrikot im Gerichtssaal.

Die meisten Angeklagten bemühen sich vor Gericht um einen guten Eindruck. Günther O. (47), der seine Stieftochter Madeleine W. (23) jahrelang sexuell missbraucht haben soll, bevor er sie laut Anklage umbrachte und in seinem Schrebergarten unter Beton und Erde begrub, sieht dafür keine Notwendigkeit. Mit ungepflegten langen Haaren betritt er in einem Trikot des FC Bayern den Schwurgerichtssaal im Landgericht Essen.

Der Auftritt steht im krassen Gegensatz zum Schicksal der Gelsenkirchenerin Madeleine W., Mutter einer heute dreijährigen Tochter, die ihr Stiefvater selbst gezeugt hat. Sieben Tage lang suchte die Polizei die junge Frau, bevor sie ihre Leiche am 18. Februar unter frisch gesetzten Zuckerhutpflanzen im Garten des Stiefvaters an der Straße Weidkamp in Essen fand.

Seitdem sitzen Günther O. und sein leiblicher Sohn in U-Haft. Dem 22-Jährigen wirft Staatsanwältin Birgit Jürgens vor, dem Vater geholfen zu haben, indem er seine Stiefschwester aus ihrem Versteck lockte.

Zuhörer werden vor dem Prozess durchsucht

Die Anteilnahme an dem Fall ist ungebrochen. Schon eine Stunde vor Prozessbeginn stehen die Zuhörer am Mittwochmorgen vor dem Saal 101 an. Einzeln werden sie durchsucht. Offenbar will An­dreas Labentz, Vorsitzender des Schwurgerichtes, Tumulte vorsorglich verhindern, denn konkrete Drohungen gab es nicht. Drei Zuschauer, die den Aufdruck „No sexism“ auf der Kleidung tragen, müssen die Parolen abdecken.

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Günther O., der 1988 aus Österreich nach Deutschland kam, zeigt weniger Interesse. Er fläzt sich in seinen Stuhl auf der Anklagebank, spricht nicht mit dem Vorsitzenden. Auf dessen Fragen nach den Personalien antwortet O. nur mit einem Nicken. Zu den Vorwürfen will er erst zu einem späteren Zeitpunkt schriftlich Stellung nehmen, erklärt sein Verteidiger Wolfgang Weber. Daniel O. schweigt am ersten Prozesstag ebenfalls, will erst nach der Aussage des Vaters reden. Sein Verteidiger Hans Reinhardt spricht außerhalb der Hauptverhandlung von dem starken Abhängigkeitsverhältnis des Mandanten zum Vater.

Die Minuten, in denen die Juristen an der Richterbank stehen und Tatortfotos anschauen, nutzen die beiden Inhaftierten zur Kommunikation. Meist richtet Günther O. das Wort an seinen Sohn. Wenn Wachtmeister das unterbinden, versucht er, mit ihnen zu scherzen.

Polizist fand Pornografie in der Messie-Wohnung

Amüsiert reagieren Vater und Sohn auch auf den Bericht eines Kripobeamten, der die Wohnung der Familie in Essen-Borbeck nach der Tat durchsucht hatte. Von einer „Messie“-Wohnung spricht er, von abgelaufenen Lebensmitteln und wenig Platz: „Alles, was in so einem Leben anfällt, wurde gesammelt.“ Zeitweise, als Madeleine mit ihrer Tochter noch dort wohnte, lebten hier fünf Menschen verteilt auf drei Zimmer. Und jede Menge Filme und Fotos, meist pornografischen Inhalts, füllten die Räume.

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In den beiden Anklagen wird die Besessenheit des mutmaßlichen Mörders deutlich. Die erste betrifft den Missbrauch. Seit ihrem 14. Lebensjahr hatte O. mit seiner Stieftochter sexuell verkehrt. Gewalt setzte er nicht ein, er bezahlte sie, gewährte ihr Vorteile. Die zweite Anklage beschreibt, wie er nach ihr suchte und sie ermordete. Sie hatte sich 2012 abgesetzt und war mit Hilfe des Essener Jugendamtes in ein Frauenhaus gekommen. Fast gleichzeitig zeigte sie Günther O. wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen an.

Fieberhaft suchte er nach ihr. Staatsanwältin Birgit Jürgens: „Über Facebook und andere Netzwerke spionierte er ihr nach.“ Sohn Daniel bekam schließlich Kontakt zu ihr, ohne die Adresse zu kennen. Über Whatsapp und Facebook unterhielt sie sich schriftlich mit ihm. Laut Anklage soll aber oft unerkannt Günther O. mit ihr getextet haben. Mit Geldversprechen soll es Daniel O. schließlich gelungen sein, seine Stiefschwester zu einem Treffen zu bewegen. Es war eine Falle. In nüchternen Worten listet die Anklage auf, wie Günther O. ins Auto stieg, mit Madeleine zu Schrebergarten Nr. 38 fuhr und ihr dort sofort mit einem Hammer auf den Kopf schlug. Anschließend hätte er sie geknebelt, gefesselt und mit einem Kissen erstickt.

Ungewöhnlich ist der Antrag, den Rechtsanwalt Patrick Weiß bei Gericht eingereicht hat. Er vertritt in der Nebenklage die Ehefrau von Günther O., Mutter des zweiten Angeklagten und der getöteten Madeleine. „Sie will nicht in Anwesenheit ihres Mannes aussagen, sondern per Video aus einem Nebenraum in den Gerichtssaal geschaltet werden“, zitiert Richter Labentz aus dem Antrag.

Madeleine W.s Mutter zeigte Desinteresse

Vielleicht scheut sie auch die Öffentlichkeit. In Internetforen war sie nach der Tat oft kritisiert worden. Viele fragten sich, ob sie bei den beengten Wohnverhältnissen wirklich nicht mitbekommen haben soll, dass ihr Mann Madeleine jahrelang sexuell missbraucht haben soll. Und bitter stieß vielen auf, dass einer ihrer Facebook-Einträge Desinteresse am Schicksal Madeleines vermuten ließ, als diese noch als vermisst galt. Einen Tag bevor die Leiche ihrer Tochter gefunden wurde, soll sie nämlich gepostet haben, dass sie Hunger hätte: „Kann mir jemand einen Döner bringen? Mir ist langweilig.“