Essen. In der Kindertagespflege hängt der Haussegen schief. Juristin spricht von rechtswidrigen Bescheiden, und das Zuzahlungsverbot treibt wundersame Blüten.
Kurz vor Beginn des neuen Betreuungsjahres hängt der Haussegen in der Kindertagespflege merklich schief: Im Streit um die ab August geltenden Neuregelungen für Tagesmütter kommt auf die Kommune eine unübersehbare Klagewelle zu. Die Richtlinien, die der Rat der Stadt verabschiedet hat, müssen sich einer gerichtlichen Überprüfung stellen.
Knapp 30 Tagesmütter haben bereits oder wollen noch gegen angeblich rechtswidrige Bescheide Einspruch vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einlegen, sagt Claudia Gößling, Vorsitzende der Interessengemeinschaft Tagespflege. Und es sollen noch mehr werden: Zur Zeit animiert der Verein, der die Interessen aller Tagesmütter in Essen vertreten will, seine Mitglieder, sich auf juristischem Wege zu holen, was ihnen zustehen soll.
Es geht im Einzelfall um viel Geld, es geht um das Zuzahlungsverbot für Eltern, das den Tagesmüttern trotz angeblich verbesserter Rahmenbedingungen Verluste von mehreren hundert Euro pro Monat bescheren kann, und es geht um mutmaßlich fehlerhafte Bescheide. Nach eingehender Prüfung der städtischen Papiere ist die Euskirchener Rechtsanwältin Mirjam Taprogge-Essaida davon überzeugt: „Das, was die Stadt Essen macht, ist rechtswidrig.“
Anwältin kritisiert mangelnde Gesprächsbereitschaft der Kommunen
Die Juristin, die sich durch ähnlich gelagerte Urteile bestätigt sieht, bemängelt zum Beispiel, dass die von der Stadt gezahlten Pauschalen an die Tagesmütter nicht nachvollziehbar sind, weil sie Sachaufwand und den so genannten Anerkennungsbetrag nicht getrennt ausweisen. Das verstoße gegen die Vorschriften. Zu überprüfen sei aber auch die nach Betreuungs-Stunden gestaffelte Bezahlung: Es sei nicht leistungsgerecht, so Mirjam Taprogge-Essaida, wenn diejenige Tagesmutter pro Stunde mehr Geld bekommt, die letztlich weniger Zeit pro Tag in die Kinder investiere.
Auch das so genannte Zuzahlungsverbot für Eltern, das immer dann greife, wenn eine Tagesmutter kommunale Mittel beziehe, gehöre auf den Prüfstand. Es sei zwar gesetzlich vorgegeben. Allerdings müsse die Stadt bei der Umsetzung darauf achten, dass die Tagesmütter dadurch keine wirtschaftlichen Verluste erleiden, so die Rechtsanwältin, die die mangelnde Gesprächsbereitschaft der Kommunen gegenüber den Tagesmüttern deutlich kritisiert. Man bekomme den Eindruck, die Städte, die auf der einen Seite immer wieder die Unverzichtbarkeit der Tagespflege beteuern, pokern auf der anderen rücksichtslos. „Sie warten die Klageverfahren ab, um in der Zeit Geld zu sparen“, meint Mirjam Taprogge-Essaida. Bis die Gerichte entscheiden, könne durchaus ein Jahr vergehen.
Derweil treibt das ab 1. August geltende Zuzahlungsverbot wundersame Blüten: Betreuungsverträge, die noch vor dem 31. Juli mit den Eltern abgeschlossen werden, sind in dem kommenden Betreuungsjahr davon ausgenommen. Was zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft unter den Tagesmüttern führt: Ein Teil kommt in den Genuss höherer kommunaler Entgelte zuzüglich der mit den Eltern vereinbarten Gelder, der andere hingegen nicht, sagt Claudia Gößling: „Das ist der Irrsinn in Tüten.“