Essen. . Thomas Schweres hat in seinem Journalisten-Leben schon einiges mitgemacht, das Gladbecker Geiseldrama, die Duisburger Mafiamorde, den Amok-Lauf in Erkrath und Düsseldorf. Schweres und sein Sohn rücken dann meist für RTL an, wenn die Blaulicht-Reporter wieder weg sind. Auf der Suche nach der Geschichte hinter der Geschichte.
In den Tagen vor dem Finale der Fußball-Weltmeisterschaft bekommt Thomas Schweres noch einen Anruf von RTL. Der Auftrag: Mache die Großeltern eines deutschen Nationalspielers ausfindig und filme sie während des Endspiels gegen Argentinien. „Puh, das wird eine Recherche“, sagt der Essener und seufzt. Alltag in seinem Geschäft, das auf Emotionen setzt, im positiven wie im negativen. Um es vorwegzunehmen: Aus dem Final-Dreh mit den Großeltern ist dann doch nichts geworden. Auch das kann Alltag sein. Dabei hätte die Fußball-Story eine nette Alternative zum üblichen Geschäft werden können.
„Wir übersetzen die Bild-Zeitung ins Fernsehen“, hat Schweres einmal gesagt: Buntes, Drama, Unfälle, Unglücke, Schicksalsfälle. Der 55-Jährige rückt mit seinem Sohn Niko zu Tatorten aus, wenn Blaulicht-Reporter wie Wolfgang Wiebold oder Teams von ANC-News schon lange wieder weg sind. Wie Ende April dieses Jahres in Duisburg-Meiderich, als beim Brand eines China-Imbisses in einem Wohn- und Geschäftshaus drei Menschen ums Leben gekommen sind. Schweres holt die Nachbarn vor die Kamera - und den Eigentümer des Brandhauses. Sein Ziel: „Mehr Fleisch an die Geschichte zu bekommen“, die Story hinter der Nachricht zu entdecken und zu dokumentieren. „Das“, sagt Schweres, „interessiert mich am meisten.“
In der Regel schickt ihn RTL raus, meist verkauft Schweres sein Material an die Sendung „Explosiv“. Glück beim Unglück anderer gehört zum Job: Nachdem ein Amokläufer in zwei Kanzleien in Düsseldorf und Erkrath Ende Februar dieses Jahres eine Spur der Verwüstung hinterlassen und drei Menschen getötet hat, fährt Schweres im Auftrag des Senders los. Zufällig treffen sie am Abend des Tages an einem der Tatorte einen Anwalt, der das eigentliche Ziel des Amokläufers gewesen sein soll. Das Zwei-Mann-Team fragt nach einem O-Ton. Der Anwalt verneint am Freitag, vertröstet die beiden auf den Samstag und hält Wort: „Dann haben wir uns getroffen und gedreht, noch vor der Pressekonferenz der Polizei“, blickt Schweres zurück.
Mülheimer Flugzeugabsturz als „erste, richtig heftige Geschichte“
Zum Job gehört auch, dass Thomas und Niko Schweres das machen, was unter Journalisten nicht gerade hochachtungsvoll „Witwenschütteln“ genannt wird: Freunde und Familienangehörige von Unfallopfern oder nach Gewaltverbrechen zu sprechen. Im Falle der in diesem Jahr in Gelsenkirchen getöteten jungen Frauen Madeleine und Nicol haben sie es RTL vorgeschlagen, der Sender hat es abgelehnt. Schweres hätte es gemacht: „Das A und O ist, dass du seriös bist. Ich bin darauf angewiesen, dass ich keine verbrannte Erde hinterlasse. Die Menschen sollen sagen: Der ist in Ordnung, mit dem kannst du das machen.“ So hat Schweres einmal eine Mutter zum Dreh überzeugt, deren Kind mit einem Verkehrsunfall mit einem Lkw schwer verletzt worden ist. Im Beitrag stellen sie die Geschichte nach und problematisieren den toten Winkel, in dem das Kind zum Opfer geworden ist. „Es wurde eine Prophylaxe- und Erklärgeschichte“, sagt Schweres, „es ging nicht darum, nur die aufgelöste Mutter zu haben.“
1988 erlebt Thomas Schweres seine „erste, richtig heftige Geschichte“: den Flugzeugsturz in den Mülheimer Ruhrauen unterhalb der A 52-Brücke. Da stapft der Essener neben Wolfgang Wiebold und Hermann Anhuth von ANC-News durch die Wrack- und Leichenteile, noch bevor die ersten Rettungskräfte da sind. Schweres ist Volontär bei der Bild-Zeitung zu diesem Zeitpunkt, aus der Redaktion in Kettwig ist er zum Unglücksort hinüber gelaufen. Es geht so weiter: Bei der Flucht der Gangster Degowski und Rösner beim Gladbecker Geiseldrama folgt Schweres mit Kollegen dem Bus auf der A 1 in einem Auto: „Wir waren in der ersten Reihe“, erinnert sich der Essener, bis einer der beiden Schwerverbrecher aus dem Bus auf den Wagen schießt: „Wir haben uns dann sehr schnell zurückfallen lassen.“ Als Degowski und Rösner gefasst sind und auf ihren Prozess warten, gelingt Schweres ein Interview mit ihnen. Der Vorsitzende Richter Rudolf Esders hat sie und die Komplizin Marion Löblich in die Vorführzellen im Gericht bringen lassen. Das Gespräch mit ihnen wird ein „Scoop für die Bild“, erzählt Schweres. Am 1. April 1991 verlässt der Essener die Bild und heuert bei RTL an - einen Tag früher als ursprünglich geplant. An dem Tag ist Treuhand-Chef Detlev Rohwedder von der RAF ermordet worden - Schweres wird gebraucht.
Finale der Fußball-WM mit deutsch-argentinischem Ehepaar
Mitte der 90er Jahre entschließt sich Schweres für die Selbstständigkeit und gründet die Fernsehproduktionsfirma Telefacts.tv. Er dreht mit wechselnden Kamera-Leuten, auch mit Wolfgang Wiebold. Seit acht Jahren bildet er mit seinem Sohn Niko ein festes Gespann - der Senior stellt die Fragen, der Junior filmt. Dabei seien die ersten Drehs „eine Katastrophe“ gewesen, erinnert sich der Vater - ohne, dass Niko widerspricht. Thomas Schweres drückt seinen Sohn anfangs gar durch: „Entweder eine gute Geschichte mit schlechten Bilder oder gar keine.“ Die Lage hat sich inzwischen deutlich entspannt. Schweres’ zwei weitere Söhne treten dagegen lieber nicht in die Fußstapfen des Vaters: Der jüngste liebäugelt mit einem Job bei der Polizei, den mittleren zieht es in die Medienwirtschaft. „Die sehen auch die Nachteile“, meint der 55-Jährige.
Ein Nachteil könnte sein, manchmal näher dran zu sein, als einem lieb ist: Nach den Mafiamorden in Duisburg im Jahr 2007 klappern Vater und Sohn Haustüren in der Stadt ab und klingeln bei Anwohner, die den gleichen Nachnamen tragen wie die an den Schüssen beteiligten Clans. Manche geben freimütig O-Töne, einer fordert die beiden einmal entschieden zum Abzug auf - und lädt dann eine Waffe durch. „Da war dann klar: Jetzt müssen wir gehen.“
Der Katzenhai aus der Nordsee wird ans Ende geschnitten
Ein Nachteil ist, stets verfügbar sein zu müssen. Schweres kann sich an seine letzten Urlaube wunderbar erinnern, es waren nicht allzu viele. 2009 eine Woche auf Formentera, 2002 zehn Tage in Griechenland. Die Crux des Selbstständigen: „Natürlich kann ich theoretisch immer Nein sagen, aber wenn ich dreimal Nein sage, sucht sich RTL einen anderen.“ Gute Geschichten können ständig kommen: „Du musst immer kämpfen und hast nie richtig frei.“ Vor einiger Zeit ist Schweres mal an die niederländische Nordsee gefahren, wo die Familie früher ein Ferienhaus hatte, der 55-Jährige reiste dienstlich. Haie sollen dort gesichtet worden sein. Schweres dreht - und stößt auf einen Katzenhai. „Schneide den ans Ende“, bittet RTL und strahlt den Beitrag aus.
„Wenn der Druck weg wäre...“, sagt Schweres einmal und wird dabei nachdenklich, aber so ganz ohne würde er wohl auch nicht aushalten. Im beschaulichen Fachwerkidyll in Burgaltendorf, wo die Familie nach eigenen Angaben seit 1644 ihren Stammsitz hat, hat der 55-Jährige jetzt sein erstes Buch geschrieben - als Ausgleich zur Arbeit. Es geht laut Klappentext um drei mysteriöse Morde, einen Kommissar mit dem Spitznamen „der Spaten“, und einen Boulevardjournalisten, der dringend mal wieder eine große Geschichte braucht („Die Abtaucher“, Grafit Verlag, 9,99 Euro). Autobiografische Züge sollen nicht ausgeschlossen sein, deutet der Autor an.
Zum WM-Finale hat Schweres dann doch eine alternative Geschichte gefunden: In Haren an der Ems haben sie ein deutsch-argentinisches Ehepaar ausfindig gemacht, das sich mit Freunden das Endspiel ansieht. Dabei bekommen die beiden Puls-Uhren, um ihre Aufregung in jeder Minute bestimmen zu können. Es ist keine große Story, eher ein Kammerspiel; aber eine Geschichte mit Emotionen, mit positiven wie negativen. Schweres bekommt die Geschichte verkauft.