Essen.. „In Essen“, sagt Stephan Witte selbstbewusst, „hat mir noch niemand den Rang abgelaufen, wenn es um Aktuelles geht.“ Als Tatort-Berichterstatter ist der 33-Jährige auf den Straßen rund um Essen unterwegs, im Sommer auch als Paparazzo in St. Tropez. Gefragt sind Schnelligkeit und manchmal auch Schlaflosigkeit.
Es gibt ein Schlagwort, auf das Stephan Witte reagiert wie der Teufel auf Weihwasser: "Blaulicht". Davon distanziert er sich, damit möchte er nicht in Verbindung gebracht werden. Tatort-Berichterstatter ist ihm lieber, "Straßenkämpfer mit Kamera". Seit zwölf Jahren macht Witte das nun schon. Immer unterwegs mit seinem schwarzen Mercedes. „In Essen“, sagt der 33-Jährige selbstbewusst, „hat mir noch niemand den Rang abgelaufen, wenn es um Aktuelles geht.“ Was Witte auch sagt: „Du musst Grenzen überschreiten, um echte und gute Bilder zu bekommen.“
Witte hat das Geschäft von der Pike auf gelernt: Nach der Schule hat er Praktika bei Film- und Produktionsfirmen in Essen und Köln gemacht, als Kameramann 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring gefilmt oder den CHIO Cup in Aachen. Im Alter von 20 Jahren hat Witte seinen ersten Kino-Werbespot gedreht, er ist ausgebildeter Mediengestalter Bild und Ton. 2001 gründet Witte seine Produktionsfirma KDF-Television & Picture Germany, die ihn bis heute umtreibt. „Die ersten zwei Jahre der Selbstständigkeit sind hart“, blickt Witte zurück. Längst läuft das Geschäft. Seit 2008 setzt Witte vorwiegend auf die Fotografie.
Flucht der Schwerverbrecher Heckhoff und Michalski
Hartnäckigkeit ist in diesem Job eine Grundvoraussetzung. Schnelligkeit und manchmal auch Schlaflosigkeit. Ebenfalls erforderlich: „Eine gesunde Art von Angst ist wichtig, damit du Respekt hast. Das hält dich auf dem Boden der Tatsachen.“ Dabei ist der Fotograf mehr als nah dran: Als im November 2009 die Schwerverbrecher Peter Paul Michalski und Michael Heckhof nach ihrem Ausbruch aus der Justizvollzugsanstalt Aachen mit ihrer Flucht das Land Nordrhein-Westfalen in Atem halten, sind ihnen nicht nur Spezialeinsatzkommandos auf den Fersen, sondern auch Stephan Witte. „Drei Tage nonstop“, erinnert sich der Fotograf, 24-Stunden-Tagesbereitschaft, „eine absolut geile Zeit. Das war schweißtreibend, aber lukrativ.“
Als vor fünf Jahren der Hellweg-Baumarkt in Kettwig niederbrennt, findet Witte bundesweit Abnehmer für seine Bilder. So war es auch beim Absturz eines Kleinflugzeugs mitten auf der Autobahn A 52 im Essener Süden. Aber Witte greift auch zur Kamera, als der Einzelhandelsriese Karstadt sich eine neue Konzernspitze gibt. Wittes Fotos vom neuen Führungspersonal druckt die Bild-Zeitung. Ganz unspektakulär.
„Es gibt auch Geschichten, die habe ich alleine“
Und kein Vergleich zu spektakulären Fällen wie dem der wohl von ihrem eigenen Vater ermordeten und in einem Schrebergarten im Essener Norden vergrabenen Madeleine, der Witte in diesem Jahr wieder über Tage auf Trab hält. Der einzige Fotograf ist der 33-Jährige an diesem Tatort selten. Aber „Konkurrenz belebt das Geschäft“, sagt Witte lapidar, „es gibt auch Geschichten, die habe ich alleine.“ Dabei helfen nach seiner Aussage Tipp-Geber, die ihn Tag und Nacht erreichen können, „Informanten, die mich rund um die Uhr anrufen“.
Der Fotograf erzählt, wie er versucht, auch die Geschichte hinter der bloßen Meldung zu bebildern: Ein junger Lkw-Fahrfahrer bleibt an seinem ersten Arbeitstag bei seiner Spedition mit dem Laster an der Ernestinenbrücke hängen - Witte fotografiert auch, wie der Unfall-Pilot nach dem kuriosen Crash bedröppelt dreinschaut. Witte hat einen Anspruch: Wenn er an einem Tatort ist, will er mit seinen Fotos ein Bild der Lage zeigen. Dazu gehören Motive, auf denen mitunter Grausiges zu sehen ist. Welches der Bilder schließlich veröffentlicht werde, liege immer am Autor, der die Geschichte schreibe, sagt Witte, für den es nur ein „Tabuthema“ gibt: Fotos von toten Kindern würde er nicht machen: „Da wäre eine Grenze überschritten.“
„Der Job ist wichtig, die Familie ist unbezahlbar“
Stephan Witte hat Familie, er ist seit sieben Jahren verheiratet, hat eine dreieinhalbjährige Tochter, die er seinen „Engel“ nennt. Leichter wird das (Foto-)Leben auf der Straße dadurch nicht, erzählt der 33-Jährige: „Die wissen nie, wann ich raus muss.“ Für sie aber ist Witte bereit, sich zurückzunehmen: „Ich muss auch mal die Möglichkeit haben, mit meiner Tochter und mit meiner Familie etwas zu machen.“ Eine klaren Cut mache er dann, kein Telefon, keine Tatorte. „Der Job“, sagt der 33-Jährige, „ist wichtig, das Geld ist wichtig, aber die Familie ist unbezahlbar.“
Dennoch: Einen richtigen Sommerurlaub hat es in den vergangenen zwei Jahren mangels Zeit nicht gegeben. Erst in diesem Jahr wird es wieder so weit sein. Dann betritt Stephan Witte im Domizil in St. Tropez sein zweites Leben - als Paparazzo. Ein Kaffee im Café Sénéquier - und die Kamera im Anschlag: Warten auf die A-Promis: Jack Nicholson oder Heidi Klum, Madonna oder Sting, Bono von U2, Penelope Cruz, die Beckhams, „da bin ich dabei“, sagt Witte, der auch die Clubs der Cote d’Azur durchstöbert. Mit ein bisschen Glück gelingen auch Schnappschüsse wie der von Mode-Zar Karl Lagerfeld, der sich von seinem Assistenten eine „Bild“-Zeitung besorgen lässt. Für das Material hat der Fotograf Abnehmer in ganz Deutschland. „Ein Standbein“, sagt der 33-Jährige über die sommerliche Paparazzo-Auszeit.
Nur noch privat auf der Straße
Witte hat sich in den vergangenen Jahren von der Arbeit fürs Fernsehen etwas zurückgezogen. Früher hat er noch viel Material an Boulevard-Formate wie Brisant, Sam oder Taff verkauft. „Du kannst nicht filmen und fotografieren, entweder Film oder Foto“, sagt Witte, „und wenn ich etwas mache, dann zu 100 Prozent.“ Sein Hauptaugenmerk liegt mittlerweile auf der Fotografie. Witte schätzt, dass er etwa die Hälfte seines Einkommens mit Tatort-Bildern bestreitet, ein Drittel mit Reportagen und Filmen und den Rest mit Sport-Fotografie. Das Leben auf der Straße ist nicht alles - Witte hat sich ein Ziel gesetzt: „Mit 55 ist Schluss. Da möchte ich leben.“ Auf der Straße wird er dann nur noch privat unterwegs sein.