Für Oliver Kirch vom Uni-Klinikum ist „die Meinungsfreiheit im Internet ein wertvolles Gut, und damit sollten alle Beteiligten heute umgehen können.“
Kritischer sieht das Jürgen Marsch, denn der Essener Schönheitschirurg hat selbst schon einmal eine vernichtende Kritik in einem Bewertungsportal hinnehmen müssen. Dabei ging es um eine Meinungsverschiedenheit mit einer Patientin bei einer Nasenoperation – für eine Nachkorrektur hatte die Dame spezielle Wünsche geäußert, die Marsch fachlich nicht vertreten konnte. Rückblickend sagt er heute: „Damals gab ein Wort das andere und ich gebe zu, dass ich mich am Ende im Ton vergriffen habe.“
Lügen und Verleumdnungen
Allerdings stünde die Beurteilung im Internet in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Begebenheiten und enthielt zudem Lügen und bloße Verleumdungen. Marsch versuchte dagegen anzugehen und wandte sich an den Betreiber der Seite – vergeblich. Bei Jameda sagte man ihm, er könne eine Gegendarstellung veröffentlichen, wovon man ihm allerdings abriet. „Dort hieß es: Wenn Sie sich rechtfertigen, machen Sie sich nur noch unglaubwürdiger“, so Marsch. „Im Internet gibt es schnell eine Kultur der Vorverurteilung, nach dem Motto: Irgendwas wird an der Geschichte schon dran sein.“
Kritiker halten die Beurteilungen in den Portalen auch aus einem anderen Grund für nicht sonderlich aussagekräftig: So könnten sich theoretisch dort Ärzte als Nutzer mit verschiedenen Email-Adressen registrieren lassen und gezielt positive Beurteilungen lancieren – ein Trend, der in Bewertungsportalen von Hotels längst als verbreitet gilt.
Auch Heilpraktikerin Angelika Stets, die eine Praxis in Rüttenscheid betreibt, hält die einschränkungslose Anonymität der Nutzer in den Bewertungsportalen für problematisch: „Jemand, der öffentlich eine scharfe Kritik an einem Arzt äußert, sollte auch mit seinem vollen Namen dafür geradestehen. Das ist eine Sache der Fairness.“ Zwar könnten gute Beurteilungen auch einen positiven Einfluss auf den Ruf des Arztes haben, doch solle man die Portale nicht zum einzigen Kriterium für die Suche nach einem passenden Facharzt erheben, empfiehlt Stets: „Bei der Wahl eines Arztes oder Therapeuten spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle – auch die zwischenmenschliche Chemie.“ Somit könne ein Bewertungsportal lediglich eine Entscheidungshilfe für Patienten sein.
Doch wie stehen die Patienten zu Sanego, Jameda und Co.? Katja Bakarinow-Busse, Leiterin der Unabhängigen Patientenberatung in Dortmund, die auch für Essen zuständig isst, deutet den zuweilen rauen Ton in den Online-Foren als Ausdruck eines Kommunikationsproblems zwischen Arzt und Patient: „Die Kritik im Internet spiegelt die Missstände unseres Gesundheitssystems wider. So beschweren sich Patienten zum Beispiel darüber, dass sie in zwei Minuten von ihrem Arzt abgefertigt würden.“ Doch sei dies nicht allein den Ärzten anzulasten, die in der Praxis oft in straffe Strukturen eingebunden seien und unter Zeitdruck litten. „In zwei Minuten kann man niemanden wirklich ernstnehmen“, so Bakarinow-Busse. Doch eines solle im Hinblick auf die Bewertungsportale nicht vergessen: „Die reine Wahrheit gibt es dort nicht.“