Essen. Eine Ausnahme im Bildungsbetrieb, die eigentlich der Normalfall sein sollte – zumindest theoretisch, in Zeiten der „Inklusion“, der Integration von Schülern mit Behinderungen. Jonas Biebricher (11) besucht das Werdener Mariengymnasium und sagt: „Mir geht’s prima!“

Wenn alle sich voll ins Zeug legen, wenn alle mitmachen so gut sie können, die Eltern, die Lehrer, eine Schule, die Mitschüler: Dann – ja, dann ist es möglich, dass ein Kind, das fast blind ist, aber so hell im Köpfchen, dass man ihm ein Abitur zutraut, dass also ein solches Kind ein reguläres Gymnasium besuchen kann.

Es sollte die Regel sein in Zeiten, in denen die Inklusion schulgesetzlich verbrieft ist, die Integration von Schülern mit Behinderungen an Regelschulen.

Es ist aber die Ausnahme.

Gymnasial-Empfehlung auf dem Zeugnis

„Viele Schulen trauen sich so etwas einfach nicht zu, dafür habe ich auch Verständnis“, sagt Anne Biebricher. Sohn Jonas (11) kam damals 14 Wochen zu früh auf die Welt, seine Augen nahmen schweren Schaden während der künstlichen Beatmung, „Frühgeborenen-Retinopathie“ heißt das, worunter er leidet, oder anders gesagt: Jonas kann ungefähr fünf Prozent sehen. Auf der Netzhaut sind viele blinde Flecken. Jonas trägt eine Brille mit Dioptrie-Stärke 16.

Jonas besuchte in Bredeney einen integrativen Kindergarten, in Werden dann eine Grundschule mit „GU“, also Gemeinsamem Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderungen. Dann stellte sich die Frage nach der weiterführenden Schule, auf dem Zeugnis stand eine uneingeschränkte Gymnasial-Empfehlung. Eine Förderschule für Kinder mit Sehbehinderungen gibt es in Essen nicht. Es wurde schließlich das Werdener Marien-Gymnasium vom Bistum. „Es war das einzige Haus, das wir angefragt hatten, das ohne zu Zögern ,Ja’ sagte“, berichtet Anne Biebricher.

Skifahren in Sölden

„Mein Lieblingsfach ist Musik, ich habe Ohren wie ein Luchs“, sagt Jonas. Im Klassenzimmer hat er einen Spezial-Schreibtisch mit einem Laptop, an den eine Kamera angeschlossen ist, damit verfolgt er das, was der Lehrer an die Tafel schreibt; damit kann er in Schulbüchern lesen, denn alles wird am Bildschirm vergrößert dargestellt. Er ist in ständiger Begleitung durch einen Integrationshelfer, der mit den Gerätschaften hilft oder beim Umblättern.

In den Gängen der Schule „gehe ich meistens am Rand, dann werde ich nicht weggedrängelt“, und im Sportunterricht? „Fußball ist nicht so mein Thema“, findet Jonas, Ringen dagegen um so mehr. Und, sein Hobby in der Freizeit: Reiten. In den Osterferien geht er sogar Skifahren in Sölden.

Silber-Abzeichen im Schwimmen

Jonas liest Bücher und spielt mit der Wii-Konsole, es sieht bloß anders aus als bei anderen Leuten: Das Buch hält er sich bis vor die Nase, bei der Wii hat er einen Extra-Bildschirm, auch den hält er sich vor die Nase. „Bei ,Super Mario’ bin ich Champion“, sagt Jonas, und hat er schon vom Schwimmen erzählt, das auch sein großes Hobby ist? In dieser Woche hat er das Silber-Abzeichen gemacht.

Herzlichen Glückwunsch, Jonas, Gymnasiast aus Werden!