Essen. Hein Mulders ist seit einem Jahr Doppel-Intendant von Aalto-Theater und Konzerthaus. Eine erste Bilanz über Publikumserwartungen, die Kunst der Etatjonglage und den Zauber der schönen Stimmen zum zehnjährigen Jubiläum der Philharmonie.

Im ersten Jahr hat sich Hein Mulders nicht nur in sein neues Amt als Doppel-Intendant von Aalto-Theater und Philharmonie gefunden, sondern auch als Gastgeber geübt. Nach dem Festakt zum 25-jährigen Aalto-Bestehen wurde gestern Abend im Beisein von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Ehrgengästen das 10-jährige Bestehen der Philharmonie gefeiert. Im Vorfeld des Jubiläums-Konzerts sprach Mulders mit Martina Schürmann über Publikumserwartungen, die Kunst der Etatjonglage und die Anziehungskraft schöner Stimmen.

Herr Mulders, Ihr erstes Amtsjahr als Doppel-Intendant hat mit 25 Jahre Aalto angefangen und endet mit 10 Jahre Philharmonie. Haben Sie schon mal bedauert, sich so viel Arbeit aufgeladen zu haben?

Hein Mulders: Es ist schon heftig, aber ich bin im Moment ziemlich happy. Die Philharmonie ist wirklich eine der beliebtesten Konzertsäle in Deutschland, ein echtes Geschenk. Alle, die hier aufgetreten sind, wollen wieder kommen. Wir sind nicht Hamburg oder Berlin, aber wir bekommen wirklich die Top-Künstler. Und auch in der Oper bin ich zufrieden. Oft gilt das erste Jahr nach dem Intendantenwechsel als besonders schwierig. Aber wir haben im Vergleich zur letzten Soltesz-Spielzeit sogar noch an Auslastung zugelegt.

Was war der bislang beste Moment in Ihrer Amtszeit?

Mulders: Als ich gespürt habe, dass der neue Generalmusikdirektor Tomáš Netopil bei Publikum und Orchester gut ankommt. Ich denke an seine ersten zwei Konzerte in der Philharmonie, Mahler und das Verdi-Requiem. Da sind die Leute zum Schlussapplaus aufgestanden, das war eine echte Willkommens-Geste, ein Super-Einstand. Und die Chemie zwischen Orchester und Generalmusikdirektor stimmt, das macht mich glücklich.

Obwohl Netopil sein zweites Amt als Chef des Musikchef des Prager Nationaltheaters aufgegeben hat, wird er nicht öfter in Essen sein?

Mulders: Nein, sein familiärer Lebensmittelpunkt ist weiter an der tschechischen Grenze. Das war so von Anfang an vertraglich festgelegt, dass er für zwei Aalto-Produktionen plus Probenperioden, zwei Wiederaufnahmen und für sechs Sinfoniekonzerte nach Essen kommt. Der neue GMD ist weniger vor Ort, dafür gibt es mehr Gastdirigenten, die den Philharmonikern neue Farben abgewinnen sollen. Das Orchester muss jetzt seine eigene musikalische Identität entwickeln und die Disziplin, die es hat, weiterführen, in zum Teil hochanspruchsvollen Programmen. Aber es braucht natürlich Zeit, bis man zu einem neuen Miteinander gefunden hat.

Auch das Opernprogramm bleibt in der neuen Spielzeit ambitioniert: Ligetis „Grand Macabre“, ein seltener Strauss und Mozarts „Idomeneo“, auch nicht eben ein Repertoire-Hit.

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    Mulders: Sicher, das ist kein Belcanto, keine Traviata oder Carmen. Aber mich interessiert vor allem der spannende Mix. Im ersten Jahr hatten wir eine Barock-Oper, einen Verdi, aber nicht den üblichen, dazu eine französische Oper wie der „Werther“, auch kein Belcanto-Hit. Aber dann entdeckt das Publikum einen neuen Sänger des Hauses wie den marokkanischen Tenor Abdellah Lasri und die Besucher kommen plötzlich wegen ihm. Das war durchaus ein Wagnis, Lasri kam vom Opernstudio Berlin und sang dort kleine Rollen. Aber das ist eben meine große Leidenschaft, die Stimmen!

    Die Philharmonie, mit finanziellen Turbulenzen gestartet, hat heute einen hohen finanziellen Deckungsgrad. Dennoch muss man um das Publikum von morgen kämpfen. Sie haben verschiedene neue Reihen initiiert, neben der Chorwerke-Abenden gibt es jetzt auch ein Entertainment-Abo. Wie läuft’s?

    Mulders: Es gibt keine Explosion bei den Abo-Zahlen, aber es läuft. In der nächsten Spielzeit schon wieder ein bisschen besser. Ich bin kein Revolutionär, der alles auf den Kopf stellt. Für mich steht das Publikum bei allen Programm-Überlegungen im Vordergrund.

    Bei der Janáček-Oper „Jenufa“ blieben zuletzt manche Premieren-Plätze frei. Macht Sie das nervös?

    Mulders: Überhaupt nicht, da haben wir uns einfach selbst Konkurrenz gemacht, in der Philharmonie waren gleichzeitig die Münchner Philharmoniker zu Gast. Das war vielleicht unglücklich getimet. Aber hier hat das Publikum manchmal die Auswahl zwischen zwei Großereignissen. Und eine „Jenufa“ ist in der Oper eben nicht so ausgelastet wie eine „Bohème““. Doch ich finde es wichtig, mit Netopil eine neue Farbe zu bringen, das slawische Repertoire.

    Oder fehlt manchem doch der Reiz des Neuen, wenn eine 15 Jahre alte Inszenierung aus Antwerpen auf die Bühne kommt und der Regisseur bei der Premiere ausbleibt?

    Mulders: Robert Carsen wäre gerne gekommen. Aber der Mann ist ein Weltstar und war gerade mitten in den Endproben in Covent Garden. Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir neben jungen Künstlern weiterhin große Regie-Namen und Sängerstars im Aalto erleben – und das geht mit einem immer kleiner werdenden Budgets nur mit Koproduktionen und Übernahmen. Oder wollen wir in die Provinz abrutschen? Einen Regisseur wie Christof Loy hätten wir uns ohne Koproduktion mit Zürich nicht leisten können. Er hat schon gefragt, ob wir wieder etwas zusammen machen, aber das wird halt eine Frage des Geldes sein.