Essen. Essen war eine der ersten Städte im Ruhrgebiet mit einem eigenen Konzerthaus. Zum zehnjährigen Jubiläum der Philharmonie lohnt deshalb ein Blick auf eine über 100-jährige Musiktradition und eine spannende Baugeschichte.

Glückliche Musikstadt Essen: Während die Nachbarn in Bochum weiter an ihrem Konzerthaus bauen und den Duisburger Philharmonikern wegen der gesperrten Mercatorhalle die Abonnenten in Scharen weglaufen, gibt das Essener Musikleben derzeit viel Anlass zum Feiern. Nach 25 Jahren Aalto im vergangenen Herbst wird an diesem Mittwoch das zehnjährige Jubiläum der Philharmonie gefeiert. Zehn Jahre, das klingt zunächst nicht sonderlich spektakulär. Und doch steht dieser Geburtstag für eine lange und bedeutende Musik-Tradition und für den erworbenen Rang Essens als Kulturhauptstadt des Ruhrgebiets.

Die ist Essen schon, bevor Nachbarstädte wie Dortmund oder Duisburg Anfang des 20. Jahrhunderts ihre ersten Bühnen gründen. 1892 entsteht hier dank des Industriellen Friedrich Grillo nicht nur das erste Theater im Ruhrgebiet. Mit dem alten Stadtgartensaal verfügt Essen schon 1864 über den größten Konzertsaal mit 2500 Plätzen, damals wie heute Ausdruck gelebten Bürgerstolzes mit Platz für Konzerte und Feierlichkeiten. Mit der Großstadtwerdung 1897 und der Gründung des Städtischen Orchesters, den heutigen Essener Philharmonikern, scheint das hölzerne Gebäude im Stadtgarten nicht mehr prestigeträchtig genug. 1904 wird an selber Stelle der Saalbau eingeweiht. Zum ersten Musikfest kommt kein geringer als der Königlich Preußische Hofkapellmeister Richard Strauss, der seine kurz zuvor in München uraufgeführte „Sinfonia domestica“ in Essen dirigiert. 100 Jahre später steht das Werk an diesem Mittwoch wieder auf dem Fest-Programm.

Denwürdige Debatten im Rat

Damals ein Mega-Event mit riesiger Besetzung und gewaltiger Aufmerksamkeit. Ab diesem Moment ist Essen kein weißer Fleck mehr auf der Karte. Klassik-Stars wie Gustav Mahler oder Max Reger kommen, um ihre Werke in Essen uraufzuführen. Bis der Zweite Weltkrieg alle hochfliegenden Pläne unter Trümmern begräbt und auch den letzten wilhelminischen Fassadenzierrat an dem Gebäude wegbombt. Der wiedererrichtete Nachkriegsbau mit seinen 1100 Plätzen will trotz einiger architektonischer Besonderheiten wie dem sachlichen Garderoben-Foyer akustisch und atmosphärisch nie wirklich zufrieden stellen. Bald führen CD-Tauschbörsen, Abschlussbälle und Sinfoniekonzerte ein freudloses Miteinander, während die Substanz bröckelt und am Ende sogar Stahlgerüste herabstürzende Fassadenteile auffangen müssen. Bis der 1997 ins Amt gewählte Generalmusikdirektor und Opernintendant Stefan Soltesz für einen Paukenschlag sorgt. Er verlegt die Sinfoniekonzerte unter Protest vom Saalbau ins benachbarte Aalto-Theater und gibt damit das Startsignal für eine stadtweite Diskussion und eine einzigartige Bürgerinitiative. Soltesz gehört wie große Teile der SPD damals zu den Befürwortern eine Konzerthaus-Neubaus. Doch als der damals SPD-dominierte Stadtrat 1998 den Abriss des Saalbaus zugunsten eines neuen Konzerthauses beschließt, bricht ein Sturm der Entrüstung los. In wenigen Monaten werden mehr als 90 000 Unterschriften gegen die Neubaupläne im Norden gesammelt. Es kommt zu denkwürdigen Rats-Debatten und schließlich zur Entscheidung. Der alte Saalbau wird zur Philharmonie umgebaut.

Saalbau - früher und heute

Historisches Foto des ehemaligen Stadtgartensaals, der 1864 errichtet wurde.
Historisches Foto des ehemaligen Stadtgartensaals, der 1864 errichtet wurde. © TUP
Der Saalbau im Oktober 1905.
Der Saalbau im Oktober 1905. © Stadtbildstelle Essen
Historisches Foto des Saalbaus.
Historisches Foto des Saalbaus. © TUP
Der Saalbau im Jahr 1906.
Der Saalbau im Jahr 1906. © Stadtbildstelle Essen
Der Saalbau im Jahr 1909.
Der Saalbau im Jahr 1909. © Stadtbildstelle Essen
Der Saalbau in den 1930er Jahren.
Der Saalbau in den 1930er Jahren. © Stadtbildstelle Essen
Der Saalbau wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Der Saalbau wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. © TUP
Nach dem Wiederaufbau: Der Saalbau in den 1950er Jahren.
Nach dem Wiederaufbau: Der Saalbau in den 1950er Jahren. © TUP
Historische Innenansicht des Saalbaus.
Historische Innenansicht des Saalbaus. © TUP
Historische Innenansicht des Saalbaus.
Historische Innenansicht des Saalbaus. © TUP
Historische Innenansicht des Saalbaus.
Historische Innenansicht des Saalbaus. © TUP
Der Saalbau im Jahr 1998.
Der Saalbau im Jahr 1998. © Ulrich von Born / WAZ FotoPool
Der Saalbau im Jahr 1998.
Der Saalbau im Jahr 1998. © Ulrich von Born / WAZ FotoPool
Der Saalbau im Jahr 1998.
Der Saalbau im Jahr 1998. © Ulrich von Born / WAZ FotoPool
Der Saalbau im Jahr 1999.
Der Saalbau im Jahr 1999. © Ulrich von Born / WAZ FotoPool
Der Saalbau im Jahr 1999.
Der Saalbau im Jahr 1999. © Ulrich von Born / WAZ FotoPool
Der Saalbau im Jahr 1999.
Der Saalbau im Jahr 1999. © Ulrich von Born / WAZ FotoPool
Der Saalbau im Jahr 1999.
Der Saalbau im Jahr 1999. © Ulrich von Born / WAZ FotoPool
Der Saalbau im Jahr 2002.
Der Saalbau im Jahr 2002. © Remo Bodo Tietz / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Dirk Bauer / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Dirk Bauer / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Dirk Bauer / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Dirk Bauer / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Kerstin Kokoska WAZ/FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Ulrich von Born/ WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Frank Vinken / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Hans Blossey
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Hans Blossey
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Hans Blossey
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Hans Blossey
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Hans Blossey
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Hans Blossey
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Sebastian Konopka / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Hans Blossey
Der Umbau des Saalbaus im Jahr 2002.
Der Umbau des Saalbaus im Jahr 2002. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Der Umbau des Saalbaus im Jahr 2002.
Der Umbau des Saalbaus im Jahr 2002. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Der Umbau des Saalbaus im Jahr 2002.
Der Umbau des Saalbaus im Jahr 2002. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Der Umbau des Saalbaus im Jahr 2004.
Der Umbau des Saalbaus im Jahr 2004. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen.
Impressionen rund um den Saalbau und die Philharmonie Essen. © Oliver Müller / WAZ FotoPool
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Der Kampf ums Konzerthaus 

Am Ende wird die neue Essener Philharmonie mit 70 Millionen Euro zwar um einiges teurer als zunächst veranschlagt und nicht nur einmal droht die SPD mit einem Bürgerbegehren. Allein die Sanierung der Altbau-Substanz verschlingt ein Gros der Summe, denn die einstige gute Stube gibt im Lauf der knapp zweieinhalbjährigen Bauzeit so manche unangenehme Überraschung preis. Nur ein Drittel bleibt für die Profilierung des Kuppelsaals zur Philharmonie. Und wie schon 1904 beim Bau des alten Saalbau ist Krupp zur Stelle und übernimmt 13 Millionen. Der große Saal mit seinen 1906 Plätzen trägt seither auch den Namen Alfried-Krupp-Saal. RWE hilft noch einmal mit 1,5 Millionen für den gläsernen RWE-Pavillon mit 350 Plätzen. Bei der Eröffnung am 5. Juni 2004 ist alles schön und die Hoffnung groß. „Man muss uns auch die Chance geben, die Erwartungen einzulösen“, sagt der Gründungsintendant Michael Kaufmann. Doch ihm bleiben nur wenige Jahre Zeit. Nach einer heftigen Debatte über eine zu ehrgeizige Programmgestaltung und überzogene Etats wird ihm 2008 fristlos gekündigt. Der Streit um Kaufmann zieht tiefe Gräben zwischen Stadt und empörten Sponsoren. Künstler wie Kurt Masur drohen gar, nie wieder einen Fuß in den Essener Konzertsaal zu setzen. 2010 kann man dem Maestro aber bereits wieder in der Philharmonie erleben.

Ein Nachfolger scheint es da schwer zu haben, doch Johannes Bultmann, dem versierten Musikmanager aus Baden-Baden, gelingt in kurzer Zeit das Kunststück, die Philharmonie nicht nur finanziell in ruhige Fahrwasser zu bringen. Er zeigt auch programmatisch ein glückliches Händchen, setzt Schwerpunkte und Glanzlichter, auf denen sein Nachfolger Hein Mulders seit dem vergangenen Jahr weiter aufbaut.

Von Frau Mutter bis zur Kanzlerin 

„Wer einmal hier war, kommt immer wieder zurück“, sagt Hein Mulders, der neue Intendant der Philharmonie (Interview folgt in einer der nächsten Ausgaben) nicht ohne Stolz. Das gediegene Interieur des Denkmals Saalbau, der unter der Anleitung des Architekturbüros Busmann und Haberer (Köln/Berlin) und der Regie von Projektsteuerer Klaus Wolff zur Philharmonie umgebaut wurde, hat seinen Reiz. Es ist ein Saal zum Wohlfühlen mit seinem hellen Birkenholz, der tiefblauen Saaldecke und den im warmen Rotton bezogenen Stuhlreihen. Vor allem aber dank seiner hervorragenden Akustik, die das Münchner Ingenieurbüro Müller-BBM zu verantworten hat, hat sich die Philharmonie rasch in die erste Liga der großen Konzerthäuser gespielt.

Kaum ein Weltstar, der sich nicht an der Huyssenallee hat blicken lassen von Violin-Königin Anne-Sophie Mutter bis Cello-Sonnenschein Sol Gabetta, von Star-Tenor Juan Diego Floréz bis Cecilia Bartoli. Sir Simon Rattle ist fast schon Dauergast, Riccardo Muti brachte das Chicago Symphonie Orchestra mit. Die berühmten „Big Five“ aus Amerika konnte man begrüßen wie Wiener und Berliner Philharmoniker.

Und nicht nur musikalisch macht die Philharmonie von sich reden. Der multifunktional-nutzbare Saal, in dem der komplette Parkettbereich auf Höhe des Foyers hochgefahren werden kann, hat auch das Veranstaltungsgeschäft in Schwung gebracht. Als der Deutsche Fußballbund 2010 in Essen tagte, konnte DFB-Chef Theo Zwanziger auch Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßen. Thomas Gottschalk umgab sich bei der Verleihung des Echo-Klassik mit den Großen und Schönen der Branche und der Philharmonische Ball ist längst ein gesellschaftliches Highlight der Stadt.