Essen. Es sollte menscheln und authentisch sein: So warben Bus- und Straßenbahnfahrer auf Plakaten, Postkarten und Anzeigen um Wertschätzung für ihren Berufsstand. Das Fazit der Kampagne nach einer Befragung: Die Wertschätzung stieg - das Ziel ist erreicht.
Die Kampagne sollte menscheln, authentisch sein und die Wertschätzung gegenüber Bus- und Straßenbahnfahrern steigern: Die Evag hat dafür 2013 ihre Fahrer fotografiert und die Plakate, Postkarten und Anzeigen im gesamten Stadtgebiet etwa an Bushaltestellen und auch in Fahrzeugen aufgehängt. Die Aktion fand ebenfalls bei den Via-Unternehmen in Duisburg und Mülheim statt. Das Fazit heißt nun: Ziel erreicht.
Einen Grund dafür sieht das Unternehmen darin, dass etwa in Essen bei einer Befragung nach der Kampagne 14,6 Prozent angaben, ihre Wertschätzung gegenüber den Fahrern sei gestiegen. Die Wertschätzung gaben nach der Kampagne knapp 50 Prozent mit hoch an, zuvor waren es rund 40. Die Zahl der Befragten, die die Wertschätzung mit niedrig angab, hat sich nahezu halbiert auf knapp 4 Prozent.
Bundesweit landete die Berufsgruppe der Bus- und Bahnfahrer kürzlich in einer Studie des Marktforschungsunternehmens GfK im guten Mittelfeld vor Anwälten und Verkäufern. In der Nachher-Befragung der Via liegen die Fahrer auf Rang 5. Die ersten vier Plätze: Feuerwehrmann, Krankenschwester, Polizist und Lehrer.
Walid Mohamad kam auf Umweg in seinen Traumberuf
So mancher Spaziergang endete bei Familie Mohamad früher damit, dass der kleine Walid weinte, bis seine Eltern endlich mit ihm in einen Bus stiegen. Dann saß er gleich hinter dem Fahrer und tat so, als hielte er das Lenkrad in Händen. Heute lenkt der 33-Jährige die Busse der Evag vom Fahrersitz aus.
„Es ist mein Traumberuf“, sagt der gebürtige Berliner, der als Vierjähriger mit seinen Eltern, die aus dem Libanon stammen, nach Essen kam. Lange schien das Ziel Busfahrer unerreichbar für ihn und seine berufliche Laufbahn nahm Umwege über die Jobs als Lagerist und Tankwart. Er wäre zur Not auch Taxi oder Lkw gefahren, dabei wurden Busfahrer dringend gesucht, erinnert sich Walid Mohamad. Allein der Führerschein war mit rund 10.000 Euro unbezahlbar, sagt er und sprach 2004 beim Arbeitsamt vor. Doch erst fünf Jahre später traf er dort auf einen Sachbearbeiter, der ihm die berufliche Perspektive mit einem Bildungsgutschein eröffnete. „Und dann sagte die Evag ab.“
Unerwarteter Anruf der Verkehrsgesellschaft
Walid Mohamad hatte keine Hoffnung mehr, als ein völlig unerwarteter Anruf der Verkehrsgesellschaft kam, gefolgt von Vorstellungsgespräch und Festanstellung. Seit vier Jahren fährt er nun vor allem die Strecken rund um Ruhrallee und Stadtmitte. Dank der wechselnden Schichten bringt er morgens regelmäßig seine beiden Töchter in die Schule und zum Kindergarten, schwimmt in seiner Freizeit gern, fährt Inlineskates oder Rad.
Beruflich reizt ihn noch eines: Straßenbahnfahren. Im Bus hat ein Fahrgast bereits festgestellt: „Die Evag kann froh sein, dass sie so einen Fahrer hat“, erzählt der 33-Jährige, der aber auch mal bei einer Ticketkontrolle beschimpft worden ist. „Ich habe es ignoriert und die Polizei gerufen“, sagt Walid Mohamad und erinnert sich viel lieber an die netten Reaktionen auf sein Plakat: „Ich habe sogar ein Autogramm gegeben.“
Tram- und Busfahrerin Simone Actun: „Nachts gehört die Straße mir“
Als Simone Actun 18 wurde, da hatte sie das Geld für den Führerschein längst zusammengespart und sofort ein Auto gekauft. „Ich wollte unbedingt fahren“, erinnert sich die 46-Jährige, die Jahre später, nachdem sie ihre Kinder groß gezogen hat, umgestiegen ist: in Bus- und Straßenbahn.
Sie arbeitet heute als Fahrerin bei der Evag. Ihre Fahrzeuge sind größer und breiter geworden, geblieben ist ihre Leidenschaft fürs Fahren. „Die Maße muss man schon sehr gut kennen“, sagt Simone Actun, die im Stadtgebiet alle Linien lenkt. Besonders gern steuert sie den Süden an und schätzt auf allen Strecken die Abwechslung an ihrem Job. Im Büro vor dem PC, das wäre nichts. Weil aber auch sie ihre Arbeitszeit sitzend verbringt, sind Pilates und die Pflanzen in ihrem Ziergarten ein guter Ausgleich, sagt Simone Actun, die beruflich längst keine staunenden Blicke mehr erntet. Anfangs guckte mancher schon hin bei einer Frau am Bussteuer. „Mittlerweile gibt es immer mehr Fahrerinnen“, sagt sie. Dennoch liegt die Frauenquote bei 14 Prozent und 127 Frauen. Hinzu kommen 781 männliche Kollegen, einer ist ihr Lebensgefährte. Schichtdienst und Familienleben: „Damit kommen wir sehr gut klar“, sagt die 46-Jährige, deren Sohn gerade seine Ausbildung zum Industriemechaniker bei der Evag macht.
Klima auf der Straße ist rauer geworden
Simone Actun verschweigt aber auch nicht, dass das Klima auf der Straße mitunter rauer geworden ist. So kratzte die A40-Sperrung an den Nerven, als Busse und Bahnen bis zu 45 Minuten Verspätung hatten. „Man spürt, dass die Pkw-Fahrer ungeduldiger geworden sind.“ Mit ihnen teilt sich die Fahrerin immerhin selbst in der Straßenbahn rund 80 Prozent der Strecke.
Am liebsten ist Simone Actun ohnehin im Bus unterwegs, vor allem im Nachtexpress, der früh morgens 3.11 Uhr am Hauptbahnhof startet: „Nachts ist es am schönsten, dann gehört die Straße mir.“