Essen. . Für den Ballettabend „La vie en rose“ im Aalto-Theater in Essen wird Schauspieler Zygmunt Apostol eigens aus Wiesbaden geholt. Das Publikum feiert ihn bei jeder Vorstellung auf's Neue. „Wenn ich aufhöre, sterbe ich“, glaubt der 82-Jährige und erzählt von der Angst, nutzlos zu sein.

Mit kleinen Schritten durchmisst er die riesige Aalto-Bühne. Mal allein in seinem weiten, alten Mantel, mal umringt von Tänzern, mal das Akkordeon geschultert, mal singend. Zygmunt Apostol ist der lebenskluge Clochard Jef in Ben Van Cauwenberghs „La vie en rose“. Charmant, witzig und oft tief berührend führt er durch diese Soirée française und wickelt die Zuschauer stets um den Finger. Wenn er „Überall blühen Rosen“ intoniert, singen alle im Saal leise den Refrain mit. Die Frage, ob es sich lohnt, den 82-Jährigen für jede Vorstellung aus Wiesbaden nach Essen zu holen, beantwortet sich in diesem Moment ganz von selbst.

In der Heimat ein geehrter Künstler

Der gebürtige Kattowitzer war schon ein mit Preisen ausgezeichneter Künstler, als er für einen Kulturaustausch Anfang der 1980er Jahre nach Westdeutschland kam. Und plötzlich gab es kein Zurück mehr. „Ich hatte nicht vor, Polen zu verlassen. Nach der Revolution der Gewerkschaft Solidarność wurden die Grenzen dicht gemacht“, erinnert sich der Schauspieler, der von Hause aus Musiker ist und vor seiner Abreise an der Operette in Warschau tätig war. Danach machte er in Neuss Station und fand in Wiesbaden seine zweite theatrale Heimat. „Ich hatte ein ruhigeres, freieres Leben hier“, sagt er.

Leicht war der Neuanfang nicht. „Ich war ein Exot. Es war schwer, den richtigen Kontakt zu den Leuten zu finden“, meint Zygmunt Apostol, dem das spielend gelang in heiteren und tragischen Rollen, in „Ich bin nicht Rappaport“ und „Die Sternstunde des Josef Bieder“ ebenso wie in „Faust“.

„Ich lebe für das Theater“

Mit 65 hatte er kurz ans Aufhören gedacht, wollte mehr reisen, mehr komponieren, sich mehr der Malerei widmen und damit die Tatsache verwinden, dass er keine Verabschiedung bekam, nur die Aufforderung, seine Parkkarte zurückzugeben. Doch er blieb als Gast und war beschäftigter denn je. So setzte ihn Ben Van Cauwenbergh, vor elf Jahren Ballettdirektor am Staatstheater, bei der Uraufführung von „La vie en rose“ ein. „Es war ein Riesenerfolg.“ Und ist es bis heute noch in Essen.

Rund um „La vie en rose“

„La vie en rose“ ist einer der bekanntesten Titel von Edith Piaf. Nach ihm benannte Ben Van Cauwenbergh seinen Ballettabend.

Uraufgeführt wurde „La vie en rose“ von der Compagnie des Staatstheaters Wiesbaden 2003, damals unter Van Cauwenberghs Leitung.

Mit der Soirée française rund um Chansons von Edith Piaf, Gilbert Bécaud oder Jacques Brel gab der Choreograf und Tänzer 2008 seinen Einstand als Ballettchef in Essen.

In dieser Spielzeit ist der Abend noch am heutigen Freitag, 19.30 Uhr, und am 7. Juni, 19 Uhr, zu sehen. Am 21. Dezember wird es eine Wiederaufnahme geben. Karten: 8122-200

Es ist seine einzige Arbeit mit dem Ballett und er genießt sie, wie keine andere. Er liebt es, „Paris je t’aime“ zu singen, von Elisa Fraschetti bei „Voir un ami pleurer“ in den Armen gehalten zu werden oder mit Denis Untila bei „L’ important c’est la rose“ zu scherzen. „Die Begegnung mit einer anderen Sparte ist wunderbar, die jungen Kollegen sind so freundlich“, erzählt er. Mehr noch: Sie gehen zärtlich und respektvoll mit ihm um, wenn sie ihn im Tanz drehen, ihn auf ihren Händen abheben lassen oder ihn beim Gang von der Bühne unterhaken. Nie und nimmer möchte er das missen: „Ich lebe für das Theater. Ich habe das Gefühl, wenn ich aufhöre, sterbe ich. Ich möchte weitermachen, solange die Physis mitmacht.“

Angst vor der Nutzlosigkeit

Er sitzt da, adrett gekleidet in senffarbenem Jackett und blauer Hose, und ist erschöpft von der Aufführung am Vortag. Dass die Augen nicht mehr so wollen, die Knochen und Muskeln schmerzen, trägt er mit Fassung. Schließlich muss er zurück nach Wiesbaden. Da wartet „Tod und Wiederauferstehung“ auf ihn und seine 20 Jahre jüngere Freundin Lieselotte.

Dennoch treibt ihn die Angst vor der Nutzlosigkeit um. Seine Stücke werden nur noch bis zum Sommer gespielt. In Wiesbaden hat der neue Intendant ihn bisher keines Blickes gewürdigt. „In Essen gibt es noch zwei Vorstellungen und c’est fini“, fügt er leise an, ohne zu wissen, dass die Wiederaufnahme bereits geplant ist. Wenn alles gut geht, singt er auch in der nächsten Spielzeit: „Überall blühen Rosen, überall blühen Rosen, überall blühen Rosen - für dich.“ Und die Herzen werden ihm zufliegen.