Essen. Werdende Mütter in Notlagen dürfen ihre Kinder neuerdings in Kliniken zur Welt bringen, ohne ihre Identität komplett preiszugeben. Für manche Schwangere ist aber die Hürde, erst eine Beratung aufzusuchen, zu hoch. Das Babyfenster werde daher nicht überflüssig, sagen Experten.

Es soll ein Angebot sein für Frauen, die ein Kind erwarten, es nicht behalten wollen – und mit der Situation hoffnungslos überfordert sind. Seit Anfang Mai bietet der Gesetzgeber die „vertrauliche Geburt“ an, bei der Frauen ihr Baby in der Klinik gebären können, ohne ihre Identität komplett preiszugeben. Bislang gibt es eine strikte Meldepflicht, anonyme Geburten sind verboten.

Mit der jetzigen Lockerung sollen Kurzschlussreaktionen verhindert werden, die zum Aussetzen oder gar zum Tod des Kindes führen können. „Das Gesetz schafft eine zusätzliche Möglichkeit, Kinder zu schützen“, lobt der Geschäftsführer des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF), Björn Enno Hermans. Gleichzeitig solle aber das Recht der bei Adoptiveltern aufwachsenden Kinder, etwas über ihre Herkunft zu erfahren, gewahrt werden.

Altergrenze 16 zu hoch

Bisher haben betroffene Frauen nur die Wahl, in einer Klinik falsche Angaben zu machen oder ihr Kind auszusetzen – dann erfährt es fast nie etwas über seine Herkunft. Selbst wenn es in einem Babyfenster abgelegt wird, wie es der SkF seit einem halben Jahr am Elisabeth-Krankenhaus anbietet. Von 2001 bis 2013 wurden am früheren Standort des Fensters 16 Kinder gefunden: Nur eine Mutter schrieb an ihr Kind; eine bekam es begleitet vom Jugendamt zurück. Alle anderen Kinder leben mit dem Rätsel um ihre Herkunft, was sie oft belastet. Darum bietet das neue Gesetz keine anonyme, sondern die vertrauliche Geburt an: Die werdenden Mütter sollen eine Schwangerenberatung aufsuchen und da ihre Daten nennen. Die bleiben im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben 16 Jahre unter Verschluss – dann darf das Kind den Namen der Mutter erfahren.

Ein Verfahren, das die Rechte von Mutter und Kind ausbalanciert, nach Ansicht von Hermans aber Schönheitsfehler hat. Als Psychologe, der mit Adoptivkindern arbeitet, habe er die Erfahrung gemacht, dass diese nicht erst mit 16 Jahren nach ihren Wurzeln fragen: „Ich hätte 12 als Altersgrenze gewählt.“ Zudem werde auch das Babyfenster nicht überflüssig, weil für manche Frauen die Hürde zu hoch sei, sich vor der vertraulichen Geburt in einer Beratungsstelle zu offenbaren.

Auswirkungen auf Babyfenster werden beobachtet

Kommen Hochschwangere direkt zur vertraulichen Geburt ins Krankenhaus, müssen Klinik oder Hebamme „unverzüglich“ eine Beratungsstelle kontaktieren. Bloß sei noch unklar, ob der nächste Werktag als unverzüglich gelte, sagt Hermans. Andernfalls müssten die Essener Schwangerenberatungsstellen nämlich für Wochenenden einen Notdienst auf die Beine stellen – „und die Finanzierung klären“.

Im Elisabeth-Krankenhaus ist man „sehr froh über die neue Lösung für Mutter und Kind“, so Sprecherin Dorothee Renzel. Wie sich das Angebot auf das Babyfenster auswirke, werde man beobachten.