Essen. . Auf dem Willy-Brandt-Platz in Essen setzten sich am Mittwoch rund 350 Demonstranten für die Zukunft der Hebammen ein. Bis zum nächsten Jahr wollen sich auch die letzten Versicherungen aus der Haftpflicht zurückziehen. Ein Aussterben des Hebammenberufs könnte die Folge sein.
„Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Hebammen klaut“, schallt es durch Mikrofone über den Willy-Brandt-Platz. Rote Herzluftballons über hunderten Kinderwagen, bedruckte T-Shirts, bemalte Plakete mit Aufschriften wie „Atomkraftwerke sind versicherbar, Hebammen nicht“. Gut 350 Mütter, Väter und Hebammen samt Kindern mit bunten Ohrenschützern setzten am Mittwoch Nachmittag am Essener Hauptbahnhof ein lautstarkes Zeichen für die selbstbestimmte Geburt. Denn in ganz Deutschland bäumt sich derzeit eine Welle der Proteste auf, die sich gegen die Kündigung des Versicherungsschutzes für Hebammen richtet.
Von einem Horrorszenario, bei dem die Mütter allein gelassen werden, spricht die Essenerin Eva Albert, die die Demo gemeinsam mit anderen Eltern auf Facebook initiierte. „Es geht ja mittlerweile nicht mehr nur darum, dass die Hausgeburt in Gefahr ist, sondern darum, dass es im nächsten Jahr überhaupt keine Hebammen mehr geben könnte, wenn sich die Politik nichts einfallen lässt“, erklärt die ambitionierte Mutter.
Idee für Mahnwache entstand auf Facebook
Entstanden ist die Idee für die Mahnwache aus der bundesweiten Facebookgruppe „Hebammenunterstützung“, die Eva Albert am 14. Februar mit anderen Eltern ins Leben gerufen hat. Einen Tag vorher war bekannt geworden, dass sich eine weitere Haftpflichtversicherung für Hebammen zurückzieht. Bis Mitte 2015 wird es bei dieser Tendenz keinen Schutz mehr für Hebammen geben. Von Anfang an sei klar gewesen, dass sie mit diesem Aufruf auf die Straße müssen. „Wir haben sofort Arbeitsgruppen gegründet für Flyer, Demos, Plakate und den Kontakt zu Promis“, erzählt Eva Albert. Für die Hebammen sei diese Unterstützung schon lange überfällig, denn diese versuchten bereits seit vier Jahren auf ihre verhängnisvolle Situation aufmerksam zu machen.
„Wir finden es natürlich super, dass so viele Eltern auf die Straße gehen“, sagt Charlotte Joußen vom Geburtshaus Essen. „Endlich haben die Eltern erkannt, dass die Diskussion um den Versicherungsschutz nicht allein unser Problem ist, sondern es alle Familien betrifft“, erklärt die junge Hebamme, die seit einem Jahr in ihrem Beruf tätig ist. „Im Moment planen wir noch bis Ende des Jahres und versuchen so viele Mütter wie möglich zu betreuen“, erzählt die 22-Jährige. Doch wenn sich die Politik nicht zeitnah eine Lösung einfallen lässt, ist die Zukunft des Geburtshauses ungewiss. Und das, obwohl der Andrang auf die Betreuung von Hebammen enorm ist. „Pro Monat müssen wir sicher 30 Frauen ablehnen“, erzählt die freiberufliche Hebamme.
Hebammenschüler fürchten um ihre Zukunft
In die Bredouille bringen die schlechten Nachrichten vor allem auch den Nachwuchs. „Wir sind im ersten Ausbildungsjahr und wissen nicht, ob wir unseren Beruf überhaupt mal ausüben werden“, sagt Carina Nowak von der Hebammenschule aus Paderborn.
Eine zweite Geburt im Krankenhaus, das kann sich auch Maike Braun nicht vorstellen. „Die Geburt meiner Tochter in der Klinik habe ich einfach nur als eine stressige Abfertigung erlebt“, erinnert sich die 25-Jährige. Und da spricht sie für die Mehrheit der anwesenden Mütter auf dem Willy-Brandt-Platz. „Das Krankenhaus ist einfach nicht der Ort, wo Kinder geboren werden sollten“, meint Iris Spanjaart. „Die Geburt ist doch keine Krankheit“. Mit Blick auf ihr Heimatland kommt der gebürtigen Niederländerin die Situation noch viel „absurder“ vor. „In den Niederlanden funktioniert das Konzept mit den Hebammen wunderbar. Die Zahl an Hausgeburten wächst und draufzahlen müssen diejenigen, die ihr Kind unnötigerweise im Krankenhaus auf die Welt bringen“, erzählt die 26-Jährige.
Eltern pochen auf Recht auf Selbstbestimmung
All den Müttern und Vätern, die sich am Mittwoch in Essen versammelten ging es in erster Linie um das Recht auf Selbstbestimmung. „Ich möchte mir von niemanden vorschreiben lassen, wo ich mein Kind zur Welt bringe“, erklärt Eva Albert. Auch ihre Hebamme Daniela Holley ist der Meinung, dass die Zeiten vorbei sind, „in denen Frauen ihre Persönlichkeit an der Pforte zum Kreissaal abgeben“. Die Mütter ließen bei der Geburt ohnehin einen fremden Menschen in ihre Intimsphäre. „Man sollte ihnen zumindest die Würde lassen, diesen wichtigen Moment mit einer vertrauten Hebamme zu verbringen“, meint Holley.
Momentan verschärft sich die Lage für die Hebammen immer mehr. „Die Züricher Versicherung hat nun auch noch angekündigt, dass sie zum Ende des Jahres 200 Krankenhäusern in Deutschland die Versicherung für Hebammen streichen will“, erzählt die Essener Hebamme Brigitte Bremer. Den einzig sinnvollen Vorschlag habe bisher ein bayrischer Politiker gemacht. Seine Idee sei, Hebammen bis zu einer gewissen Summe zu versichern und ihnen im Fall des Falles für alles darüber hinaus mit einem staatlichen Fonds den Rücken zu stärken.