Essen. Die Bundesregierung plant ein Gesetz zur vertraulichen Geburt – als Alternative zu anonymer Geburt und Babyklappe. Doch nicht jede Schwangere in einer Notlage werde dieses Angebot annehmen, sagt der Sozialdienst katholischer Frauen in Essen: Das Babyfenster werde keineswegs überflüssig. 16 Kinder wurden hier seit dem Jahr 2001 gefunden.

Als Fortschritt betrachtet der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Essen den jetzt vorgelegten Gesetzentwurf zur vertraulichen Geburt. Er soll verhindern, dass Frauen, die ihre Schwangerschaft geheim halten, ihr Baby außerhalb einer Klinik zur Welt bringen und es aussetzen. Eine Alternative zum Babyfenster sei das neue Angebot aber nicht, glaubt man beim SkF.

Gut 80 Babyfenster bundesweit

Bislang gibt es hierzulande zwei Antworten auf solche Notlagen: anonyme Geburten, die einige Kliniken anbieten, sowie die bundesweit gut 80 Babyfenster. Beide Angebote bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone. Als problematisch gilt hier, dass den betroffenen Kindern das Wissen um die eigene Herkunft vorenthalten wird.

Bei der vertraulichen Geburt sollen die Mütter darum ihre Daten preisgeben. Diese werden 16 Jahre unter Verschluss gehalten, dann aber hat das Kind das Recht, den Namen der leiblichen Mutter zu erfahren. Nur in raren Ausnahmefällen und mit Plazet des Familiengerichts kann die Mutter widersprechen. „Dass Müttern kein allgemeines Widerspruchsrecht haben, ist sehr wichtig“, sagt SkF-Geschäftsführer Björn Enno Hermans, der als Psychologe mit Adoptivkindern gearbeitet hat. Seine Erfahrung sage ihm, dass das Bedürfnis, die eigenen Wurzeln zu erkunden, aber nicht erst mit 16 Jahren erwache: „Ich hätte 12 als Altersgrenze gewählt.“ Da habe der Wunsch der Mütter, möglichst lang anonym bleiben, offenbar Vorrang gehabt.

Schwer auszubalancierende Bedürfnisse

Als Träger des Essener Babyfensters im Haus Nazareth weiß man beim SkF, wie schwer die Bedürfnisse von Mutter und Kind auszubalancieren sind: Wer hier ein Kind abgibt, erhält einen Briefumschlag, der über einen Code dem Kind zuzuordnen ist; damit könnte die Mutter später an ihr Kind zu schreiben. Seit Januar 2001 sind im Essener Babyfenster 16 Kinder abgegeben worden – nur eine Mutter hat an ihr Kind geschrieben. Eine andere meldete sich sehr bald mit dem Wunsch, ihr Baby zurückzubekommen. Begleitet vom Jugendamt ist das gelungen. „Von allen anderen haben wir leider nie wieder etwas gehört“, bedauert Hermans.

Trotzdem glaubt er nicht, dass die vertrauliche Geburt die Babyfenster sofort überflüssig macht. „Für das neue Angebot müssen die Frauen in eine Beratungsstelle gehen, geben also ihre Anonymität auf. Diese Schwelle könnte für viele Mütter, die ihr Kind bei uns abgeben, zu hoch sein“, glaubt Hermans. Dass drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes über den Fortbestand der Babyklappen entschieden werden soll, halte er daher für zu früh. „Wenn nun jahrelang kein einziges Kind mehr in den Babyklappen landet, lasse ich mich natürlich eines Besseren belehren.“

Das Gesetz und die bisherige Lage

Der Gesetzesentwurf zur vertraulichen Geburt soll in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden und im Mai 2014 in Kraft treten. Werdende Mütter in einer Notlage könnten sich in einer der bekannten Schwangeren-Beratungsstellen beraten lassen. Danach dürften sie ihr Kind in einer Klinik zur Welt bringen. Ihre Daten würden 16 Jahre unter Verschluss gehalten.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder sieht die vertrauliche Geburt als „echte Alternative zu anonymer Geburt und Babyklappe“. Ein Angebot an Frauen, das die Rechte ihrer Kinder wahre.

In Deutschland gebären jährlich gut 100 Frauen anonym oder geben ihr Kind in der Babyklappe ab. 20 bis 35 Kinder werden jährlich ausgesetzt, einige von ihnen sterben. Ob Babyfenster weitere Kindesaussetzungen oder -tötungen verhindern, ist in Studien unterschiedlich beantwortet worden. „Das ist letztlich eine Glaubensfrage“, sagt SkF-Geschäftsführer Björn Enno Hermans. In Essen habe es seit Entstehen des Babyfensters im Jahr 2001 nur eine Kindesaussetzung gegeben. „Von 1991 bis 2001 waren es mehrere Fälle.“ Exakte Zahlen dazu lägen nicht vor. Fest steht: Im Essener Babyfenster wurden bis heute 16 Kinder gefunden. 16 Babys, die sonst vielleicht der Kälte ausgesetzt oder zu spät gefunden worden wären.