Essen. Knapp 6.000 Rentner in Essen leben am Existenzminimum. Das sind fast doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Sozialverbände und Vereine warnen vor wachsender Altersarmut und Vereinsamung.

Ein ganzes Leben gearbeitet, Kinder groß gezogen, sich sozial engagiert – und nun reicht die Rente nicht einmal für einen Kinobesuch oder ein Essen in hübschem Ambiente. Verarmt und einsam verbringen immer mehr Senioren ihren Lebensabend.

Von diesen Beispielen kennt Hugo Thies viele. „Die Altersarmut wird immer größer, da brauchen wir uns nichts vorzumachen“, bestätigt der Essener vom „Verein zur Förderung der Erholung sozial schwacher Senioren“. Verstärkt würde dies häufig noch durch den Tod des Ehemanns. „Denn dann bricht oftmals ein Großteil der Rente weg“, weiß Thies von Senioren, die er betreut. „Zu der leidlichen Erfahrung, den Ehepartner zu verlieren, stürzen sie dann auch noch in ein finanzielles Tief“, erklärt der Vorsitzende des Vereins.

Niedrige Renten führen direkt in die Altersarmut

Eine traurige Folge davon sei, dass sich viele Senioren aus der Gesellschaft zurückziehen. Den meisten sei es unangenehm, dass sie sich so stark einschränken müssen, nicht mit in die Ausstellung oder ins Theater gehen können. „Bevor sie damit rausrücken, dass sie sich die kleinen Freizeitaktivitäten nicht leisten können, brechen sie den Kontakt lieber ab“, hat Thies die traurige Beobachtung gemacht.

Auch für Hermann-Klaus Werner vom Sozialverband VdK Rhein Ruhr steht fest, dass die teils extrem niedrigen Renten auf direktem Weg in die Altersarmut führen. „In unseren Beratungen zeigt sich jedoch auch, dass viele Rentner aus Scham leider nicht zum Grundsicherungsamt gehen“, erklärt der Kreisvorsitzende. Im Bundesdurchschnitt betrug die Rentenhöhe im vergangenen Jahr 759 Euro monatlich, wie aus einer aktuellen Veröffentlichung der Deutschen Rentenversicherung hervorgeht. Einige Rentner bekamen sogar deutlich weniger.

Vermutlich hohe Dunkelziffer

Auch in Essen wächst die Zahl der Menschen, die von ihrer Rente nicht leben können nachweislich. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Region Ruhrgebiet warnt vor einer „Alt-Arm-Spirale“. Wer heute im Job stehe, müsse einen deutlich besseren Schutz vor Altersarmut bekommen, so die NGG. Ansonsten drohe sich das fortzusetzen, was bereits heute die traurige Bilanz der Altersarmut ist: In Essen seien 5.865 Senioren im Jahr 2012 auf die gesetzliche Grundsicherung zum Lebensunterhalt angewiesen gewesen. Dies gehe aus der aktuellen Erhebung hervor, die vom statistischen Landesamt NRW zur Altersarmut vorliege.

Bei 160.000 Senioren in Essen hat damit jeder Fünfundzwanzigste kaum Geld genug, um davon zu leben. „Das ist schockierend. Aber in Wahrheit ist es noch viel schlimmer“, erklärt Yvonne Sachtje von der NGG. Denn es sei davon auszugehen, dass die Dunkelziffer noch sehr viel höher ist.

6.000 Essener Rentner mit Mini-Job

Dieses Bild spiegeln auch Zahlen der Essener Agentur für Arbeit wider. In den letzten zehn Jahren hat sich die Anzahl der Senioren, die neben Rente oder Sozialhilfe eine geringfügige Beschäftigung ausüben fast verdoppelt. Waren es 2003 noch unter 4000 Rentnern mit Mini-Job, sind es nach den aktuellen Statistiken schon über 6000. „Sicherlich gehen nicht alle arbeiten, weil sie es aus finanziellen Gründen müssen. Es gibt immer wieder auch Rentner, die nach ihrer Pensionierung nach einer sinnvollen Beschäftigung suchen“, wirft Katja Hübner von der Agentur für Arbeit ein.

Der VdK weiß jedoch: Die wenigsten Senioren jobben, weil ihnen das eine willkommene Abwechslung im Rentenalltag bringt. Die allermeisten müssen arbeiten, weil sie von ihrer Rente alleine sonst nicht leben können.

Vier Null-Runden für die Rentner 

„Ich glaube nicht, dass Rentner Zeitungen austragen, im Wachdienst arbeiten oder Regale im Supermarkt einräumen, weil sie Kontakt zu Menschen oder Erfüllung in ihrer Arbeit suchen“, meint Ulrike Mascher vom VdK. „Darin wird vielmehr deutlich, dass das Absenken des Rentenniveaus, nicht spurlos an der Lebenswirklichkeit der Rentner vorbei geht“, so Mascher. Damit ist für den VdK die stark gestiegene Zahl an Minijobbern unter den Rentnern ein klarer Hinweis für die wachsende Altersarmut.

Hinzu komme, dass die Rentner seit 2004 vier Nullrunden und drei Mini-Anpassungen von einem halben und einem Prozent hätten hinnehmen müssen. Somit hätten die Senioren einen Kaufkraftverlust von neun Prozent aufzufangen. Sie seien von Preissteigerungen für Lebensmittel und bei Energie- und Stromkosten besonders betroffen. Auch Medikamente, die aus eigener Tasche bezahlt werden müssten, schmälerten bei Rentnern das Haushaltseinkommen enorm.

Experten rechnen nach Angaben des VdK damit, dass in zehn Jahren etwa 20 Prozent der Menschen über 65 von Altersarmut betroffen sein werden. Am stärksten wird es alleinerziehende Frauen treffen, die zunächst wegen der Kinderbetreuung und später wegen der Pflege von Angehörigen keine ausreichende Rente erarbeiten konnten.

Verein ermöglicht Senioren Urlaub

Für die wachsende Altersarmut macht die Geschäftsführerin der NGG-Region Ruhrgebiet zusätzlich zu dem Absenken des Rentenniveaus auch zu niedrige Löhne verantwortlich. „Wir können uns keine Renten im Sinkflug erlauben“, so Sachtje. Oberste Priorität müsse eine Stabilisierung der Rente haben. Die „rote Linie“ sei durch die bisherigen Rentenkürzungen längst überschritten. „Zudem brauchen wir flexible Übergänge in den Ruhestand. Die Rente mit 67 bedeutet für den Großteil der Beschäftigten schließlich nichts anderes als zusätzliche Abschläge, weil sie bis 67 gar nicht durchhalten können“, macht Yvonne Sachtje die Problematik deutlich. Wichtig seien gute Tariferhöhungen. Die NGG werde deshalb schon in diesem Frühjahr für die Beschäftigten in den Hotels und Gaststätten in Essen eine Tarifrunde mit einer Lohnforderung zwischen fünf und sechs Prozent ansteuern. In gleicher Höhe will die Gewerkschaft für das Ernährungsgewerbe verhandeln.

Aus der traurigen Beobachtung der Altersspirale heraus hat sich rund um den Essener Hugo Thies vor gut 15 Jahren der spendengetragene Verein zur Förderung sozial schwacher Senioren gegründet. In den letzten Jahren hat er gemeinsam mit den 21 Mitgliedern über 500 Rentnern einen 14-tägigen Urlaub in den Niederlanden ermöglicht, den sie alleine nie hätten verwirklichen können. „In unserem Gästebuch haben die Reisenden immer berührende Kommentare hinterlassen“, erinnert sich Thies. „Sie haben sich für die schöne Zeit bedankt, in der sie fernab der Alltagssorgen einige Tage unbeschwert die Sonne genießen konnten.“