Essen. . 2500 Menschen kamen laut DGB zur Maikundgebung und forderten gute Arbeit, sichere Renten und ein soziales Europa. Reichlich Applaus für SPD-Chef Gabriel.
„Schön, dass sie wieder eingeschaltet haben, wenn es heißt: Rentner suchen ein Zuhause“, ruft eine junge Frau über den Burgplatz. Sie vertritt die Verdi-Jugend, die für den 1. Mai, den „Tag der Arbeit“, zusammen mit den Verdi-Gewerkschaftssenioren ein Stück eingeprobt haben. „Wir starten mit einer zauberhaften Auswahl an Vermittlungskandidaten und hoffen, für sie ist etwas dabei...“.
„Klaus“ zum Beispiel, stolze 80 Jahre alt, nur bedingt gebrechlich, handwerklich erfahren und einer jener Bürger, die heute von Altersarmut betroffen sind. „Er will in einen liebevollen Haushalt, braucht jedoch den täglichen Mittagsschlaf“, überspitzt die junge Frau. Arm und alt – das ist nur eines jener Themen, denen sich der Essener Spross des Deutschen Gewerkschafts-Bunds widmet. 800 Bürger, so DGB-Regionsvorsitzender Dieter Hillebrand, haben sich dieses Jahr bei der Demonstration unter dem Motto „Gute Arbeit. Sichere Rente. Soziales Europa“ vom Girardet-Haus bis zum Burgplatz beteiligt, wo dann über 2500 Menschen der Maikundgebung lauschten – und ihrem wohl prominentesten Redner: Sigmar Gabriel, Bundesvorsitzender der SPD.
Doch bevor der Wahlberliner zu Wort kommt, ist erst einmal ein anderer dran: OB Reinhard Paß, der verbal in Rage gerät, stören doch „Buh“-Rufe und Trillerpfeifen der
„Antifaschistischen Aktion“ seine Rede. „Wir brauchen Verlässlichkeit“, ruft er Gabriel zu und der verweigere sich die schwarz-gelbe Regierung im Bund seit Jahren. „In Essen sind es über 13.000 Bürger, die zwar arbeiten gehen, aber von ihrem Lohn nicht leben können. Deshalb brauchen wir den Mindestlohn, so schnell wie möglich“, betont Paß.
Stets die gleiche Leier, könnte meinen, wer sich die Rede von Dieter Hillebrand anhört – die er tags zuvor 1:1 beim Arbeitnehmerempfang des OB im Rathaus hielt. Gute Arbeit ist eben teuer und im Fall des DGB-Chefs äußerst langlebig. Aber immerhin gut. Hillebrand erinnert an eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte, an die Gewalt der nationalsozialistischen Terrorherrschaft: „Am 2. Mai jährt sich zum 80. Mal die Zerschlagung der freien deutschen Gewerkschaftsbewegung. 32 Gewerkschafter aus Essen wurden verhaftet, Karl Wolf war einer von ihnen.“ Die Geschichte Wolfs, der Bezirksleiter im Deutschen Metallarbeiterverband war und im KZ Sachsenhausen ermordet wurde, lässt SPD-Chef Gabriel nicht kalt: „Die Nazis haben seinen Sohn in Geiselhaft genommen. Dann hat er sich gestellt und wurde umgebracht. So etwas darf nie wieder passieren.“
DGB Maifeier
Sigmar Gabriel weiß, sich zu präsentieren, zu reden und die Menschen in Windeseile in seinen Bann zu ziehen. An die 2500 kamen, darunter einige, die Gabriel und seinen Sozialdemokraten ihren ganz persönlichen „Dank“ ausdrücken wollten: für die Rente mit 67, für Hartz IV, für Altersarmut, für „grenzenlose“ Leiharbeit und mehr. Von seinen ironischen Kritikern mochte der SPD-Chef nichts wissen, er würdigte die Provokationen keine Zeile seiner 15-minütigen Rede. Irgendwie war der 1. Mai wohl nicht ihr Tag. Und wohl auch nicht der Gabriels
„Der kann auch Kanzler“
Gabriel wirbt für eine fairere Lastenverteilung, „denn es kann nicht sein, dass das Gemeinwohl heute zu 80 Prozent von Arbeitnehmern bezahlt wird, und das Kapital und Vermögenseinkünfte nur noch mit 12 Prozent zum Gemeinwohl beitragen. Das muss sich ändern.“ Seine Rede kommt bei den Menschen gut an. „Der Mann kann Kanzler“, meint Egon Rheinfels, „aber leider soll das ja ein anderer machen“.
Friedenspflicht abgelaufen
Im Handel und im Metall- und Elektrobereich ist die Friedenspflicht mit der Nacht auf den 1. Mai abgelaufen. Verdi-Geschäftsführer Lothar Grüll geht davon aus, dass es in der ersten Verhandlungsrunde im Handel am 14. Mai in Essen zu keiner Einigung kommt: „Die Beschäftigten im Einzelhandel, vom Kassierer bis zum Lagerarbeiter, fühlen sich missbraucht, weil die Arbeitgeber den Tarif generell absenken wollen.“ Er geht von einer sehr schwierigen Verhandlung aus. Verdi plane derzeit Aktionen, „die notwendig werden, wenn es zu keiner Einigung im Sinne der Beschäftigten kommt.“