Essen. . Für jeden zwölften Arbeitnehmer ist nach Feierabend noch nicht Schluss mit der Arbeit: Dann geht’s zum Nebenjob. Aus Spaß, fürs Bare – und oft auch aus purer Geldnot .

Von diesem „zweiten Leben“ seines Mitarbeiters hatte Christian Kromberg bis dato nichts gewusst. Bis der Personalchef über knapp 9000 städtische Bedienstete den Mann dann eines Tages im Aalto-Theater traf. Nicht etwa als Konzertgast in der gleichen Reihe, sondern weil der ihm an der Garderobe den Mantel abnahm – sein Nebenjob, genehmigt natürlich.

Und nichts Besonderes – weder bei der Stadt noch sonstwo in der lokalen Wirtschaft. Denn von 226.044 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen Karnap und Kettwig bedeutet mittlerweile für 18.630 Männer und Frauen der Feierabend nicht unbedingt, dass sie die Beine hochlegen. Sie haben einen Nebenjob angenommen, rein rechnerisch ist das immerhin jeder Zwölfte. Vor zehn Jahren waren es nur etwas mehr als halb so viel.

Einzelhandel, Dienstleistungen, Gastgewerbe – das ist der Branchen -Dreiklang, in dem sich laut Agentur für Arbeit die meisten Nebenjobler tummeln. Wer da in welchem Alter und vor welchem finanziellen Hintergrund dem ersten ein zweites (Arbeits-)Leben anhängt, gibt die derzeit geführte Statistik der Behörde nicht her, nicht zuletzt aus Datenschutzgründen, wie Sprecherin Heike Börries betont.

Also empfiehlt es sich, Kenner der Szene zu fragen. Leute wie Ota Hortmanns, SPD-Ratsfrau, langjährige Karstadt-Betriebsrätin und heute in der Personalentwicklung des Kaufhaus-Konzerns tätig: Sie schätzt das Verhältnis derer, die zusätzlich jobben, um über die Runden zu kommen, auf 60:40 gegenüber denen, die nebenbei arbeiten, „um sich mal was gönnen zu können“: ein größeres Auto, den zweiten Jahresurlaub.

Im Handel, so Hortmanns, seien es vor allem die Beratungsjobs, in denen Frauen zu finden sind, die – familiär eingebettet – auf ein kleines Stück Luxus hinsparen oder darauf, finanziell unabhängig vom Ehegatten zu sein. Auf jene, die jeden Cent bitter nötig brauchen, stößt man dann an der Kasse oder beim Einräumen der Regale: nicht selten Alleinerziehende.

Dass es immer mehr werden, die bei der Arbeit ein Schüppchen drauflegen, „überrascht mich nicht“, sagt Hortmanns, die Tendenz etwa im Handel gehe klar in Richtung Teilzeit- und damit eben Nebenjobs.

Und es werden wohl noch mehr werden, fürchtet Klaus Waschulewski, Sekretär beim Deutschen Gewerkschaftsbund, und beklagt „Lohndumping“ unter anderem durch Leiharbeit und die Tatsache, dass bald immer mehr Senioren gezwungen seien, gegen ihre Altersarmut anzuarbeiten: „Was heute versäumt wird, einzuzahlen, fällt der Gesellschaft in Zukunft vor die Füße.“

Sind die Verdienste etwa auch bei der Stadt so prekär, dass Nebenjobs zunehmen? Personaldezernent Christian Kromberg mag nicht ausschließen, dass mancher knapp bei Kasse ist, dennoch: „Das Spektrum ist bunt“, weiß er – in städtischen Reihen wird nebenberuflich interviewt und gehandwerkert, gekellnert und vor allem doziert: am Studieninstitut oder der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. Früher wurden die Nebenjobs für die Politik regelmäßig nach Ämtern sortiert aufgelistet: Nachhilfelehrer und Friedhofsgärtner, Schädlingsbekämpfer und Tauchlehrer.

Womöglich sah das zu sehr aus, als sei man im Rathaus nicht vollends ausgelastet, die Information jedenfalls wurde eingestellt. Dabei zeigt die Statistik: Die Zahl der genehmigten Nebenjobs für Stadt-Mitarbeiter sinkt spürbar – von 1.225 vor fünf Jahren auf derzeit 804. Gemessen an knapp 9000 Jobs ist das etwa jeder Elfte.

Die Genehmigung dazu darf er nur im Ausnahmefall versagen, und noch, sagt Kromberg, hat ihn kein Fachbereichsleiter mit dem Taxi vom Hauptbahnhof heimgefahren. Aber wenn er sich mal in ein orientalisches Tanz-Event verirrt: Die bildhübsche Bauchtänzerin da vorn auf der Bühne arbeitet in einem städtischen Amt.

Nicht bauchfrei, versteht sich.