Essen. . Die Kritik im Netz war so groß wie das Medienecho auf den Vorschlag des Essener Sozialdezernenten: Peter Renzel will Alkoholikern für Aufräumarbeiten wohl bereits ab dem Frühsommer Dosenbier spendieren, um die Trinkerszene in der Innenstadt in den Griff zu bekommen. So argumentiert er.
Das Echo auf seinen Vorschlag war gewaltig. Stundenlang musste Sozialdezernent Peter Renzel am Donnerstagvormittag Fernseh- und Radiointerviews geben – und vor allem immer wieder diese eine Frage beantworten: Warum sollen etwa 250 Alkoholabhängige ausgerechnet Alkohol als Lohn dafür bekommen, dass sie den Müll, den sie selbst hinterlassen, wegräumen? Bereits im Frühsommer, das kündigte Renzel am Donnerstag auf Anfrage an, soll das Projekt starten.
Mehr Spott und Kritik als Verständnis dafür, dass das Sozialamt der innerstädtischen Trinkerszene Bier spendieren möchte, hatten die meisten der vielen hundert Leserinnen und Leser, die unseren Artikel über die neue Strategie der Sozialarbeit in Briefen, im Internet und auf unserer Facebook-Seite kommentierten. „Wie wäre es, eine fette Mettwurst für jeden Dackel auszuloben, der in den Parks nach dem Geschäft sein Geschäft ordentlich verbuddelt?“, empört sich zum Beispiel Leser Horst Bruckmann recht repräsentativ für den Großteil der Gegner. Die waren auch bei unserer Online-Abstimmung zum Thema eindeutig in der Mehrheit.
Mehr Kontrolle, mehr Vertrauen
Wer sich etwas intensiver mit dem Modellprojekt in Amsterdam und der Sucht der Betroffenen beschäftigt, kommt allerdings an den Argumenten für den hierzulande bislang nirgends gemachten Versuch nicht vorbei. Warum also Alkohol als Belohung für öffentlich saufende Alkoholkranke?
„Ohne Alkohol wären die Betroffenen wegen des enormen Suchtdrucks gar nicht in der Lage, Arbeit aufzunehmen und durchzuhalten“, erklärt Renzel. In Amsterdam erhalten die Teilnehmer zum Dienstbeginn um 9 Uhr zwei Dosen Bier, nach jedem einstündigen Reinigungsrundgang eine weitere Büchse. „Sie trinken also kontrolliert niedrigprozentigen Alkohol statt unkontrolliert hochprozentigen“. Drum ist dieses „Freibier“ für den Beigeordneten „keine Sackgasse, sondern der Einstieg in weitere Hilfen“. Seine Hoffnung: Mit der Alkoholvergabe könne die Suchthilfe – die Stadttochter arbeitet als Trägerin des Versuchs zurzeit mit der Verwaltung die Details des Konzeptes aus – das Vertrauen der Süchtigen gewinnen. Renzel: „Mit Speck fängt man Mäuse.“
„Kein therapeutischer Ansatz“
Durch das kontrollierte Trinken und die zeitlichen Vorgaben erhalte der Alltag der Trinker Struktur, sie könnten „erste Kontrollmechanismen einüben“. Obendrein hofft der Verwaltungsvorstand auf „gesundheitsprophylaktische Effekte“: Die Teilnehmer sollen bestehende Angebote (Vitamin-B1-Vergabe, Verbesserung des Allgemeinzustands) besser nutzen.
Pragmatisch bleibt Renzel gleichwohl: Das Arbeitsprojekt sei „kein therapeutischer Ansatz, mit dem die Teilnehmer von ihrer Sucht geheilt werden werden können“. Zudem müsse die Stadt „die Balance zwischen Ordnungsrecht und sozialer Hilfe halten“. Das habe auch Anfang der 1990er-Jahre beim neuen Umgang mit der Drogenszene am Hauptbahnhof funktioniert. Vergleichbare Erfolge konnte die Stadt im Fall der Trinker bislang jedenfalls nicht vorweisen.