Essen. Der Vorstoß der Essener Dezernenten Peter Renzel und Christian Kromberg, Alkoholiker für Freibier die Straße fegen zu lassen, war auch Thema in der Trinkerszene am Willy-Brandt-Platz. Ein Unterstützer prophezeit, dass sicherlich 40 Leute so einem Angebot nachkommen würden. Die Politik reagiert unterschiedlich.
Alkoholiker für ein paar Dosen Freibier die Straße fegen zu lassen und ihnen im Rahmen der Gemeinwohlarbeit womöglich zusätzlich ein paar Euro in die Hand zu drücken, „find’ ich ganz okay, dann hängen die Leute nicht mehr auf der Straße ab“, begrüßt Sven (33) den Vorstoß der Dezernenten Peter Renzel und Christian Kromberg.
Sven ist zugezogen, ein offener und geselliger Mensch, der im Haus Bruderhilfe an der Söllingstraße ein Jahr lang in Therapie war. Und seitdem in Essen lebt. „Gelegentlich“ komme er auf den Willy-Brandt-Platz, um dort mit Gleichgesinnten ein Bier zu trinken. Oder auch zwei. „Für manche ist es sicher gut, wenn sie fürs Fegen Bier erhalten“, sagt Sven. Andere reize die Chance, „zu Hartz IV etwas dazu verdienen zu können. 40 Leute bekommen sie für so einen Job hier sicher zusammen“, prophezeit er. Der Vorstoß der zwei Dezernenten wurde heiß diskutiert in der Trinkerszene und lenkte auch die Aufmerksamkeit von überregionalen Medien – TV-Sender, Radios und Zeitungen – auf das Einfallstor der Stadt: den Willy-Brandt-Platz.
Soziale Hilfsangebote sind notwendig
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Dort hin verschlägt’s auch den 39-jährigen Thomas „ab und zu“. „Die Idee ist gut, ich würde sofort mitmachen“, sagt er. Hauptsache er habe eine Beschäftigung, etwas, das seinen Tagesablauf strukturiert – wenn auch nur an einigen Tagen in der Woche. Ein paar Euro fürs Fegen nehme er gerne mit. „Nur das mit dem Bier find’ ich nicht so ideal. Bezahlung über Alkohol, das ist nicht meins. Ob die Politiker das so toll finden?“
„Der Vorschlag einer Freibierausgabe für fegende Trinker hat durchaus eine Chance verdient. Als Großstadt müssen wir pragmatische Wege gehen“, meint Grünen-Ratsfrau Elisabeth van Heesch-Orgaß. Den Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit komplett zu unterbinden, würde mit ordnungspolitischen Maßnahmen nicht dauerhaft gelingen. Eine Abdrängung der Szenen in die Stadtteile sei das schlimmere Übel.
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Über Verbote alleine bekäme man das Problem zudem nicht in den Griff, soziale Hilfsangebote seien notwendig. Daher gefalle ihrer Fraktion die geplante enge Kooperation mit der Suchthilfe direkt. „Wie in den Niederlanden sollen die Teilnehmer registriert und ihre Anzahl, ebenso wie die ausgegebene Alkoholmenge, begrenzt werden“, betont Fraktionssprecherin Christine Müller-Hechfellner.
Polizei und Krankenwagen sind mehrmals täglich vor Ort
Zurückhaltender reagiert hingegen die SPD-Ratsfraktion. „Wir verschließen uns keinen neuen Ideen, warnen aber vor zu viel Optimismus. Schnellschüsse werden keine dauerhaften Verbesserungen für Anwohner, Geschäftsleute und Betroffene bringen“, so Ratsherr Udo Karnath.
„Grundsätzlich freuen wir uns, dass der Beigeordnete Renzel der ansonsten nur auf Verdrängung und Ausgrenzung setzenden CDU einen Vorschlag entgegenstellt, der die Betroffene einbindet. Wir müssen aber genau hinschauen, ob das Modell geeignet ist und spürbare Verbesserungen erwarten lässt“, ergänzt Ratsherr Karlheinz Endruschat. Denn es gehe nicht nur um die Sauberkeit im Umfeld, das Problem sei vielschichtiger. Daher dürfe man sich auch nicht nur auf die Innenstadt beschränken.
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Beim Einzelhandelsverband Ruhr wird der „kreative Ansatz“ der beiden Dezernenten wohlwollend aufgenommen. „Zum einen ordnungspolitisch vorzugehen – also häufiger vor Ort zu sein und einen Umfeldmanager der Suchthilfe zu benennen – und zugleich Hilfsangebote zu unterbreiten, ist richtig“, betont der Geschäftsführer Marc Heistermann. Es helfe nicht, die Augen vor der Trinkerszene zu verschränken.
„Bei aller Toleranz: Das Einhalten von Spielregeln kann man von den Betroffenen erwarten.“ Ähnlich sieht es Gökcay Baydar, Inhaber von „Tabak, Lotto, Souvenirs“ am Willy-Brandt-Platz. Alkohol und„bei der Zielgruppe beliebte Waren“ verkaufe er schon lange nicht mehr. Polizei und Krankenwagen seien meist mehrmals täglich vor Ort, Schlägereien, das Urinieren im Freien und Beschädigungen die Regel. Was Baydar vom neusten Vorstoß hält? „Seit zwölf Jahren habe ich den Laden und verfolge das Thema. Getan hat sich bisher nicht viel.“ Ob denn die Idee zielführend ist? „Warten wir es ab. Ein Umfeldmanager der Suchthilfe, der vor Ort ist und sich um die Betroffenen kümmert, wäre aber ein guter Anfang.“