Essen. . Ein Mix aus Maßnahmen soll die Auswüchse der Trinkerszene eindämmen: darunter ein ungewöhnliches Projekt aus Amsterdam.

Es war ein erneuter Anlauf mit höherem Druck und einem merklichen Verdrängungseffekt: In den letzten fünf Wochen des vergangenen Jahres haben die Behörden deutlich Flagge gezeigt auf dem Willy-Brandt-Platz, 252 Angehörige der dortigen Trinkerszene überprüft, 142 Drogendelikte erfasst, 852 Platzverweise ausgesprochen und zwei Menschen festgenommen. Der Effekt: „Es sieht dort jetzt etwas besser aus“, findet Christian Kromberg. Das könne nicht nur an der kalten Jahreszeit liegen, die nicht so wirklich eine ist. Der städtische Beigeordnete kündigte an, die ordnungsbehördlichen Kontrollen in diesem Jahr fortzusetzen, zu verschärfen gar, um das Urinieren in der Öffentlichkeit, zunehmende Vermüllung, Lärm und aggressives Betteln in der Innenstadt einzudämmen. Die Flut der Beschwerden von Geschäftsleuten, Anrainern und Bürgern war massiv.

Doch Repression allein, das weiß der Ordnungsdezernent natürlich, wird das Problem nicht lösen: „Wir müssen eine Perspektive entwickeln, sonst erreichen wir keine Nachhaltigkeit.“

Ein Bündel von Maßnahmen

Deshalb schnürt die Stadt zur Zeit ein Bündel von Maßnahmen, die ab Sommer greifen und die Situation für alle Beteiligten erträglicher machen sollen. Ideen dazu stellten Kromberg und Sozialdezernent Peter Renzel am Dienstagabend auf einem Stadtgespräch der CDU-Fraktion „Null-Toleranz-Strategie und Hilfsangebote – was tun gegen die Trinker- und Drogenszene“ vor etwa 50 Besuchern im Haus der Technik vor. Renzel stellte unmissverständlich klar: „Die Balance zwischen Ordnungs- und Sozialpolitik muss stimmen.“ Darin ist er sich mit Kromberg einig. Sagen Kromberg und Renzel.

Öffentlich nachgedacht wird bereits über Vorschläge, die von der Essener Suchthilfe entwickelt wurden: eine unkaputtbare Edelstahl-Toilettenanlage auf dem Willy-Brandt-Platz, ein „Umfeldmanager“, der in der Szene respektiert wird und durchgreifen kann, aber gleichzeitig ein offenes Ohr für die Belange der Geschäftsinhaber hat. Und ein Projekt, das bundesweit einmalig sein dürfte: Für ein paar Dosen Freibier von der Stadt sollen Alkoholiker künftig die Straßen fegen.

Offenbar durchschlagenden Erfolg

Sich ordentlich sauber saufen? Die Kommune als „local dealer“ von legalen Drogen? Was auf den ersten Blick als beschwipster Einfall erscheinen mag, hat in Amsterdam offenbar durchschlagenden Erfolg, wie Vertreter der Suchthilfe jetzt bei einem Besuch bei den holländischen Nachbarn erfahren durften.

Um 9 Uhr treten die Teilnehmer dort an, nehmen zwei Dosen Bier und Besen, Westen und Müllbeutel in Empfang. Ein Reinigungsrundgang auf einer festen Route dauert etwa eine Stunde. Sind die Säcke voll, gibt’s am Treffpunkt noch eine Dose Bier und mittags eine warme Mahlzeit.

Menschen, die ohne Alkohol nicht funktionieren

Auf bis zu sieben Dosen Grolsch und zehn Euro kommen die Teilnehmer an jedem ihrer drei Arbeitstage in der Woche. Es sind Menschen, die ohne Alkohol nicht funktionieren würden und nicht im Traum daran dächten, eine solche Arbeit anzunehmen, wenn es keinen Anreiz dafür gäbe. Doch es ist keine neue Erkenntnis: Erst wenn man weiß, wie man die Sucht der Menschen steuern kann, ist man in der Lage, ihnen zu helfen, ein wenig Tagesstruktur zu geben – und gleichzeitig die Probleme der Anrainer zu lösen.

In Amsterdam jedenfalls sind nicht nur die Teilnehmer von dem niedrigschwelligen Projekt angetan, sondern auch die Anwohner früherer Alki-Treffs. Es gebe weniger Szeneballungen in den Parks und die Quartiere sind inzwischen deutlich sauberer als vor zwei Jahren noch, als die Holländer das Projekt starteten, weil sie nicht mehr wussten, wie sie den Auswüchsen der Trinkerszene Herr werden sollten.

In Essen soll der Versuch mit Bier und Besen nach der Vorstellung Peter Renzels ein Jahr im Rahmen der Gemeinwohlarbeit unter Federführung der Suchthilfe laufen. Ob sich dann die gleichen Erfolge wie in Amsterdam einstellen, bleibt abzuwarten. Kromberg sieht’s entspannt: „Man muss auch eine gewisse Fehlerkultur zulassen.“